Название | Psychische Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern |
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Автор произведения | Margarete Bolten |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170362925 |
Good to know
Die RDC-PA berücksichtigt die normative Schlafentwicklung im frühen Kindesalter und betont explizit, dass erst ab dem Alter von 12 Monaten von einer Schlafstörung gesprochen werden darf, da vorher die Fähigkeit zur vollständig unabhängigen Schlafregulation bzw. der Fähigkeit alleine in den Schlaf zu finden noch nicht ausgereift ist.
Eine Durchschlafstörung wird insbesondere bei Kindern in den ersten 6 Monaten nur bei erheblicher elterlicher Belastung als pathologisch angesehen. Junge Säuglinge sind zu Beginn noch sehr stark von der ko-regulatorischen Unterstützung durch die Eltern bei der Schlaf-Wach-Regulation abhängig, so dass Probleme in diesem Bereich im ersten Lebensjahr nicht als Schlafstörung im eigentlichen Sinne betrachtet werden sollten. Wiederholtes, kurzes nächtliches Aufwachen ist im Säuglingsalter physiologisch sinnvoll, da zum einen auch in der Nacht noch Energie aufgenommen werden muss (Kersting, Przyrembel, Zwiauer, & Baerlocher, 2014). Zum anderen sind die zwei Schlafregulationsmechanismen zirkadianer Rhythmus und Schlafhomöostase noch nicht so weit ausgereift, dass nächtliches Erwachen in der frühen Kindheit als normativ betrachtet werden muss (Jenni & Benz, 2007). Hinzu kommt, dass auch die Fähigkeit zur Selbstregulation im Kontext der Schlaf-Wachregulation ebenfalls erst ausreifen muss, um ohne Einschlafhilfe zur Ruhe und in den Schlaf zu finden. Entsprechend brauchten in einer Untersuchung von Goodlin-Jones et al. (2001) 50 % der 12 Monate alten Kinder noch Unterstützung beim Einschlafen durch die Eltern. Ergebnisse von Sadeh und Kolleginnen (2009) fanden auf der Basis einer großen Internetbefragung, dass Kinder im ersten Lebensjahr im Mittel 1- bis 2-mal in der Nacht erwachen und zwischen 30 und 60 Minuten wach sind. Weiterhin berichten die Autoren, dass 22 % der unter 3-jährigen Kinder nur in elterlicher Anwesenheit (eigenes Bett oder Bett der Eltern) einschliefen. Auch bei den Durchschlafstörungen zeigten die Ergebnisse, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Säuglinge und Kleinkinder in der untersuchten Stichprobe beim nächtlichen Erwachen ohne elterliche oder anderweitige exogene Einschlafhilfe wieder einschläft. Im Verlauf des zwei Lebensjahres erwerben jedoch die meisten Kinder die Fähigkeit, ohne wesentliche elterliche Hilfe einzuschlafen.
Merke
Nächtliches Erwachen bei Säuglingen sollte als normativ angesehen werden. Nur wenn häufiges Aufwachen mit einer erheblichen Belastung der Eltern verbunden ist, hat es pathologischen Wert.
1.3.3 Frühkindliche Fütter- und Essstörungen
Das Essverhalten eines Säuglings bzw. Kleinkindes entwickelt sich immer im Zusammenspiel komplexer Mechanismen, Erfahrungen und der Interaktionen mit seinen Bezugspersonen (
Abb. 1.1: Einflussfaktoren auf des Essverhalten im Säuglings- und Kleinkindalter
Neben reifungsassoziierten Faktoren wie beispielsweise die anatomische und kognitive Reife sowie oralmotorische Fähigkeiten, haben physiologische Regelmechanismen von Hunger und Sättigung eine zentrale Bedeutung bei der Entwicklung des Essverhaltens und der Esskompetenz von Säuglingen bzw. Kleinkindern. Zusätzlich spielen aber auch eine Vielzahl von Lerneinflüssen eine Rolle. Die Lernumwelt wird im Säuglings- und Kleinkindalter vor allem durch die Interaktionen mit Eltern bestimmt. Die Eltern oder Bezugspersonen machen Nahrungsangebote und strukturieren den Tag bzw. die Mahlzeiten, sie füttern aber auch das Kind und setzen Grenzen. Eltern geben im Zusammenhang mit der Essentwicklung die Entwicklungsreize in Form der Nahrungsangeboten. Werden einem Kind nur eingeschränkte Angebote an Nahrungsmitteln gemacht, können auch keine neuen Erfahrungen im Verarbeiten (Beißen, Kauen, Schlucken) gewonnen werden. Dadurch ist das Kind in seinen keine Entwicklungsschritten im Hinblick auf die Erweiterung des Nahrungsmittelspektrums eingeschränkt. Im Zusammenhang mit den Lernerfahrungen sind aber auch Traumatisierungen im Mund-Rachen-Bereich zu nennen. Diese können z. B. durch forciertes Füttern, unsachgemäße Zubereitung der Nahrung (hohe Temperaturen), Verschlucken und Erbrechen oder aber auch durch intensivmedizinische Maßnahmen entstehen. In diesem Gefüge können also auch Störungen der normativen Essentwicklung auftreten.
Generell erscheint es sinnvoll, Fütterstörungen und Essverhaltensstörungen zu unterscheiden. Bei Fütterstörungen erfolgt die Nahrungsaufnahme in dyadischen Beziehungen, da ein unabhängiges Essen des Kindes aufgrund seines Entwicklungsstandes noch nicht möglich ist. Bei den Essverhaltensstörungen können Kinder unabhängig von ihren Bezugspersonen selber essen. Streng genommen sollte deshalb der Begriff »Fütterstörungen« auf Säuglinge oder Kindern mit Entwicklungsstörungen beschränkt sein, welche nicht selbstständig essen können.
In den letzten Jahren gab es vielfältige Veränderungen und Anpassungen bei den verschiedenen Definitionen von Ess- und Fütterstörungen im frühen Kindesalter. Die Revisionen waren dringend notwendig, da die Definitionen der traditionellen Klassifikationssysteme der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) und der 4., überarbeiteten Version des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-TR) teilweise im klinischen Alltag problematisch waren. So wird die »Fütterstörung im frühen Kindesalter« (F98.2) in der ICD-10 als »eine für das frühe Kindesalter spezifische Störung beim Gefüttert-werden« beschrieben (Remschmidt, Schmidt, & Poustka, 2006). Außerdem muss es definitorisch beim Kind zu einem Gewichtsverlust bzw. keiner Gewichtszunahme in Abwesenheit anderer psychischer oder organischer Krankheiten kommen. Diese Definition ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da sie die anhaltende Unfähigkeit, adäquat zu essen, nur sehr allgemein formuliert. Zum anderen wird eine mangelnde Gewichtszunahme bzw. mangelndes Gedeihen vorausgesetzt. Gedeihstörungen sind jedoch nicht zwangsläufig mit Fütter- und Essstörungen assoziiert. Wie Chatoor (2016) ausführt, sind Gedeihstörungen (»Failure to thrive«) ein mögliches Symptom einer Fütter- und Essstörung, aber keine zwingende Voraussetzung für die Vergabe der Diagnose. Mit anderen Worten, manche Fütterstörungen gehen mit einer mangelnden Gewichtszunahme einher, während andere Kinder trotz massiver Essstörung sehr gut gedeihen. Auch der Ausschluss medizinischer Krankheitsfaktoren muss kritisch bewertet werden. Natürlich müssen alleinige organische Ursachen für eine Fütter- und Essstörung ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite gibt es Kinder mit organischen Grunderkrankungen, die komorbid eine Fütter- und Essstörung entwickelten, welche trotz erfolgreicher Behandlung der Grunderkrankung nicht verschwindet (Berlin, Lobato, Pinkos, Cerezo, & LeLeiko, 2011). Ferner haben neuere Studien (Krom et al., 2019; Norris, Spettigue, & Katzman, 2016) wiederholt zeigen können, dass komorbide psychische Störungen bei Fütter- und Essstörungen sehr häufig sind. Internalisierende (vor allem Angststörungen) und externalisierende Störungen (vor allem Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten), aber auch Autismus-Spektrums-Störungen sind typische komorbide Störungen. Und abschließend muss bemängelt werden, dass der interaktionelle Aspekt einer Fütterstörung vollkommen ausgeblendet wird.
Eine Neuerung im DSM-5 ist, dass es keine Fütterstörung im Säuglings- oder Kleinkindalter mehr gibt, sondern dass Probleme mit der Nahrungsaufnahme sowohl bei Säuglingen und Kleinkindern als auch bei Erwachsenen im Rahmen einer Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme (Avoidant/restrictive food intake disorder; ARFID; Association, 2013) klassifiziert werden können. Dabei handelt es sich um eine Ernährungs- bzw.