Название | Helmut Schön |
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Автор произведения | Bernd-M. Beyer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730703175 |
1972 wurde vieles von dem vorweggenommen, was später der Klinsmann’schen und Löw’schen Fußball-»Revolution« zugeschrieben wurde – insbesondere, dass über den Fußball rund um den Globus ein verändertes, »leichteres« Bild der Deutschen transportiert würde. 1954 war das nicht so gewesen. Das »Wunder von Bern« wirkte vor allem nach innen. Es trug damals, so der Zeithistoriker Arthur Heinrich, »erheblich dazu bei, dass die Demokratie von den Westdeutschen angenommen wurde«. Fußball funktionierte dabei auch als Verdrängungsmechanismus – »und mit der Weltmeisterschaft 1954 hat Sepp Herberger ihn allen Deutschen zum Geschenk gemacht. Sie nahmen es nur allzu gerne an« (Herberger-Biograf Jürgen Leinemann). Das Ausland schaute eher skeptisch darauf, ob der Titelgewinn großdeutsche Wiedergänger beflügelte, doch abgesehen von einigen Verbalausrutschern insbesondere des DFB-Präsidenten Peco Bauwens (»Repräsentanz besten Deutschtums«) passierte da nicht viel; die offizielle Bonner Politik hielt sich auffallend zurück.
Zugleich (re)produzierte Herbergers WM-Elf die ominöse Tradition der »deutschen Tugenden«, die irgendwo angesiedelt sind zwischen »Willenskraft«, »Härte«, »Gemeinschaftsgeist« und der Fähigkeit, sich auf ein Turnier zu fokussieren. Davon war 1972 keine Rede. Es gab keine echte Turniersituation, keinen mythischen »Geist von Spiez«, keinen unbeugsamen Kampfeswillen. Auf dem Rasen agierten mit spielerischer Eleganz elf Individuen, die sich auf ein 90-minütiges gemeinsames Zusammenwirken verständigt hatten. Das »Wunder«, das sie schufen, erwuchs nicht primär aus dem errungenen Sieg, sondern aus der Schönheit ihres Spiels. Bern 1954, so formulierte es Arthur Heinrich, hatte für einen »enormen Zugewinn an Selbstbewusstsein« gesorgt und somit die Voraussetzungen geschaffen, die Demokratie »sich zu eigen zu machen und schließlich deren Liberalisierung in Angriff zu nehmen«. Brüssel 1972 zeigte die Früchte dieser Liberalisierung, zeigte das Potenzial an Kreativität und (Spiel-)Freude, das daraus entstehen konnte. Es markierte damit eine Zäsur, die nicht kleiner ist als jene von 1954.
Nur wenige zeitgenössische Kommentatoren wie »Kicker«-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann verwiesen 1972 auf Helmut Schöns großen Anteil am wundersamen Auftritt der Deutschen: »Für die junge Spielergeneration unserer Tage […] ist er genau der richtige Mann.« Mit der Europameisterschaft gewann Schön als Bundestrainer den ersten großen Titel, aber erfolgreich war er schon vorher. 1966, zwei Jahre nach dem Amtsantritt, wurde seine Elf in England Vizeweltmeister, besiegt nur durch das »Wembley-Tor«, das keines war. Vier Jahre später, bei der WM in Mexiko, gab sich seine Mannschaft allein Italien geschlagen – in einem Halbfinale, das als »Jahrhundertspiel« in die WM-Annalen einging. Dem EM-Sieg von Brüssel würde der Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land folgen, zwei Jahre später ein nur durch Elfmeterschießen verlorenes EM-Finale.
Gemessen an diesen Platzierungen, ist Helmut Schön bis heute der erfolgreichste Nationaltrainer der Welt. In die Annalen des deutschen Sports schrieb er sich zudem als meisterhafter Spieler ein sowie durch den bemerkenswerten Umstand, dass er als Nationaltrainer in allen drei Nachfolgestaaten des 1945 untergegangenen Deutschen Reiches amtierte: in der DDR, dem Saarland und der Bundesrepublik. Dennoch ist sein Name im deutschen Fußballgedächtnis merkwürdig blass geblieben, nicht vergleichbar mit dem Rang, den der »genialische« Sepp Herberger, der charismatische Franz Beckenbauer oder der akribische Tüftler Joachim Löw mit ihren Titelgewinnen einnehmen. Deren Anteil an den Erfolgen ihrer Mannschaften wird höher bewertet, vermutlich, weil sie, anders als Schön, keine selbstbewussten Starensembles zu dirigieren hatten. Ob das ihre Aufgabe wirklich schwieriger machte (und die Schöns leichter), sei dahingestellt.
Eine der Fragen, die dieses Buch zu beantworten versucht, ist somit die nach Schöns Beitrag zu den Erfolgen seiner Mannschaft. War er nur der Moderator, der seine Weltstars bei Laune halten musste? Oder war er der psychologisch geschickte Stratege, der seinen Anteil an den diversen Triumphen lediglich durch eigene Bescheidenheit in der Öffentlichkeit kleinhielt?
Als »zögerlich« und »entscheidungsschwach« beurteilte ihn mancher Kritiker in Westdeutschland, als »arrogant« und »selbstherrlich« charakterisierten ihn die Spitzel der ostdeutschen Stasi, bei denen er freilich als »Republikflüchtling« ohnehin mies beleumundet war. Als Reichstrainer in Nazizeiten strich Sepp Herberger den Nationalspieler Helmut Schön aus seiner Elf, weil er ihn für »zu weich« hielt, während Schöns Heimatverein, der Dresdner SC, den Stürmer als einen zuverlässigen Garanten für den zweimaligen Gewinn der Deutschen Meisterschaft ansah. Das Urteil über ihn war oft widersprüchlich. Er selbst trug dazu bei durch einen in Fußballerkreisen eher untypischen Hang zur leisen Redensart und zum Schöngeistigen. Die Nationalelf zwecks Zerstreuung ins klassische Theater zu schleppen, war jedenfalls auch in den siebziger Jahren ein kleiner Anachronismus.
Helmut Schön suchte nicht den Konflikt, doch blieb er sich auf zurückhaltende Art auch in schwierigen Zeiten selber treu. Diese Eigenschaft durchzog sein ganzes Leben und all die gesellschaftlichen oder politischen Umbrüche, die er dabei durchschritten hat. Zum Fußball zog es ihn wider alle Skepsis des Vaters, und auf dem Platz setzte er sich als eleganter Techniker durch, obwohl er verletzungsanfällig war und die Zuschauer sächselten: »E dierekter Lewe is es ja nich.« Den Nazis verweigerte er das klare Bekenntnis, das von einem Sportidol wie ihm erwartet wurde. Aus der DDR floh er, weil er sich mit einer zentral verordneten Sportpolitik nicht arrangieren mochte. Einer neuen Spielergeneration, die für Herbergers »Elf Freunde«-Philosophie nur ein müdes Lächeln übrighatte, begegnete er mit mildem Liberalismus, auch wenn der plakative Hedonismus der Generation Netzer seinen konservativen Idealen eines sportlichen Altruismus gründlich zuwiderlief. Als während der WM 1974 seine Mannschaft um Siegesprämien feilschte, hätte er beinahe den Büttel hingeworfen. Nicht, weil er den Spielern das Geld missgönnte, sondern weil er solche Art Schacherei verabscheute.
In einer Branche, in der zunehmend Lautsprecher den Ton angaben, blieb er nachdenklich und zurückhaltend. Siegerposen lagen ihm nicht, die Gebote eines Fairplay sah er dagegen als selbstverständliche Verpflichtung. Nach dem EM-Triumph von Brüssel fiel ihm vor allem ein: »Mein besonderer Dank gilt auch der russischen Mannschaft, die sich als fairer und anständiger Verlierer erwiesen hat.«
KAPITEL 1
Früher Lorbeer
1915 bis 1934: Kindheit und Karrierebeginn
50.000 Zuschauer drängten sich am 28. September 1930 im Ostragehege, dem Heimstadion des Dresdner Sport-Clubs. Die kürzlich eingeweihte große Holztribüne auf der Gegengeraden war hoffnungslos überfüllt, ebenso die moderne steinerne Haupttribüne und die Stehränge rings um das Spielfeld. Vor dem Anpfiff kreiste ein Flugzeug über dem Stadion, zeigte Loopings, Turns und Rollen. Unten marschierte eine Militärkapelle über den Rasen.
Die Dresdner Fußballbegeisterten waren gekommen, um die deutsche Nationalmannschaft gegen Ungarn spielen zu sehen. Vor allem aber waren sie gekommen, um ihren »König Richard« zu erleben – Richard Hofmann, den Stürmerstar des Dresdner SC, von dessen Taten im Nationaldress man Wunder berichtete. Nur wenige Monate zuvor hatte er beim sensationellen 3:3 gegen England in Berlin alle deutschen Treffer erzielt. Und das, obwohl er noch im März einen schweren Autounfall erlebt und dabei die rechte Ohrmuschel verloren hatte. Seither spielte er mit einer Ohrenklappe.
Zunächst wurden die Hoffnungen der Dresdner Zuschauer enttäuscht. Zur Halbzeit lagen die Deutschen mit 0:3 zurück, und kurz nach Wiederanpfiff hätten die Ungarn beinahe das vierte Tor geschossen. Doch dann kam der Auftritt von »König Richard«. Mit wuchtigen Schritten zog er an mehreren Gegenspielern vorbei, drang in den Strafraum ein und schoss unhaltbar ein. Das Publikum brüllte vor Freude, und das Spiel drehte sich. Nun stürmten die Deutschen ununterbrochen nach vorne und erzielten vier weitere Treffer. 5:3 hieß es am Ende. Tausende strömten nach dem