Название | Freie und faire Wahlen? |
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Автор произведения | Michael Krennerich |
Жанр | Социология |
Серия | Politisches Sachbuch |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783734411953 |
Während von der Regierung eingesetzte Wahlbehörden in der Regel von Verwaltungsbeamten geleitet werden, ist die Zusammensetzung eigenständiger Wahlkommissionen ein Politikum, zumal in solchen Ländern, in denen großes Misstrauen zwischen den politischen Kontrahenten herrscht. Reformbestrebungen zielen zunächst darauf ab, den Einfluss der Regierung auf die Zusammensetzung zurückzudrängen, um tatsächlich deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. In einigen Ländern wurde oder wird nämlich selbst im Falle angeblich unabhängiger Wahlkommissionen der Regierung die Möglichkeit eingeräumt, eine gewisse Anzahl an Kommissionsmitgliedern zu benennen. Hier empfiehlt es sich, die Zahl der durch die Regierung ernannten Personen möglichst gering zu halten und eine Übermacht regierungsnaher Mitglieder zu vermeiden. Sinnvoll ist zudem, dass zumindest ein Teil der Mitglieder von unpolitischen Institutionen berufen wird, die als unabhängig wahrgenommen werden. Das können Gerichte sein, sofern diese nicht als korrupt gelten, oder andere Institutionen, die im Land Vertrauen genießen.
Falls alle oder einige Mitglieder der Wahlkommission vom Parlament bestellt werden, kann es zudem angebracht sein, dass diese mit qualifizierten Mehrheiten – etwa mit einer Zweidrittelmehrheit wie in Tunesien – gewählt werden. Soweit von Parteien entsandte Personen in die Wahlkommission eingebunden werden, ist eine ausgeglichene Balance zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien sicherzustellen. Allerdings geht mit einer – selbst ausgeglichen – parteilichen Zusammensetzung der Wahlkommission die Gefahr einer Politisierung einher. So kann es sein, dass die Kommissionsmitglieder eher im Interesse ihrer Partei als im Sinne der Wählerschaft agieren. In Albanien, wo die Wahlkommission von den zwei größten Parteien im Parlament beherrscht wird, kam es in der Vergangenheit beispielsweise immer wieder zur Politisierung wahlorganisatorischer Probleme.57
Auf alle Fälle sollte das Wahlgesetz eindeutige und transparente Regelungen für die Nominierung der Kommissionsmitglieder beinhalten. Verstärkt eingefordert wird dabei auch eine angemessene Vertretung von Frauen, die in den jeweiligen Wahlkommissionen oft unterrepräsentiert sind. Anzuraten wäre gewiss auch die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung. Eine feste Amtszeit sowie klare Regeln für eine Absetzung nur unter besonderen Bedingungen stellen zudem institutionelle Vorkehrungen zur Sicherung einer etwaigen Unabhängigkeit dar. Dies ist nötig, denn es kann Versuche geben, missliebige Kommissionsmitglieder aus dem Amt zu entfernen.
In Bezug auf die Arbeitsweise der Wahlkommissionen sind Transparenz und Inklusion geboten, um die Legitimität der Wahlen zu erhöhen. Die Vorgaben und Entscheidungen der Kommissionen sollten öffentlich nachvollziehbar sein und möglichst einvernehmlich zustande kommen. Zugleich sind die mit der Wahl betrauten Personen, gerade auch auf lokaler Ebene, gut zu schulen, zumal, wenn neue Wahlvorschriften oder Technologien zur Anwendung kommen. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Wahladministration müssen die Wahlbehörden zudem Vorkehrungen treffen, um die Wahlinfrastrukturen vor Hacker-Angriffen zu schützen und die Datensicherheit zu gewähren. Entsprechende Schulungen und Trainingsprogramme werden, ggf. mit internationaler Unterstützung, durchgeführt. Im Idealfall werden auch umfassende Informationen zu den Wahlen oder dem Wahlprozedere im Rahmen sogenannter voter-education-Programme vermittelt, einschließlich von Maßnahmen zum kompetenten Umgang mit Desinformationen in sozialen Medien. Den mit der Wahlorganisation betrauten Organen kommt hierfür eine große Verantwortung zu. Wichtig ist dabei, dass die Wahlinformationen auch in der Sprache nationaler Minderheiten und für Menschen mit Behinderungen verfügbar sind.
Wahlgesetze – eindeutig, verständlich und anwendbar?
Die Durchführung demokratischer Wahlen bedarf eines klaren rechtlichen Rahmens. Grundlegende demokratische Wahlprinzipien sollten in der Verfassung verankert sein. Dort ist für gewöhnlich auch festgelegt, welche politischen Institutionen gewählt werden. Die meisten Aspekte des Wahlprozesses sind freilich gesetzlich geregelt. Vorzugweise sind die zentralen Regelungsbereiche in einem einzigen Wahlgesetz gebündelt und nicht über eine Vielzahl an Gesetzen und Dekreten verteilt, wie dies etwa in Italien der Fall ist. Auch beispielsweise in Großbritannien sind die Rechtsgrundlagen der Wahlen stark fragmentiert, unübersichtlich und schwierig anzuwenden.58 Ebenso wenig sollten Inkonsistenzen mit anderen Gesetzen auftreten, die für den Wahlprozess bedeutsam sind, wie etwa mit Parteien-, Medien- oder auch Strafgesetzen.
In Deutschland wird das vergleichsweise dünne Wahlgesetz, das in gerade einmal 52 gültigen Paragrafen die Durchführung der Bundestagswahlen regelt, durch die Bundeswahlordnung konkretisiert und durch weitere Gesetze, wie das Abgeordneten-, das Parteien-, das Wahlprüfungs- sowie das Wahlstatistikgesetz, ergänzt. Hinzu kommt die Bundeswahlgeräteverordnung. Auch einzelne Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des Strafgesetzbuchs und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sind als Rechtsgrundlagen für die Bundestagswahlen maßgeblich. Entsprechend umfangreich ist der über 1.000-seitige Kommentar zum Bundeswahlgesetz.59
Im Idealfall umfassen die wahlgesetzlichen Regelungen den gesamten Wahlprozess. Gelegentlich weisen Wahlgesetze in Demokratien aber Regelungslücken auf oder enthalten, wie wir noch sehen werden, Bestimmungen, die für entstehende und junge Demokratien wenig angemessen erscheinen. Hingegen sind die Wahlgesetze vieler nicht konsolidierter Demokratien oder gar mancher Wahlautokratien oft umfassender und regeln detailreich den Wahlprozess. Dies ist nicht zuletzt auf das Betreiben von Wahlberatungs- und Wahlbeobachtungsorganisationen zurückzuführen, die immer wieder Wahlgesetzreformen anmahn(t)en. Dahinter steht die Idee, dass angesichts einer fehlenden oder sich erst herausbildenden demokratischen Wahlkultur mit den Mitteln des Rechts darauf hingewirkt werden soll, dass die Wahlen demokratischen Ansprüchen genügen. European Commission for Democracy Through Law heißt bezeichnenderweise die „Venedig-Kommission“ des Europarats, die zahlreiche neue Wahlgesetze in Mittel- und Osteuropa einer kritischen Prüfung unterzogen hat. In vielen Fällen hat dies zu einer erheblichen Verbesserung des rechtlichen Rahmens der Wahlen geführt; mitunter kann es aber auch zu einer Überregulierung kommen. Denn dort, wo alles im kleinsten Detail geregelt ist, bleibt kein Platz für notwendige Anpassungen durch die – im Idealfall unabhängig und professionell arbeitenden – Wahlbehörden und kommt es zwangsläufig zu Verstößen, wenn die Einhaltung der Wahlregeln nicht eingeübt ist. Dies wiederum kann von autoritären Machthabern genutzt werden, um politische Kontrahenten wegen Wahlverstößen zu belangen.
Letztlich sollten Wahlgesetze eindeutig, verständlich und leicht anwendbar sein. Im Falle des Wahlgesetzes in Albanien, um nur eines von vielen Beispielen herauszugreifen, kritisierte ODIHR beispielsweise einen Mangel an Klarheit einiger Bestimmungen. Auch ist es wichtig, dass die Wahlgesetze nicht andauernd und nicht unmittelbar vor den Wahlen geändert werden, es sei denn, es müssen schwerwiegende Mängel behoben werden. In Italien unterliegt das Wahlsystem ständigen Änderungen und wurden noch wenige Monate vor den Parlamentswahlen 2018 hastig Wahlreformen durchgeführt. Besonders problematisch ist, wenn der Verdacht aufkommt, dass kurzfristige Wahlgesetzänderungen der Regierungspartei zugutekommen, wie dies beispielsweise im Vorfeld der türkischen Wahlen von 2018 beanstandet wurde.60