Название | Einfach weitergehen |
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Автор произведения | Gertraud Hofbauer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783864552038 |
»Mach dir bitte wegen uns keinen Stress, jetzt zählt nur, dass du gut auf dich selbst achtest! Ich bin in Gedanken bei dir und drück dich! Ich melde mich wieder! Bis bald!«
Was brauche ICH?
Nach diesem Telefonat fühle ich mich etwas besser. Es tut gut, zu wissen, nicht allein zu sein. Immer noch unschlüssig, was ich jetzt tun soll, kommt mir der Gedanke einer Aufstellung in den Sinn. Vielleicht kann ich erkennen, wohin der Weg führt?
Ich lege jeweils ein T-Shirt von Rupert und mir auf den Fußboden und stelle mich zuerst auf meinen Platz. Hier sehe ich in weite Ferne und erblicke am Ende ein wunderschönes, strahlendes Licht!
Alles wird gut werden, denke ich erleichtert.
Als Stellvertreterin auf Ruperts Platz blicke ich nach schräg vorne und erkenne hier seinen Vater, der ein Jahr nach unserer Hochzeit starb. Neben ihm stehen zwei Kinder und ich weiß, dass es sich hierbei um seine beiden Brüder handelt, die jung verstorben sind. Dahinter nehme ich schemenhaft noch andere Personen wahr. Mein Blick auf Ruperts Position ist klar und es fühlt sich alles sehr ruhig und abgeschlossen an. Ich fühle jetzt aber gleichzeitig, wie meine Frau sich um meine Füße schlingt und mich festhalten will. Aber es ist bereits entschieden. Mein Weg ist klar.
Schnell räume ich die T-Shirts wieder in die Koffer.
Vielleicht habe ich mich geirrt, meine Wahrnehmung kann ja getrübt sein durch den Schock!
Nach einer erneuten Zimmerwanderung beschließe ich, ebenfalls mit Fernheilung zu arbeiten. Ich setze mich also aufs Bett und richte meine Aufmerksamkeit eine Weile auf meine Atmung, bevor ich beginne.
Es dauert nicht lange, da »höre« ich Rupert klar und in normaler Lautstärke direkt neben mir: »Hör auf, ich will das nicht!«
Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich das zu beherzigen habe und alles andere übergriffig wäre. Aber er ist mein Mann! Ich will ihn nicht verlieren! Es kann nicht sein, was nicht sein darf!
Wider besseres Wissen fahre ich fort, nur um gleich darauf erneut seine Stimme zu »hören«, diesmal lauter und energischer: »Ich hab gesagt, du sollst aufhören! Ich will das nicht!«
Auffordernd setzt er hinzu: »Kümmere dich jetzt lieber um dich!«
Ich gebe auf, sitze nun einfach nur da und starre Löcher in die Luft. Wie gerne würde ich weinen können. Gleichzeitig fühle ich, dass mich dieser Schockzustand befähigt, durchzuhalten.
Was hat er gesagt? Ich soll mich jetzt um mich kümmern?
Mit geschlossenen Augen stelle ich mir die Frage: Was brauche ICH jetzt?
Die Antwort ist so klar wie einfach: ATMEN!
Langsam und gleichmäßig fließt der Atem, wieder und wieder. Nach ein paar Minuten frage ich erneut: Was brauche ich JETZT?
Die Antwort wiederholt sich ebenfalls: ATMEN!
Ich atme noch eine Weile ruhig weiter, dann geht mir die Geduld aus. Ich wandere lieber wieder umher und starre zwischendurch das Handy an, als ob ich von diesem eine Lösung ablesen könne.
Nichts geschieht.
Aus dem angrenzenden Zimmer kann ich laut den Fernseher hören, dazwischen knallen immer wieder irgendwelche Zimmertüren. Ich beschließe, zu Bett zu gehen, in der Hoffnung, etwas schlafen zu können, obwohl ich mich nicht müde fühle.
Die Nacht verläuft wie der Abend: Wandern, Trinken, Toilette, aus dem Fenster auf die Straße blicken, Licht an, Licht aus, das Handy betrachten.
Vielleicht werde ich angerufen und Rupert ist aufgewacht und ich darf doch zu ihm? Aber wenn er aufwacht und denkt, ich hätte ihn allein gelassen? Ich darf nicht daran denken, da werde ich verrückt! Ob die Kinder schlafen können? Ich möchte so gerne bei ihnen sein!
Ein Gedanke jagt den anderen, die ganze Nacht hindurch. Immer wieder dieselben Gedanken.
Erst gegen Morgen falle ich für eine Stunde in einen unruhigen Erschöpfungsschlaf und stehe um 7 Uhr bereits wieder unter der Dusche.
Der nächste Morgen (Donnerstag)
In dem großen Frühstücksraum sind um diese Zeit nur wenige Gäste. Ich hole mir eine Tasse Kaffee und ein Glas Orangensaft und setze mich an einen kleinen Tisch. Während ich mich dazu zwinge, ein kleines Baguette zu essen, freue ich mich bereits, anschließend mit Manuela telefonieren zu können.
Sie erzählt mir kurz darauf, dass sie gestern Abend alle lange zusammengesessen seien. Sie selbst, unsere Söhne Bäda und Georg, unser Schwiegersohn Christoph sowie Andi und Andrea. Ich bin dankbar, dass mein Bruder und meine Schwägerin bei ihnen waren. Außerdem berichtet sie, dass Koni noch vorbeigekommen sei. Er zählt neben Gerlinde und Robert zu unseren engsten Freunden, und ich habe schon gemeinsam mit ihm die Schulbank gedrückt. Es tut gut, zu hören, dass die Freunde in dieser Situation für die Kinder da sind.
Manuela äußert noch ein Anliegen: »Mama, Martina hat angerufen und sich erkundigt, ob sie zu dir runterfliegen soll? Und Andi hat gestern Abend das gleiche gefragt. Bitte, Mama, nimm das Angebot an! Wir machen uns so große Sorgen um dich!«
»Das ist wirklich sehr nett von ihnen, aber damit ist mir nicht geholfen, Maus. Ich würde jederzeit mit Papas Schwester oder meinem Bruder das Hotelbett teilen, aber ich müsste dann noch zusätzlich auf jemanden Rücksicht nehmen. Allein kann ich mich im Zimmer ungezwungen bewegen, ich kann die ganze Nacht das Licht anlassen, herumspazieren oder wonach mir auch immer ist. Wenn jemand bei mir wäre, würde ich zwangsläufig auf den anderen achten!«
»Aber die würden das doch verstehen! Bitte, Mama, lass zu, dass jemand zu dir kommt!«
»Nein, Manuela, das geht nicht. Ihr braucht euch wirklich um mich keine Sorgen zu machen, ich komm schon klar, das geht schon! Ich bin bestimmt im Schock, aber dadurch kann ich wunderbar funktionieren. Das beinhaltet aber auch, dass ich auf mich achte. Deshalb kann ich die Angebote, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, nicht annehmen! Bitte macht euch keine Sorgen um mich, notfalls könnte ich ja auch noch Franz, den Reiseleiter, anrufen.«
»Ja, gut«, erwidert sie kleinlaut und obwohl ich weiß, dass sie nicht überzeugt ist, kann ich in diesem Punkt nicht anders handeln, so leid sie mir auch tut.
Auf meine Nachfrage, wie die Buben es aufgenommen hätten, erklärt sie mir, dass Bäda (er mag seinen Schreibnamen Peter nicht besonders) es von ihr erfahren habe, nachdem er von derArbeit zu Hause war. Und sie hat ihm erzählt, wovon sie selbst überzeugt war: »Wenn Papa wieder daheim ist, wird er einige Bypässe bekommen und anschließend auf Reha gehen.« Etwas anderes kam für sie zu keinem Zeitpunkt in Betracht.
Ihren jüngsten Bruder Georg fand sie weinend vor, als sie ihm die Nachricht vom Herzinfarkt überbringen wollte. Er hatte es soeben von Bäda erfahren und Manuela konnte ihn nur noch tröstend in die Arme nehmen und halten.
Der Schmerz meiner Kinder treibt mir die Tränen in die Augen und gleichzeitig erfüllt mich tiefe Dankbarkeit, dass zwischen ihnen so viel Liebe und Zusammenhalt besteht.
»Manuela, ich mache mich jetzt auf den Weg ins Krankenhaus, um zu erfahren, wie es Papa geht. Sobald ich zurück bin, melde ich mich wieder!«
»Ja, mach das, Mama!«
»Bis bald! Ich hab euch lieb!«
»Wir dich auch, Mama!«
Gespräch mit der Ärztin
Kurz darauf befinde ich mich wieder vor der Intensivstation und warte hier mit einigen anderen Leuten. Hin und wieder wird einer von ihnen aufgerufen und darf eintreten.