Fluch der verlorenen Seelen. Darina D.S.

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Название Fluch der verlorenen Seelen
Автор произведения Darina D.S.
Жанр Языкознание
Серия Der Fluch der verlorenen Seelen
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969536155



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Demut aus. Ihren Kunst- und Geschichtskenntnissen nach zu urteilen, stammte dieses edle Werk aus der Gotik, vermutlich zwischen 12. und 14. Jahrhundert – so zumindest der Backsteinbauweise zufolge. Zudem war die Fassade von verschiedenen gotischen Elementen wie Spitzbogenfenstern aus Buntglas mit Fensterrosen und Verzierungen in Form gefalteter Blätter geschmückt. Schlanke flankierende Türmchen betonten die hochstrebende Bauweise. Diese waren eindrucksvoll mit Krabben und Wasserspeiern verziert. Neben dem massiven dunkelbraunen Holztor befanden sich jeweils zwei Lanzenfenster mit weiß-blauen Buntgläsern. Über dem Tor prangte eine silberne Inschrift: ›Nightingale Akademie‹. Östlich der Mauern entdeckte Amalia etwas entfernt einen Kirchturm.

      »Es ist faszinierend, nicht wahr?« Der Professor betrachtete ebenfalls die unvergleichlich schöne Fassade. »Dieses bezaubernde Kloster liegt an einem abgelegenen Ort inmitten dieser Berge, romantischen Wälder und Moore«, erklärte er und wirkte aufrichtig stolz auf das Gebäude. Hier lag die Grafschaft Blacksoul, nahe an den Städten Blackburn und Lancaster im Forest of Bowland. Doch die kleine beschauliche Grafschaft und das Kloster waren auf keiner Karte zu finden. Auch nach Aufzeichnungen suchte man vergeblich.

      »Amalia, wir müssen jetzt rein«, forderte sie der Professor auf und ging zu den beiden anderen, die bereits am Tor standen. Amalias Blick verharrte auf dem Schriftzug, als sie die Stufen zum Eingang hinaufstieg.

      »Wow«, murmelte sie, während sie sich im Eingangsbereich umschaute. Die hohen Wände mit einem abschließenden Kreuzrippengewölbe und die großen Fenster ließen den gesamten Saal leicht und schwerelos wirken. Das Licht der Abendsonne flutete den Raum und tauchte ihn in ein wunderschönes Karminrot.

      »Freya, kannst du Amalia ein bisschen rumführen? Und danach bring sie bitte in mein Büro«, sagte Professor Adams zu einer der Personen mit den mönchsähnlichen Kutten und begab sich hastig zu den großen Treppen am Ende des Saals.

      Mit einer eleganten Bewegung streifte sich Freya die Kapuze ab. Ihre langen dunkelbraunen Haare glitten über ihre Brust. Amalia konnte nicht bestreiten, dass sie eine sehr schöne Frau war. Volle Lippen, giftgrüne Augen und hohe Wangenknochen; ein Gesicht, das so unschuldig und verführerisch zugleich wirkte. Sie war etwas größer als Amalia und erschien reifer als sie.

      »Hey, vielleicht wachsen deine noch«, scherzte Freya und deutete dabei auf Amalias Brüste. Sie interpretierte deren Mustern als neidischen Vergleich, doch dem war nicht so. Amalia fand sie schlichtweg attraktiv.

      »Hi, ich bin Freya White und das hier neben mir ist Julien Jackdaw«, erklärte sie und zog dabei dessen Kapuze hinunter. Er warf ihr einen missmutigen Seitenblick zu.

      »Willkommen«, grüßte er freundlich und Amalia spürte, wie ihr die Verlegenheitsröte ins Gesicht stieg.

      »Kein Grund gleich rot zu werden. Ich weiß, Julien ist hier unser Schnuckel«, sagte Freya und lehnte den Ellenbogen auf seine Schulter. Amalia war nicht in der Lage, den Blick vom Schönling mit den hellblonden, kurzen Haaren und dunkelblauen Augen abzuwenden. Julien schaute Amalia direkt an und lächelte. Dabei wurde ihr Gesicht noch roter, so rot wie ein gekochter Hummer.

      »Ich schicke dir nachher ein Bild von ihm, aber jetzt müssen wir los«, rief Freya und schnappte Amalias Oberarm. Julien sah ihnen nach und hoffte, dass sie ihr nicht das Bild von der letzten Partynacht schicken würde.

      Die zwei Mädchen liefen einen langen Flur entlang. Amalia betrachtete im Vorbeigehen die Personen auf den Ölgemälden. Manche posierten auf Pferden, andere thronten auf übertrieben großen, protzigen, goldenen Sesseln und wiederum andere saßen in einer Tafelrunde mit Speis und Trank zusammen.

      »So, dann zäumen wir das Pferd mal von hinten auf. Hier am Ende des Ganges befindet sich eine Tür, durch die man zu den Stallungen kommt«, erklärte Freya.

      »Stallungen?«, fragte Amalia.

      »Ja, wir haben hier auf der Anlage Pferde, außerdem einen Fitness- und Trainingsraum, Unterrichtsräume, eine große Bibliothek, oh, und einen kleinen See. Aber alles zu seiner Zeit. Du sollst ja nicht von den ganzen Eindrücken erschlagen werden.« Freya zwinkerte ihr zu und sie setzten ihren Weg durch die Gänge fort. Wunderschöne gelbgoldene Kerzenleuchter zierten die Wände. Schließlich blieb Freya abrupt vor einer hellbraunen Flügeltür mit zwei goldenen Knäufen, um die sich vergoldeter Efeu rankte, stehen. Mit einem kräftigen Stoß öffnete sie die Tür. »Und das ist die Bibliothek«, sagte sie mit einer einladenden Bewegung. »Wenn du Ablenkung und Ruhe brauchst, hier findest du sie.«

      Amalia vermochte ihren Augen nicht zu trauen. Unzählige Bücher, nichts als Bücher. Das war zunächst alles, was sie sah. Von den farbenfroh gestalteten Exemplaren der Gegenwart bis hin zu in Leder gebundenen Schriften vergangener Epochen, stapelten sich hier die Erinnerungen sämtlicher Autoren der Geschichte. Die Bibliothek verlief auf zwei Ebenen, wobei der obere Teil über eine elegant geschwungene Wendeltreppe begehbar war. Ein Geländer mit Efeuranken aus patiniertem Messing schmückte die Holztreppe und die vielen elektrischen Kerzen des gewaltigen Kronleuchters erhellten den Raum. Auch dieser war aus Messing mit denselben Blätterornamenten, die im ganzen Gebäude zu finden waren. Ein Geruch von Leder, Staub, Holz und gealtertem Papier lag in der Luft.

      Die beruhigende Atmosphäre wurde durch Freyas Aufforderung jäh unterbrochen:

      »Los, weiter geht’s.«

      Amalia spürte Freyas Hand zwischen ihren Schulterblättern, die sie sanft nach draußen schob. Mit hastigen Schritten rauschte die Brünette den Gang entlang und zeigte Amalia im Vorbeigehen den Fitness- und Trainingsraum.

      »Morgen Nachmittag komm ich bei dir vorbei, dann essen wir gemeinsam und ich zeige dir noch etwas mehr von der Akademie«, sagte sie lächelnd.

      »Danke, das ist wirklich nett von dir, aber ich habe ein Problem«, erwiderte Amalia und blieb stehen.

      Freya streichelte ihren Rücken: »Was ist los?«

      »Ich habe keine Kleidung, außer der aus der Psychiatrie«, erklärte Amalia betrübt.

      »Okay, pass auf, wir machen das so: Ich komm schon vormittags zu dir ins Zimmer. Dann bring ich dir ein paar Klamotten von mir mit. Ich müsste sogar noch welche haben, die mir zu klein sind und dir von der Oberweite her passen könnten«, rief Freya euphorisch.

      Amalia begann zu kichern. »Vielen Dank. Du rettest mir das Leben«, sagte sie und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Sie kannte Freya erst seit einigen Minuten, aber ihre erfrischend natürliche Art zog Amalia regelrecht in ihren Bann. »Freya, da ist noch etwas … ähm … Intuitiv wusste ich, dass diese Wesen … ähm … ›Groohls‹ sagte Julien, glaube ich, keine Einbildung waren. Natürlich zweifelte ich dennoch an meinem Verstand … aber bitte sag mir: Was sind das für Kreaturen?«

      »Geister. Aber genug geplaudert, ich muss dich jetzt schnell beim Professor abliefern, er möchte ein paar Dinge mit dir besprechen«, speiste Freya sie ab. Und schon schleifte sie Amalia, die nicht einmal die Chance hatte, näher auf ihre neugewonnene Erkenntnis einzugehen, wieder hinter sich her bis zu Professor Adams’ Büro im ersten Stockwerk. Ungeduldig klopfte Freya mehrfach an dessen Tür und trat ein, ohne auf ein Hereinbitten zu warten. »Hallo, ich möchte nicht stören, aber die Tour ist beendet.« Freya drehte sich zu Amalia um und wisperte ihr beim Vorbeigehen zu: »Bis morgen.«

      »Danke, Freya. Bitte nimm Platz, Amalia. Ich hoffe, das war jetzt nicht alles zu viel für den ersten Tag?«, fragte der stellvertretende Leiter, während er auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Tisches zeigte.

      »Überhaupt nicht«, verneinte Amalia mit einem Kopfschütteln und setzte sich. Ihr Blick schweifte über das Mobiliar. Dieses Büro ähnelte in keiner Weise dem von Doktor Jones, der seine Urkunden wie Trophäen zur Schau gestellt hatte. Nein, die Einrichtung hier war schlicht und dennoch wirkte der Raum wegen der verschiedenen Pflanzen einladend. Zartrosa Orchideen verzierten den Fenstersims hinter dem Professor, rechts neben dem mahagonifarbenen Schreibtisch stand ein großer Benjamin, der bis zur Decke reichte, und links in dem dunklen Bücherregal, zwischen den alten in Leder gebundenen Enzyklopädien, befanden sich Kakteen in allen möglichen Formen. Von klein und dick bis lang und schmal war alles dabei.

      »Gut,