Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Название Chronik eines Weltläufers
Автор произведения Hans Imgram
Жанр Языкознание
Серия Karl May Sonderband
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783780216243



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Petershof ab. Die Familie Semenoff wohnte in derselben Straße. Ich schickte meine Karte hin, und kaum war der Bote wieder zurück, so hörte ich eilige Schritte und Iwan trat ein. Natürlich musste ich in seinem Haus, einem Palast, wohnen und er stellte mich dann sofort seiner Mutter vor. Später lud er mich zum Billardspiel ein, an dem auch die Gesellschafterin seiner Mutter teilnehmen würde. Ich stand am Fenster. Unten lenkte ein Reiter nach dem Tor. Es war der Dragonerrittmeister, den ich belauscht hatte. Er hieß Kasimir und war der Vetter von Iwan, doch der wollte von diesem nicht viel wissen. Da trat die Gesellschafterin ein, Fräulein Wanda Smirnoff. Es war Schreck, der sie so fürchterlich erbleichen ließ, als sie mich erblickte. Die ‚stille, ernste, fromme‘ Gesellschafterin war Adele Treskow, eine ‚alte Bekannte‘.

      Meine Bekanntschaft mit Adele ‚von‘ Treskow lag schon einige Zeit zurück. Ich lernte sie in einem Bahnhof im Ruhrgebiet kennen, wo sie ebenso wie ich den Zug nach Düsseldorf verpasst hatte. Da wir noch lange Zeit bis zur Abfahrt des nächsten Zuges hatten, suchten wir ein Kaffeehaus auf, wo wir beide Klavier spielten. Dort gesellte sich ein Mann zu uns, der sich als ‚Assessor Max Lannerfeld‘ vorstellte und die ‚Sängerin Adele von Treskow‘ von Berlin her kannte. Außerdem war noch ein reicher Viehhändler aus Köln da. Obwohl ich kein Spieler bin, ließ ich mich auf ein Kartenspiel mit finanziellem Einsatz ein. Ich aber wusste sofort, woran ich war; ich hatte es mit Gaunern zu tun. Ich gewann einige Male und verlor dann einmal. So hielt ich fest, bis vierzig Taler lagen. Da griff ich in die Tasche und zog drei Fünfzigtalernoten heraus. Das war mein Reisegeld, im Augenblick mein ganzes Vermögen. Ich sagte, dass ich diese Summe zusätzlich setzen würde, wenn ich jetzt gewänne. Und ich gewann. Dann strich ich das Geld ein. Es kam zu einem Wortgefecht, wobei sie verrieten, dass sie mich absichtlich hatten gewinnen lassen, um dann meinen erhöhten Einsatz zu kassieren. Ich verließ den Raum und meldete dem Wirt, dass verbotenes ‚Kümmelblättchen‘ gespielt worden war. Als einige Kellner in das Zimmer traten, war das Trio durch das Fenster entflohen. – Es war einige Monate später. Ich war wieder daheim in Dresden und gerade unverhofft von einer Reise zurückgekommen. Ich muss bemerken, dass ich mich damals für kurze Zeit als Redakteur hatte anstellen lassen. Mein Zimmer befand sich an meiner Arbeitsstelle. Da sah ich im Setzersaal noch Licht und hörte auch das Geräusch einer Handpresse. Als ich in den Raum trat, stand vor mir der ‚Herr Assessor Max Lannerfeld‘. Er hatte sich Passmuster gedruckt, die trotz der Unzulänglichkeit der alten Presse scharf ausgefallen waren. Die Polizei erschien und bemächtigte sich des Gefangenen. Die Untersuchung ergab, dass der Herr Assessor ein polnischer Schriftsetzer war, der längere Zeit in Berlin gearbeitet hatte. Später war er mit seiner Freundin, einer geborenen Polin, auf Reisen gegangen. Die ‚Sängerin‘ wurde nicht aufgefunden. Der Herr Assessor wurde zu einer längeren Haft verurteilt.4

      Zurück nach Moskau: Iwan Semenoff führte mich später in den Garten. Dabei konnte ich feststellen, dass dies der Ort war, wo das vereinbarte Stelldichein der beiden Verbrecher stattfinden sollte. Iwan befand sich an diesem Abend mit seiner Mutter im Theater. Noch vor Mitternacht begab ich mich leise in den Garten. Es mochte drei Viertel nach zwölf sein, als ich leichte Schritte vernahm, und wirklich erkannte ich in der Nahenden die Gesellschafterin. Kaum eine Minute später erschien eine männliche Gestalt. Seit ich diese Wanda erkannt hatte, wusste ich auch, wer er war: der frühere angebliche Assessor. Sie unterhielten sich über mich, konnten dann aber nicht weitersprechen, denn der Rittmeister kam. Ich erlauschte, dass man am folgenden Tag, wenn Iwan mit seiner Mutter das Haus verlassen hatte, einen Juwelier mit seinen kostbarsten Stücken in die Villa bestellt habe, um ihn auszurauben und dann mit der Beute zu verschwinden.

      Donnerstag, 30. Juli 1863:

      Am Morgen war es mein erstes, Iwan davon Mitteilung zu machen. Er erstarrte vor Erstaunen. Dann eilten wir auf das Polizeiamt. Iwan kannte einen der höheren Polizeibeamten, zu dem ich ihn begleitete. Dieser hörte unserem Bericht aufmerksam zu und nickte dann. Er kannte den Assessor, einen Polen namens Mieloslaw, ein höchst gefährlicher Mensch, der kürzlich erst aus dem Gefängnis entsprungen war. Mit mehreren verkleideten Polizeibeamten kehrten wir zu Iwans Palast zurück und beobachteten ihn unbemerkt. Eine Viertelstunde verging; da kam eine Droschke herbei und hielt vor dem Gittertor. Ein einzelner Herr stieg aus; er trug einen winzigen Koffer. Es war der Juwelier Schikawiersky. Kurze Zeit darauf verschwanden die verkleideten Polizisten im Eingang des Palastes. Wir gingen mit hinein und drangen mit den Polizisten in die Räume. Im Zimmer stand der frühere Schriftsetzer in der Livree des Hauses; etwas weiter vor ihm befand sich Wanda, als Baroneska verkleidet. In der Hand hielt sie bereits den kleinen Koffer. Auf dem Stuhl lag mehr, als er saß, der Juwelier. Er war gewürgt worden. Die Steine, die geraubt werden sollten, hatten einen Wert von mehreren hunderttausend Rubel. Mieloslaw wurde gefesselt. Ebenso erging es seiner Gehilfin.

      Freitag, 31. Juli 1863:

      Am Nachmittag kam die Kunde, dass der Rittmeister in der hochflutigen Moskwa ertrunken sei.

      Mittwoch, 7. August 1863:

      Ich blieb mehrere Tage Gast von Iwan Semenoff und seiner Mutter. Er zeigte mir die Schönheiten Moskaus, die ich allein nie in dieser großen Weltstadt gefunden hätte. Besonders der Kreml hatte es mir angetan. An der Beerdigung des Rittmeisters nahm ich nicht teil. Mieloslaw wurde mit seiner Gehilfin auf Lebenszeit nach Sibirien verbannt. Heute ist der Tag des Abschieds von Moskau und den gastfreundlichen Semenoffs. Ich werde über Minsk und Warschau in meine Heimat zurückkehren.

      5. ZWEITE NORDAMERIKA-REISE (1863-1865)

      Montag, 28. September 1863:

      Ich hatte geglaubt, meine Reiselust sei vorerst gestillt. Doch irgendwie hielt es mich nicht zu Hause. Nachdem ich die Wüste Sahara, Indien und die Sunda-Inseln kennengelernt hatte und in Russland gewesen war, zog es mich wieder in die Prärien Nordamerikas. Auch wollte ich Winnetou wiedersehen.

      Frühjahr 1864:

      Allerdings herrschte in den Vereinigten Staaten immer noch Bürgerkrieg. Die Eisenbahnverbindungen nach Westen waren deshalb stark eingeschränkt, aber irgendwie klappte es doch und auf Umwegen kam ich endlich in St. Louis an, wo ich sofort Mr. Henry, den Büchsenmacher, aufsuchte. Ihm musste ich von meinen Erlebnissen berichten und vor allem davon, wie sich der Henrystutzen bewährt hatte. Ich blieb einige Tage hier, um mich für den Westen zu rüsten. Danach, es war etwa Mitte Dezember 1863, verließ ich St. Louis und ging hinunter an den Rio Pecos, wo ich Winnetou traf, der mit mir einige befreundete Indianerstämme besuchte und die Prärien durchstreifte. Natürlich hatte er mir wieder Hatatitla anvertraut, der mich trotz mehrjähriger Abwesenheit sofort erkannte. Ich lernte nicht nur einige andere Indianerstämme kennen, sondern traf auch etliche Westmänner, deren Namen ich zwar kannte, die ich aber noch nie gesehen hatte. Wir kamen in Arizona auch in eine Gegend, die vielleicht nur von wenigen Indianern, aber noch nie von einem Weißen betreten worden war. Dort erlegten wir einen Grizzly auf einer Platte über einer Höhle in der Nähe eines Sees in einem tiefen Talkessel; Winnetou bezeichnete die Platte als ‚Fels des Bären‘ und den See als ‚Dunkles Wasser‘.1

      Unser gefährlichstes Abenteuer hatten wir zu bestehen, als wir Gott sei Dank ohne unsere beiden Pferde Hatatitla und Iltschi unterwegs waren. Wir kamen von der Sierra Guadalupe herunter und wollten über die öden Staked Plains nach Fort Griffin hinüber. Auf halbem Weg trafen wir mit vier Personen zusammen, die von Fort Davis kamen und hinauf nach Fort Dodge wollten. Die vier Leute waren dem Tod geradezu in die Arme gelaufen. Als wir sie fanden, lagen sie fast verschmachtet im Sand, und ihren Pferden ging es ebenso. Sie baten uns, sie in nördlicher Richtung durch die Wüste zu bringen. Infolgedessen wichen wir von unserem eigenen Weg ab und ritten nach Norden. Als wir eine Trinkstelle erreichten, war sie fast ausgetrocknet. Dürstend ritten wir weiter. Wir ließen uns von unseren Pferden fortschleppen und schon am nächsten Tag konnten sie uns kaum noch tragen. Als die Pferde zu schwach wurden, erstachen wir eins und tranken das Blut. Am nächsten Tag erstachen wir die übrigen. Ihr Blut hatte uns bis dahin am Leben gehalten, doch wir waren alle am Ende unserer Kräfte. Da gellte plötzlich ein Geheul um uns her und wir wurden von vierzehn Komantschen überfallen und gebunden. Wir waren vor Ermattung halb tot. Die Roten fütterten uns und gaben uns zu trinken. Als wir uns so weit erholt hatten, wurden wir fortgeschafft zu einem Baum. Dort sollten wir verbrannt werden. Zuerst kamen unsere vier Begleiter dran. Man band sie an den Stamm fest und brannte