Название | Das verlassene Haus |
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Автор произведения | Louise Penny |
Жанр | Языкознание |
Серия | Ein Fall für Gamache |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783311701262 |
Sie saßen auf Holzstühlen im Kreis. Jeanne zählte und machte einen beunruhigten Eindruck.
»Acht ist keine gute Zahl. Das gefällt mir nicht.«
»Was meinen Sie mit ›keine gute Zahl‹?« Madeleine spürte, wie ihr Herz schneller zu klopfen begann.
»Sie kommt gleich nach sieben«, sagte Jeanne, als würde das alles erklären. »Die umgedrehte Acht steht für Unendlichkeit.« Sie zeichnete das Symbol mit dem Finger in der Luft nach. »Die Energie ist in der Schleife gefangen. Sie findet keinen Ausgang. Sie wird immer stärker und immer wütender und frustrierter dabei.« Sie seufzte. »Ich habe kein gutes Gefühl.«
Die Lampen waren alle ausgeschaltet, und das einzige Licht kam von dem knisternden Kaminfeuer, das ihre Gesichter flackernd beleuchtete. Einige saßen im Dunkeln, den Rücken zum Feuer; die anderen waren nur eine Reihe körperloser, verängstigter Gesichter.
»Ich möchte, dass Sie alle Ihren Geist frei machen.«
Jeannes Stimme klang tief und voll. Sie saß mit dem Rücken zum Feuer, sodass ihr Gesicht im Schatten lag. Clara hatte den Eindruck, dass sie sich bewusst diesen Platz ausgesucht hatte, war sich aber nicht ganz sicher.
»Sie müssen tief atmen und Ihre Sorgen und Ängste loslassen. Geister können die Energie spüren. Negative Energie wird nur böse Geister anlocken. Wir wollen das Bistro mit positiver Energie und Freundlichkeit füllen, um die guten Geister anzulocken.«
»Scheiße«, flüsterte Gabri. »Das war keine gute Idee.«
»Halt die Klappe«, zischte Myrna neben ihm. »Gute Gedanken, du Trottel, und zwar hopp.«
»Ich habe Angst«, flüsterte er.
»Dann unterdrück sie. Denk dich an deinen Lieblingsort, Gabri, deinen Lieblingsort«, sagte Myrna heiser.
»Das ist mein Lieblingsort«, erwiderte Gabri. »Bitte, nimm sie zuerst, bitte, sie ist saftig und dick. Bitte, nimm nicht mich.«
»Du Furunkel«, zischte Myrna.
»Still, bitte«, sagte Jeanne mit mehr Autorität, als Clara ihr zugetraut hätte. »Wenn unvermittelt ein lautes Geräusch zu hören sein sollte, möchte ich, dass Sie sich alle an den Händen nehmen, haben Sie das verstanden.«
»Warum?«, flüsterte Gabri auf seiner anderen Seite Odile zu. »Erwartet sie was Schlimmes?«
»Psst«, sagte Jeanne leise, und sie stellten das Flüstern ein. Sie stellten das Atmen ein. »Sie kommen.«
Sie stellten ihren Herzschlag ein.
Peter trat in Claras Atelier. Er war schon unzählige Male hier drin gewesen und wusste, dass sie die Tür aus einem bestimmten Grund offen ließ. Weil sie nichts zu verbergen hatte. Und doch fühlte er sich irgendwie schuldig.
Er sah sich rasch um und ging zu der großen Staffelei, die mitten im Raum stand. Das Atelier roch nach Ölfarben, Lösungsmitteln und Holz, darunter lag eine Note von starkem Kaffee. Viele Jahre des Schaffens und viele Kannen Kaffee hatten den Raum auf angenehme Weise imprägniert. Warum fühlte sich Peter dann so bedroht?
Er blieb vor der Staffelei stehen. Clara hatte ein Tuch über die Leinwand gehängt. Er stand da und überlegte, sagte sich, dass er gehen sollte, flehte sich selbst an, das, was er vorhatte, nicht zu tun.
Als er sah, wie sich seine rechte Hand ausstreckte, konnte er kaum glauben, dass er das tat. Wie ein Mensch, der seinen Körper verlassen hatte, wusste er, dass er keine Kontrolle mehr über das Kommende hatte. Es schien vorherbestimmt zu sein.
Seine Hand griff nach dem fleckigen alten Tuch und zog.
Es war still im Raum. Clara hätte am liebsten Myrnas Hand ergriffen, aber sie traute sich nicht, sich zu bewegen. Für den Fall, dass irgendetwas kam und seine Aufmerksamkeit auf sie richten würde.
Dann hörte sie es. Sie alle hörten es.
Schritte.
Das Drehen eines Türknaufs. Ein Wimmern wie von einem verängstigten Hundewelpen.
Unvermittelt ertönten mehrere ohrenbetäubende Schläge. Ein Mann brüllte, Clara spürte, wie von beiden Seiten Hände nach ihr tasteten. Sie nahm sie und umklammerte sie, als hinge ihr Leben davon ab, während sie ständig wiederholte: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen.«
»Lasst mich rein«, heulte eine Stimme von draußen.
»O Gott, es ist ein böser Geist«, sagte Myrna. »Das ist deine Schuld«, sagte sie zu Gabri, dessen Augen vor Schreck weit aufgerissen waren.
»Pest«, heulte die körperlose Stimme. »Ihr seid die Pest.«
Eine Fensterscheibe klirrte, und ein furchterregendes Gesicht erschien. Alle im Kreis wichen keuchend zurück.
»Mach auf, du Blödmann, ich weiß, dass du da drin bist«, schrie die Stimme. Es war gewiss nicht das, was Clara als Letztes auf Erden zu hören erwartet hätte. Sie hatte immer gemeint, es wäre: »Was hast du dir dabei nur gedacht?«
Gabri erhob sich zitternd von seinem Stuhl.
»Herr im Himmel«, rief er und schlug ein Kreuz. »Es ist ein Vortoter.«
Hinter dem Fenster kniff Ruth Zardo die Augen zusammen und schlug ein halbes Kreuz.
Peter starrte das Bild auf der Staffelei an. Seine Kiefer verkrampften sich, und seine Augen wurden hart. Es war viel schlimmer, als er erwartet hatte, viel schlimmer als befürchtet, und Peter war von Haus aus ein furchtsamer Mensch. Vor ihm stand Claras neuestes Werk, dasjenige, das sie bald Denis Fortin zeigen würde, dem einflussreichen Galeristen aus Montréal. Bislang hatte Clara praktisch unbehelligt von irgendeiner Art von Publikum ihre unverständlichen Werke geschaffen. Zumindest fand Peter sie unverständlich.
Dann hatte eines Tages wie aus dem Nichts aufgetaucht Denis Fortin an ihre Tür geklopft. Peter war natürlich davon ausgegangen, dass der renommierte Galerist mit Kontakten in der gesamten Kunstwelt seinetwegen gekommen war. Schließlich war er der weithin bekannte Künstler. Seine akribisch genau gemalten Bilder verkauften sich für Tausende von Dollars und hingen in den besten Häusern Kanadas. Peter hatte Fortin deswegen mit der größten Selbstverständlichkeit in sein Atelier geführt, wo ihm höflich erklärt wurde, dass seine Bilder ja ganz schön wären, aber er, der Galerist, eigentlich wegen Clara Morrow gekommen sei.
Wenn Fortin gesagt hätte, eigentlich sei er ein Marsmännchen, wäre Peter auch nicht erstaunter gewesen. Er wollte Claras Bilder sehen? Warum das denn? Dann fing er an zu begreifen und starrte Fortin fassungslos an.
»Warum?«, hatte er gestammelt. Dann war die Reihe an Fortin zu starren.
»Clara Morrow wohnt doch hier? Die Künstlerin? Ein Freund zeigte mir ihre Mappe. Ist diese Mappe nicht von ihr?«
Fortin hatte eine Mappe aus seiner Aktentasche genommen und tatsächlich, da war Claras weinender Baum. Der Wörter weinte. Welcher Baum weint Wörter?, hatte sich Peter gefragt, als Clara ihm das Bild das erste Mal gezeigt hatte. Und jetzt sagte Denis Fortin, der bedeutendste Galerist in Québec, es sei ein beeindruckendes Werk.
»Das ist meins«, sagte Clara und war zwischen die beiden Männer getreten.
Verwundert, so als wäre das alles ein Traum, hatte sie Fortin in ihrem Atelier herumgeführt. Und sie hatte ihm ihre neueste Arbeit beschrieben, die sich unter der leinenen Tarnkappe befand. Fortin hatte auf das Tuch gestarrt, aber er hatte nicht danach gegriffen, hatte nicht einmal gefragt, ob sie es vielleicht entfernen würde.
»Wann wird es fertig sein?«
»In ein paar Tagen«, hatte Clara gesagt, ohne recht zu wissen, woher sie den Mut dazu nahm.
»Wie wäre es mit der ersten Woche im Mai?« Er hatte gelächelt und mit großer Herzlichkeit ihre Hand geschüttelt. »Ich bringe meine Kuratoren mit, dann können wir alle gemeinsam entscheiden.«
Entscheiden?