Название | Das verlassene Haus |
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Автор произведения | Louise Penny |
Жанр | Языкознание |
Серия | Ein Fall für Gamache |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783311701262 |
Am liebsten wäre er den matschigen Hügel hinuntergegangen, hätte den Dorfanger überquert und die Tür zu Oliviers Bistro geöffnet. Dort würde er sich die Hände am Kaminfeuer wärmen, Lakritzpfeifen und einen Martini bestellen. Und vielleicht eine dicke Erbsensuppe. Er würde alte Ausgaben des Times Literary Supplement lesen und sich mit Olivier und Gabri über das Wetter unterhalten.
Wie kam es, dass der Ort, den er auf Erden am liebsten mochte, so nahe bei demjenigen lag, den er am wenigsten mochte?
»Was ist das?« Jean Guy Beauvoir legte ihm die Hand auf den Arm. »Hören Sie das?«
Gamache lauschte. Er hörte Vögel. Er hörte die verwelkten Blätter zu seinen Füßen in der leichten Brise rascheln. Und er hörte noch etwas.
Ein Rumpeln. Nein, mehr als das. Ein gedämpftes Grollen. War das alte Hadley-Haus hinter ihnen zum Leben erwacht? Streckte es sich seufzend und stöhnend?
Er riss sich vom Anblick des friedlichen Dorfes los und drehte sich langsam um, bis sein Blick schließlich auf dem Haus ruhte.
Es starrte zurück, kalt, trotzig.
»Es ist der Fluss, Sir«, sagte Beauvoir und grinste verlegen. »Der Bella Bella. Schmelzwasser. Das ist alles.« Er beobachtete den Chief Inspector, wie er das Haus anstarrte, schließlich blinzelte Gamache und drehte sich mit einem Lächeln zu Beauvoir um.
»Sind, Sie sicher, dass es nicht das Haus war, das gestöhnt hat?«
»Ziemlich sicher.«
»Ich glaube Ihnen.« Gamache lachte. Er legte dem jüngeren Mann die Hand auf die Schulter unter der weichen Lederjacke, dann ging er auf das alte Hadley-Haus zu.
Beim Näherkommen sah er zu seiner Verwunderung, dass die Farbe abblätterte und mehrere Fensterscheiben zerbrochen waren. Das Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen« war umgefallen, auf dem Dach fehlten Ziegel, und selbst aus dem Schornstein waren einige Steine herausgebrochen. Es machte fast den Eindruck, als würde das Haus Teile von sich wegwerfen.
Hör auf damit, rief er sich zur Ordnung.
»Womit?«, fragte Beauvoir, der beinahe rennen musste, um mit dem Chef mitzuhalten, dessen Schritte immer größer und schneller wurden, je weiter sie sich dem Haus näherten.
»Habe ich etwa laut gesprochen?« Gamache blieb abrupt stehen. »Jean Guy«, setzte er an, aber dann wusste er nicht weiter. Während Beauvoir wartete, wechselte der Ausdruck auf seinem Gesicht von respektvoll und aufmerksam zu fragend, stellte Gamache fest.
Was will ich ihm eigentlich sagen? Dass er vorsichtig sein soll? Dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen? Nicht das Hadley-Haus, nicht dieser Fall, nicht einmal ihr eigenes Team.
Am liebsten hätte er den jungen Mann von dem Haus weggeschickt. Weg von der Ermittlung. Weg von ihm. So weit weg von ihm wie nur möglich.
Die Dinge waren nicht so, wie sie schienen. Die Welt, wie er sie kannte, veränderte sich, entstand neu. Alles, was er bisher als gegeben betrachtet hatte, als Tatsache, als real und unbestritten, war zusammengebrochen.
Aber er würde den Teufel tun und ebenfalls zusammenbrechen. Oder zulassen, dass jemand, der ihm nahestand, Schaden erlitt.
»Das Haus bricht zusammen«, sagte Gamache. »Seien Sie vorsichtig.«
Beauvoir nickte. »Sie auch.«
Drinnen im Haus war Gamache überrascht, wie normal alles aussah. Überhaupt nicht böse. Wenn es überhaupt etwas war, dann irgendwie armselig.
»Hier oben, Chef«, rief Agent Isabelle Lacoste, und die braunen Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie sich über das dunkle Holzgeländer beugte. »Sie ist in dem Zimmer da gestorben.« Lacoste deutete hinter sich und verschwand wieder.
»Frohe Ostern«, sagte sie wenig später, als Gamache die Treppe hinaufgestiegen war und ins Zimmer trat. Agent Lacostes Kleidung war von einem lässigen Chic, wie die der meisten Québecerinnen. Mit Ende zwanzig hatte sie bereits zwei Kinder und sich nicht die Mühe gemacht, die überflüssigen Pfunde wieder loszuwerden. Stattdessen zog sie sich gut an und war mit dem Ergebnis durchaus zufrieden.
Gamache sah sich um. An der einen Wand stand ein gewaltiges Himmelbett. Gegenüber befand sich ein offener Kamin mit einem ausladenden viktorianischen Sims. Auf dem Fußboden lag ein riesiger indianischer Teppich in kräftigen Blau- und Rottönen. Die Wände waren mit einer gemusterten William-Morris-Tapete beklebt, und die Lampen, sowohl die auf den Tischen als auch die Stehlampen, waren mit Quasten verziert. Über die Lampe auf dem Frisiertisch war kunstvoll ein bunter Schal drapiert.
Er fühlte sich hundert Jahre zurückversetzt. Nur die im Kreis aufgestellten Stühle in der Mitte des Zimmers passten nicht ins Bild. Er zählte sie. Zehn. Drei davon waren umgefallen.
»Vorsicht, wir sind noch nicht fertig«, sagte Lacoste, als Gamache einen Schritt auf die Stühle zu machte.
»Was ist das?« Beauvoir deutete auf den Teppich, auf dem etwas lag, das wie Eiskörnchen aussah.
»Wahrscheinlich Salz. Zuerst dachten wir, es könnte Crystal Meth oder Kokain sein, aber es ist einfach nur Steinsalz.«
»Warum streut jemand Salz auf einen Teppich?«, fragte Beauvoir, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Um den Raum zu reinigen, denke ich«, kam es zu seiner Überraschung zurück. Lacoste schien nicht bewusst zu sein, wie merkwürdig ihre Antwort klang.
»Verzeihung?«, fragte Gamache.
»Hier fand eine Séance statt, richtig?«
»Das hat man uns gesagt«, bestätigte Gamache.
»Was hat das mit dem Salz zu tun?«, fragte Beauvoir.
»Nur Geduld, Sie werden alles erfahren.« Lacoste lächelte. »Es gibt verschiedene Arten, eine Séance abzuhalten, aber nur eine, zu der ein Kreis aus Salz und vier Kerzen gehören.«
Sie deutete auf die Kerzen, die innerhalb des Kreises auf dem Teppich standen. Gamache hatte sie bis zu diesem Moment noch gar nicht bemerkt. Eine davon war umgefallen; als er sich darüberbeugte, meinte er einen Wachsfleck auf dem Teppich zu sehen.
»Sie stehen in den vier Himmelsrichtungen«, fuhr Lacoste fort. »Norden, Süden, Osten und Westen.«
»Ich kenne die Himmelsrichtungen«, sagte Beauvoir. Das alles behagte ihm überhaupt nicht.
»Sie sagten, es gäbe nur eine Art von Séance, zu der Kerzen und Salz gehören«, sagte Gamache mit ruhiger Stimme und wachsamem Blick.
»Bei den Wiccan«, sagte Lacoste. »Hexenkult.«
12
Madeleine Favreau war zu Tode erschreckt worden.
Das alte Hadley-Haus hatte sie umgebracht, daran bestand für Clara nicht der geringste Zweifel. Sie stand anklagend vor dem Haus. Lucy lief an der Leine vor und zurück, wollte weg von hier. Clara ging es genauso. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie es Madeleine schuldig war. Dem Haus die Stirn zu bieten. Es wissen zu lassen, dass sie Bescheid wusste.
In der vergangenen Nacht war etwas erwacht. Etwas hatte ihren kleinen Kreis aufgespürt, Freunde, die etwas Dummes, Albernes und Kindisches taten. Nichts weiter. Niemand hätte sterben sollen. Es wäre auch niemand gestorben, wenn sie die Séance an einem anderen Ort abgehalten hätten. Im Bistro war schließlich auch niemand gestorben.
An diesem gruseligen Ort war etwas zum Leben erwacht, war diesen Flur entlanggekommen, in das alte Schlafzimmer mit den Spinnweben, und hatte Madeleine umgebracht.
Clara würde sich für den Rest ihres Lebens daran erinnern. Die Schreie. Sie schienen von überallher zu kommen. Dann ein dumpfer Schlag. Eine Kerze flackerte und erlosch. Stühle fielen um, als die Anwesenden aufsprangen, um zu helfen oder um zu fliehen. Dann waren die Taschenlampen angegangen, und Lichtkegel hüpften kreuz und quer durch den Raum und hielten auf einmal inne. Beleuchteten alle dasselbe. Dieses Gesicht. Selbst jetzt im