Название | Verbot, Verfolgung und Neubeginn |
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Автор произведения | Helmut Reinalter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706561495 |
85 Zu Piaget vgl. hier auswahlweise H. Ginsburg, Piagets Theorie der geistigen Entwicklung, Stuttgart 2004; Th. Kesselring, Jean Piaget, München 1999; I. Scharlau, Jean Piaget zur Einführung, Hamburg 2007.
86 Vgl. dazu H. Reinalter, Neue Tendenzen in der Geschichtsschreibung, S. 22.
87 Vgl. dazu H. Reinalter, Freimaurerische Forschungsperspektiven in Europa, in: Deutsche und österreichische Freimaurerforscher, Innsbruck 2016, S. 9 ff. Dieser Forschungsband enthält allerdings nur bedeutende Freimaurerforscher Österreichs, Deutschlands und der Schweiz, bildet aber eine wertvolle Grundlage zur Erweiterung auf europäische und außereuropäische Freimaurerforscher.
II. Ein kurzer Rückblick. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei von 1795–1848/49
1. Das „Kriminalpatent“ von 1795
In der Geschichte der österreichischen Freimaurerei bildete das sogenannte „Kriminalpatent“ Kaiser Franz II., das gegen die Freimaurerei und Geheimgesellschaften gerichtet war, eine Zäsur. Schon ab 1792 wurde immer wieder in verschiedenen Polizeiberichten auf die Gefahr der Freimaurerei und Geheimgesellschaften hingewiesen. Diese Berichte verschärften sich noch nach der Entdeckung der Jakobiner-Verschwörung in der Habsburgermonarchie von 1794/95.88 Dort trafen sich Sympathisanten der Französischen Revolution in verschiedenen Lokalen, wobei aus diesen Zusammenkünften jakobinische Clubs wurden, in denen an der Regierung und am Kaiser heftige Kritik geübt und die Revolutionsereignisse in Frankreich diskutiert wurden. Die österreichischen Jakobiner wollten zunächst die Wiederaufnahme eines Reformprogramms josephinisch-leopoldinischer Prägung, die dann im Einflussfeld der Französischen Revolution und auf Grund der innenpolitischen Entwicklung unter Franz II. in ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen über das Reformprogramm hinausgingen. Sie glaubten nicht mehr daran, durch Reformen eine Änderung der bestehenden Gesellschaftsordnung erreichen zu können. Sie riefen daher zum revolutionären Umsturz auf und wollten die Umwandlung der Habsburgermonarchie in einen Rechtsund Verfassungsstaat.89 In der Haltung zur Revolution, zur revolutionären Gewalt und ihrer Rechtfertigung griffen die Jakobiner in Österreich auf verschiedene Positionen zurück. Auch in der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Französische Revolution legitim oder illegitim gewesen sei, ergaben sich für sie theoretische und politische Schlussfolgerungen. In den Diskussionen stand dabei das Problem der revolutionären Gewalt im Vordergrund. Darüber hinaus spielten in der Debatte über die Revolution auch theoretische Probleme eine Rolle, wie z.B. bei Andreas Riedel und Franz Hebenstreit, der eine Gesellschaftsutopie auf der Basis von Gütergemeinschaft entwickelte. Hebenstreits Gesellschaftsutopie war von urkommunistischen Idealen des frühen Christentums und von der Sehnsucht nach einem glücklichen Naturzustand geprägt. Er war davon überzeugt, dass nur durch den gemeinschaftlichen Genuss alle Laster von ihrer Wurzel her beseitigt werden könnten, und um dieses Ziel zu erreichen, postulierte er eine Gesellschaft mit gemeinschaftlicher Produktion und gemeinschaftlichem Erwerb.90
2. Die Jakobinerprozesse
Die österreichischen Jakobiner wurden in Hochverratsprozessen abgeurteilt. Der Kaiser war zunächst bestrebt, die Jakobiner, unter denen sich auch einige Freimaurer befanden, den ordentlichen Gerichten zu entziehen und diese von einem Sondergerichtshof aburteilen und ihre Rädelsführer hinrichten zu lassen. Die Juristen, besonders Karl Anton von Martini, weigerten sich jedoch unter Berufung auf die Abschaffung der Todesstrafe für Zivilpersonen durch Kaiser Joseph II., dieser Vorgangsweise, die einer Rechtsbeugung gleichgekommen wäre, zuzustimmen. Martini argumentierte auf der Grundlage des bestehenden Rechts und betonte, dass nur begangene Taten und nicht Gesinnungen oder Ideen bestraft werden dürfen und eine Rechtsbeugung auch in Notsituationen nicht zugelassen werden könne. Der Prozess und die Untersuchungshaft dauerten bis zum Urteilsspruch im Juli 1795, insgesamt ein Jahr. Das Wiener Kriminalgericht hielt die Anklagen der Untersuchungshofkommission aufrecht und bestätigte die Urteilsprüche des Appellationsgerichts und der Obersten Justizstelle in den Hauptpunkten, und auch das Militärgericht stimmte mit der von der Polizei erhobenen Anklage überein, die nach der Kriminalgerichtsordnung von 1787 auf Majestätsbeleidigung und Hochverrat lautete. Das Militärgericht verurteilte die österreichischen Jakobiner Hebenstreit und Gilowsky zum Tode durch den Strang. Da Gilowsky bereits während der Voruntersuchung in seiner Zelle Selbstmord begangen hatte, wurde die Vollstreckung des Urteils an seinem Leichnam vorgenommen. Neben den sieben Hinrichtungen auf der Ofener Generalwiese in Budapest 1795 wurde auch Siegfried Taufferer zum Tode verurteilt. Die übrigen Jakobiner bekamen langjährige Kerkerstrafen.91 Waren die Jakobiner in Österreich keine Zentren der Konspiration und auch keine „Generalstäbe des Umsturzes, sondern in erster Linie Treffpunkte, Diskussionsrunden und Kommunikationszentren“, so waren einige von ihnen doch Umschlagplätze für die Ideen der Revolution. In diesem Sinne war auch die Freimaurerei mit ihren Ideen und Handlungsweisen bei der geistigen Vorbereitung der gesellschaftlichen Entwicklungen durch ihr kulturelles, humanitäres und ethisches Engagement ihrer Mitglieder beteiligt.92
Kaiser Franz II. wandte sich am 02. Jänner 1795 mit einem Hofdekret gegen Staatsverbrecher. Das Patent nahm in aller Schärfe zu staatsgefährdenden Verbrechen Stellung. Wer die persönliche Sicherheit des Staatsoberhauptes verletzt, etwas zur gewaltsamen Umgestaltung der Staatsverfassung oder zur Vermehrung einer Gefahr von außen unternimmt, wurde in diesem sogenannten „Kriminalpatent“ als Hochverräter bezeichnet.93 Die Übertäter sollten durch den Strang hingerichtet werden, während jedem, der einen Hochverräter denunziert, Straflosigkeit und Geheimhaltung der Anzeige zugesichert wurde.
3. Polizei und Spitzelwesen
Wurde das geheime Polizeisystem schon unter Kaiser Joseph II. eingeführt, so begann nach 1815 die Polizei im Staat eine immer größere Rolle zu spielen. Als eine der Hauptaufgaben kam ihr die Verhinderung der Ausbreitung liberaler und demokratischer Ideen zu. Eine wesentliche Voraussetzung dafür waren die Verschärfung der Zensur und ein weitverzweigtes Spitzelwesen. So ist es verständlich, dass es in diesem politischen und geistigen Klima für die Freimaurerei kaum Möglichkeiten einer Reaktivierung nach dem Kriminalpatent gab. Es ist aber anzunehmen, dass die Brüder auch während der Restauration im Geheimen weiter in Verbindung blieben. Vielleicht gab es auch noch einzelne geheime Logen, wie ein Hinweis in den Tagebüchern Friedrichs von Kübecks belegt. Er berichtete darin 1809, dass er kontaktiert und aufgefordert wurde, Mitglied der Freimaurerei zu werden.94
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88 Vgl. dazu auswahlweise H. Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus und Revolution. Zur Geschichte des Jakobinertums und der frühdemokratischen Bestrebungen in der Habsburgermonarchie, Wien 1980; ders., Die Jakobiner in der Habsburgermonarchie, in: Revolutionäre Bewegungen in Österreich, hg. von E. Zöllner, Wien 1981, S. 93 ff.; ders., Österreich und die Französische Revolution, Wien 1988.
89 Vgl. dazu H. Reinalter, Die Französische Revolution und Mitteleuropa. Erscheinungsformen