Das Moordorf. Max Geißler

Читать онлайн.
Название Das Moordorf
Автор произведения Max Geißler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711467626



Скачать книгу

Wind — ja der Wind wird dann auch über das Moor fegen, von Haus zu Haus laufen und durch die Ritzen der Türen und Fenster heulen: Ham Rugen ist tot, Ham Rugen ist tot!

      Aber die Leute werden ihn nicht verstehen.

      Dann muss der tote Mann wochenlang auf dem Stroh liegen, und die Ziege, die angebunden hinter dem Gatter steht, muss verhungern; und wenn endlich von ungefähr ein Mann aus dem Moore des Weges kommt, wird der Mann sehen, dass die Tür zu Ham Rugens Hütte offen steht und der Wind mit ihr spielt. Und weil der Mann den Rauch des Torfbrands nicht unter dem Türbalken hervorspinnen sieht, wird er einen Augenblick still stehen und denken: „Warum hat Ham Rugen das Feuer ausgehen lassen?“ Da wird ihm der Wind einen Geruch von Moder und Verwesung um das Gesicht wehen ...

      „So sterben die Hunde auf der Heide,“ sagte Ham Rugen, stand vom Lager auf und band die Ziege los.

      Ich will sie nun immer frei umhergehen lassen und die ganze Hütte mit ihr teilen, dachte er, damit sie Futter findet, wenn es doch einmal kommt, dass der Tod die Hütte im Moor betritt.

      Und wie die weisse Ziege, des Strickes ledig, dennoch nicht auf die Diele heraustrat, deren Grund nur aus hartgestampftem Lehm bestand und nicht mit Brettern belegt war, vergass Ham Rugen sein Sinnen nicht.

      Er schürte mit der Torfzange den Brand ein wenig und überlegte, warum ihm wohl jetzt eine Furcht in das Herz gekommen. Er dachte: die Einsamkeit macht die Menschen, die in ihr leben, tiefer als andere, die im Getriebe des Tages hinhasten. Und der Mensch im Moor, der selten mit andern zusammentrifft, und auch Ham Rugen, der vordem in rastloser Hast seine Tage verlebt, hat sich gewöhnt, an Dinge zu denken, die er vorher gar nicht gesehen und gefühlt hat. In der Einsamkeit wird man sich selbst besser Freund.

      Oder es kam ihm noch ein anderer Gedanke: ob er sein Herz an das Werk gehängt habe, das er im vorigen Jahr begonnen, und ob er fürchte, es nicht zu Ende bringen zu können, weil ihm der Tod die Hacke aus der Hand nehmen werde ...

      Es war eine sonderliche Zwiesprache, die Ham Rugen mit seiner Seele hielt. Er forschte, er drang in sie.

      Aber es war, als ob diese Seele, um die er sich sein Lebtag nicht gekümmert hatte, ihn nicht verstehe, oder ob sie das Sprechen verlernt habe. Sie war verkümmert. Und Rugen dachte, er wolle sich noch mit ihr auseinandersetzen. Zeit genug, in sie hineinzuhorchen, habe er ja wohl.

      Zweites Kapitel.

      In den Mooren war das feine Rinnen der Wässer, das man nie zwischen den braunen Schollen, nie in dem weichen, schwarzen Grunde hört, als in der Zeit, da der Frühling in goldenen Schuhen durch das Heidegestrüpp wandert.

      In diesen Tagen des jungen Lichts, das mit sanften Händen das duftige Grün aus den Spitzen der Knospenhüllen auf den Birken herauszupfte, stand Ham Rugen auf dem Lande, das er dazu ausersehen hatte, Samen aufzunehmen und Früchte zu tragen.

      Aber als er mit dem Spaten die lockere Erde spaltete, die er im Herbst mit weichem Heidesande gemischt hatte, fand er, dass das Grundwasser im neuen Acker immer noch zu hoch stand.

      Da tat Ham Rugen seine Torfstiefel an, die ihm bis über die Knie reichten und reichlich mit Tran getränkt waren, und stand wieder in den Gräben, die er im Vorjahr gezogen, um sie noch mehr zu vertiefen. Er sah, dass sofort mit der Arbeit begonnen werden müsse, damit die Ostwinde, die gegen Ende März über die weiten Flächen des Tieflands wehen, die Trocknung des Erdreichs beschleunigten. Die Gräben konnten das wegen ihrer zu geringen Tiefe nicht in ausreichendem Masse vollbringen.

      Als auch diese Arbeit getan und die Wasserrinne, die dem breiteren Schiffgraben entgegenführte, so tief war, dass Ham Rugen bis an die Brust darinstand, musste er den zähen Klipp des schwarzen Grundes schier über sich werfen. Fast bis zu den Knien reichte ihm das braune Wasser, das an den steilrechten Wänden des Torfgrabens herabrieselte.

      Und Ham Rugen schuf der Bahn, die er dem rinnenden Gewässer gab, ein sanftes Gefälle, ohne jedoch so tief in den zähen Grund zu gehen, dass dieser dem Spiegel des Schiffgrabens gleichkam. Er dachte, das Wasser werde sonst von dorther seine Gräben füllen.

      Endlich verloren sich die Märznebel. Der Himmel stand in mattem Blau über der Welt. Schmale, dünne Wolkenstreifen schlugen sich in glänzendem Weiss durch das blaue Gewölbe, und in den Birken waren die Schleier aus feiner grüner Seide noch von dem rötlichen Braun der Knospenhüllen und Reiser durchsponnen.

      Ham Rugen wusste: nun werden die Ostwinde durch lange Tage über das Moor laufen. Die ferne Geest zeigte eine scharfe Linie gegen den Himmel nach Norden, und Kiefern und Eichen der Weiten, die Firste der fernen Dächer und was sonst noch in die klare, kühle Frühlingsluft hineinragte — alles stand hart gegen die Bläue des Himmels. Nur der Wind aus Osten, der über die endlosen Landstrecken gewandert, schafft diese kalte Klarheit der Linien, wie sie das ganze Jahr über im Moore nicht vorhanden ist.

      Allenthalben hatte der Frühling leise Spuren künftigen Glücks zurückgelassen. Nur die niederen Buschkiefern, die da und dort auf der Fläche standen und die auch Ham Rugens Hütte umgaben, waren noch ganz freudlos. An den Spitzen ihrer Zweige brannten noch nicht die rötlichen Lichter, die erst zur Maifeier aufgesteckt werden und nicht früher erwachen, bis die Nachtigallen in dem glänzenden Grün der Stechpalmen ihre Sommerwohnungen eingerichtet haben.

      Und der Ostwind kam und dörrte das Land.

      Ham Rugen legte Glut von seinem Herd in einen Torfhaufen, den der Winter zu Müll zerfroren; er warf den qualmenden Torf durcheinander.

      Der Wind lief um den Brand; aus allen Seiten glomm es hervor, und als der ganze Haufen glosende Glut war, warf der Mann den glühenden Torf über jene Strecke des Moorlandes, auf der er im Regen des Spätherbstes die Moormyrte und das Heidekraut bis an die Wurzeln gemäht hatte.

      Da brannte das Moor. Nirgend war eine Flamme, aber allenthalben war Glut.

      Ham Rugen hatte das Glühen an die Morgenseite der Fläche gelegt, quer über die Grenze des Landstrichs, den er in Asche zu verwandeln gedachte. Eine Spanne tief glomm die Glut. Und der Wind blies scharf hinein; da frass sie sich in den Torf und frass weiter bis zu dem Graben, den der Alte jenseits des Brandes gezogen.

      Schwer quoll der Qualm aus dem Grund; aber der Wind fasste ihn an, zerriss ihn und wirbelte die Fetzen in die Luft.

      Drei Tage lang brannte das Moor.

      Am dritten Tag, als der Ostwind nicht mehr über die Fläche stob, fiel ein sanfter, lauer Frühlingsregen. Da schwand das letzte winterliche Braun aus den Birken, und darüber war ein freundliches, zitterndes Grün.

      Nun erglommen auf dem schwarzen Moorgrunde die goldenen Sterne der Sumpfdotterblumen, und das Wollgras schoss aus den Schollen und spann seine weiche silberne Seide über das Schwarz und Grün der Moorflächen.

      Immer noch kräuselte der Rauch über dem brennenden Torf, und über dem grauen Felde war das sanfte Zischen der Tropfen. Der rinnende Regen fiel in die heisse Asche, und der Qualm kroch träg in das Gestrüpp und um die niederen Moorkiefern, die noch immer trutzig verzogen, ihre Kerzen zu Ehren des Frühlings aufzustecken.

      Ham Rugen schritt durch den bleigrauen Morgen. Er hatte den Esker über der Schulter und die Moorstiefel an. Wie der Frost kaum aus dem Erdreiche gewichen, war er zu dem Moortümpel gegangen, der sich unweit jenes Landstreifens befand, den er im Vorjahre mit Sand gemischt und den er so austrocknen zu können hoffte, dass in der Scholle die Kartoffel zu gedeihen vermöge.

      Aber die Rinnen, die er von dem fauligen Wasser in seinen Graben geleitet, hatten nur einen kargen Abfluss geschaffen. Schilfblätter schossen hervor wie blanke Schwerter, und Sumpfflanzen aller Art drängten sich ans Licht.

      Ham Rugen durfte nicht lange sinnend auf dem Flecke stehen, denn er fühlte den Grund unter seinen Füssen weichen. Weil er sich aber sagte, dass der Tümpel, der wohl schon Jahrhunderte gestanden hatte, aus jener Zeit übrig geblieben war, da das Moor ringsum sich zu Torf verdichtete, so vermutete er einen unterirdischen Zufluss.

      Der Tümpel selbst war vielleicht ein unergründliches, tiefes Sammelbecken für die Moorwässer, die von dieser