Название | Der Untertan |
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Автор произведения | Heinrich Mann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066116606 |
Man wird überrannt, vom Friedrichdenkmal fegt es die [pg 62]Neugierigen hinunter. Aber sie haben aufgerissene Münder; aus kleinen Beamten, denen der Weg ins Amt versperrt ist, fliegt Staub auf, als würden sie geklopft. Ein verzerrtes Gesicht, das Diederich nicht kennt, schreit ihm zu: „Es kommt anders! Jetzt geht es gegen die Juden!“ – und ist untergegangen, bevor ihm einfällt, es war Herr von Barnim. Er will ihm nach, wird in einem großen Schub weit hinübergeworfen, bis vor das Fenster eines Cafés, hört das Klirren der eingedrückten Scheibe, einen Arbeiter, der schreit: „Da haben se mich neulich ’rausgesetzt for meine dreißig Fennje, weil ich keinen Zylinderhut hatte“ – und dringt mit ein durch das Fenster, zwischen die umgeworfenen Tische, auf den Boden, wo man über Scherben fällt, einander die Bäuche einstößt und laut zetert. „Niemand mehr ’rein! Wir kriegen keine Luft!“ Aber immer mehr steigen ein. „Die Polizei drängelt!“ Und die Mitte der Straße sieht man frei liegen, gesäubert, wie für einen Triumphzug. Da sagt jemand: „Das ist doch Wilhelm!“
Und Diederich war wieder draußen. Niemand wußte, wie es kam, daß man auf einmal marschieren konnte, in gedrängter Masse, auf der ganzen Breite der Straße und zu beiden Seiten bis an die Flanken des Pferdes, worauf der Kaiser saß: er selbst. Man sah ihn an und ging mit. Knäuel von Schreienden wurden aufgelöst und mitgerissen. Alle sahen ihn an. Dunkles Geschiebe, ohne Form, planlos, grenzenlos, und hell darüber ein junger Herr im Helm, der Kaiser. Sie sahen: sie hatten ihn heruntergeholt aus dem Schloß. Sie hatten: „Brot! Arbeit!“ geschrien, bis er gekommen war. Nichts hatte sich geändert, als daß er da war – und schon marschierten sie, als gehe es auf das Tempelhofer Feld.
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Seitwärts, wo die Reihen dünner waren, sagten bürgerlich Gekleidete zu einander: „Na, Gott sei Dank, er weiß, was er will!“
„Was will er denn?“
„Der Bande zeigen, wer die Macht hat! Im guten hat er es mit ihnen versucht. Er ist sogar zu weit gegangen in den Erlassen vor zwei Jahren. Sie sind frech geworden.“
„Angst kennt er nicht, das muß man sagen. Kinder, dies ist ein historischer Moment!“
Diederich hörte es und erschauderte. Der alte Herr, der gesprochen hatte, wandte sich auch an ihn. Er hatte weiße Bartkoteletts und das Eiserne Kreuz.
„Junger Mann,“ sagte er, „was unser herrlicher junger Kaiser da macht, das werden die Kinder mal aus den Schulbüchern lernen. Passen Sie auf!“
Viele hatten gehobene Brüste und feierliche Mienen. Die Herren, die dem Kaiser folgten, blickten mit äußerster Entschlossenheit darein, ihre Pferde aber lenkten sie durch das Volk, als seien alle die Leute zum Statieren bei einer Allerhöchsten Aufführung befohlen; und manchmal schielten sie seitwärts, nach dem Eindruck im Publikum. Er selbst, der Kaiser, sah nur sich und seine Leistung. Tiefer Ernst versteinte seine Züge, sein Auge blitzte hin über die Tausende der von ihm Gebannten. Er maß sich mit ihnen, der von Gott gesetzte Herr mit den empörerischen Knechten! Allein und ungeschützt hatte er sich mitten unter sie gewagt, stark nur durch seine Sendung. Sie konnten sich an ihm vergreifen, wenn es im Plan des Höchsten lag; er brachte seiner heiligen Sache sich selbst zum Opfer. War Gott mit ihm, dann sollten sie es sehen! Dann bewahrten sie für immer das Gepräge seiner Tat und die Erinnerung an ihre Ohnmacht!
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Ein junger Mensch mit einem Künstlerhut ging neben Diederich, er sagte: „Kennen wir. Napoleon in Moskau, wie er sich solo unter die Bevölkerung mischt.“
„Das ist doch großartig!“ behauptete Diederich, und die Stimme versagte ihm. Der andere zuckte die Achseln.
„Theater, und nicht mal gut.“
Diederich sah ihn an, er versuchte zu blitzen wie der Kaiser.
„Sie sind wohl auch so einer.“
Er hätte nicht sagen können was für einer. Er fühlte nur, daß er hier, zum erstenmal im Leben, die gute Sache zu vertreten habe gegen feindliche Bemängelungen. Trotz seiner Aufregung sah er sich noch die Schultern des Menschen an: sie waren nicht breit. Auch äußerte die Umgebung sich mißbilligend. Da ging Diederich vor. Mit seinem Bauch drängte er den Feind gegen die Mauer und schlug auf den Künstlerhut ein. Andere knufften mit. Der Hut lag schon am Boden und bald auch der Mensch. Im Weitergehen bemerkte Diederich zu seinen Mitkämpfern:
„Der hat sicher nicht gedient! Schmisse hat er auch keine!“
Der alte Herr mit Bartkoteletts und Eisernem Kreuz war auch wieder da, er drückte Diederich die Hand.
„Brav, junger Mann, brav!“
„Soll man da nicht wütend werden?“ erklärte Diederich, noch keuchend. „Wenn der Mensch uns den historischen Moment verekeln will?“
„Sie haben gedient?“ fragte der alte Herr.
„Ich wäre am liebsten ganz dabei geblieben“, sagte Diederich.
„Na ja, Sedan ist nicht alle Tage“ – der alte Herr betupfte sein Eisernes Kreuz. „Das waren wir!“
Diederich reckte sich, er zeigte auf das bezwungene Volk und den Kaiser.
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„Das ist doch gerade so gut wie Sedan!“
„Na ja“, sagte der alte Herr.
„Gestatten Sie mal, sehr geehrter Herr“, rief jemand und schwenkte sein Notizbuch. „Wir müssen das bringen. Stimmungsbild, verstehnse? Sie haben wohl einen Genossen verwalkt?“
„Kleinigkeit“ – Diederich keuchte noch immer. „Meinetwegen könnt’ es jetzt gleich losgehen gegen den inneren Feind. Unseren Kaiser haben wir mit.“
„Fein“, sagte der Reporter und schrieb. „In der wildbewegten Menge hört man Leute aller Stände der treuesten Anhänglichkeit und dem unerschütterlichen Vertrauen zu der Allerhöchsten Person Ausdruck geben.“
„Hurra!“ schrie Diederich, denn alle schrien es; und inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen steinern und blitzend ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein [pg 66]verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt sie unsere Liebe!
... Einer der Schutzleute, deren Kette das Tor absperrte, stieß Diederich vor die Brust, daß ihm der Atem ausblieb; er aber hatte die Augen so voll Siegestaumel, als reite er selbst über alle diese Elenden hinweg, die gebändigt ihren Hunger verschluckten. Ihm nach! Dem Kaiser nach! Alle fühlten wie Diederich. Eine Schutzmannskette war zu schwach gegen so viel Gefühl; man durchbrach sie. Drüben stand eine zweite. Man mußte abbiegen, auf Umwegen den Tiergarten erreichen, einen Durchschlupf finden. Wenige fanden ihn; Diederich war allein, als er auf den Reitweg hinausstürzte, dem Kaiser entgegen, der auch allein war. Ein Mensch im gefährlichsten Zustand des Fanatismus, beschmutzt, zerrissen, mit Augen wie ein Wilder: