Der Untertan. Heinrich Mann

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Название Der Untertan
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066116606



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war. Er nannte seinen Namen, woraus sie frohlockte, sie seien alte Bekannte! „Nun?“ Diederich betrachtete sie forschend: das dicke, rosige Gesicht mit dem fleischigen Mund und der kleinen, frech eingedrückten Nase; das weißliche Haar, nett glatt [pg 108]und ordentlich, den Hals, der jung und fett war, und in den Halbhandschuhen die Finger, die die Wurst hielten und selbst rosigen Würstchen glichen. „Nein,“ entschied er, „kennen tu’ ich Sie nicht, aber kolossal appetitlich sind Sie. Wie ein frischgewaschenes Schweinchen.“ Und er griff ihr um die Taille. Im selben Augenblick hatte er eine Ohrfeige. „Die sitzt“, sagte er und rieb sich. „Haben Sie mehr solche zu vergeben?“ – „Es langt für alle Frechmöpse.“ Sie lachte aus der Kehle und zwinkerte ihn mit ihren kleinen Augen unzüchtig an. „Ein Stück Wurst können Sie haben, aber sonst nichts.“ Ohne zu wollen, verglich er ihre Art, sich zu wehren, mit Agnes’ Hilflosigkeit, und er sagte sich: „So eine könnte man getrost heiraten.“ Schließlich nannte sie selbst ihren Vornamen, und als er noch immer nicht weiterfand, fragte sie nach seinen Schwestern. Plötzlich rief er: „Guste Daimchen!“ Und beide schüttelten sich vor Freude. „Sie haben mir doch immer Knöpfe geschenkt von den Lumpen in Ihrer Papierfabrik. Das vergess’ ich Ihnen nie, Herr Doktor! Wissen Sie, was ich mit den Knöpfen gemacht hab’? Die hab’ ich gesammelt, und wenn meine Mutter mir mal Geld für Knöpfe gab, hab’ ich mir Bonbons gekauft.“

      „Praktisch sind Sie auch!“ Diederich war entzückt. „Und dann sind Sie immer zu uns über die Gartenmauer geklettert, Sie kleine Göre. Hosen hatten Sie meistenteils keine an, und wenn der Rock ’raufrutschte, kriegte man hinten was zu sehen.“

      Sie kreischte; ein feiner Mann habe für so was kein Gedächtnis. „Jetzt muß es aber noch schöner geworden sein“, setzte Diederich noch hinzu. Sie ward plötzlich ernst.

      „Jetzt bin ich verlobt.“

      Mit dem Wolfgang Buck war sie verlobt! Diederich [pg 109]verstummte, mit enttäuschter Miene. Dann erklärte er zurückhaltend, er kenne Buck. Sie sagte vorsichtig: „Sie meinen wohl, er ist ein bißchen überspannt? Aber die Bucks sind auch eine sehr feine Familie. Na ja, in anderen Familien ist wieder mehr Geld“, setzte sie hinzu. Hierdurch betroffen, sah Diederich sie an. Sie zwinkerte. Er wollte eine Frage stellen; aber er hatte den Mut verloren.

      Kurz vor Netzig fragte Fräulein Daimchen: „Und Ihr Herz, Herr Doktor, ist noch frei?“

      „Um die Verlobung bin ich noch herumgekommen.“ Er nickte gewichtig. „Ach! Das müssen Sie mir erzählen“, rief sie. Aber sie fuhren schon ein. „Wir sehen uns hoffentlich bald wieder“, schloß Diederich. „Ich kann Ihnen nur sagen, ein junger Mann kommt manchmal in verdammt brenzlige Sachen hinein. Für ein Ja oder Nein ist das Leben verpfuscht.“

      Seine beiden Schwestern standen am Bahnhof. Wie sie Guste Daimchen erblickten, verzogen sie zuerst das Gesicht, dann aber stürzten sie herbei und halfen das Gepäck tragen. Sie erklärten ihren Eifer, kaum daß sie mit Diederich allein waren. Guste hatte nämlich geerbt, sie war Millionärin! Darum also! Er war erschrocken vor Hochachtung.

      Die Schwestern erzählten das Nähere. Ein alter Verwandter in Magdeburg hatte Guste all das Geld vermacht, dafür, daß sie ihn gepflegt hatte. „Und sie hat es sich verdient,“ bemerkte Emmi, „er soll zuletzt furchtbar unappetitlich gewesen sein.“ Magda setzte hinzu: „Und sonst kann man sich natürlich auch noch allerlei denken, denn Guste war doch ein ganzes Jahr mit ihm allein.“

      Sofort bekam Diederich einen roten Kopf. „So was sagt ein junges Mädchen nicht!“ schrie er entrüstet; und [pg 110]als Magda beteuerte, das sagten auch Inge Tietz, Meta Harnisch und überhaupt alle: „Dann fordere ich euch energisch auf, dem Gerede entgegenzutreten.“ Es entstand eine Pause; darauf sagte Emmi: „Guste ist nämlich schon verlobt.“ – „Das weiß ich“, knurrte Diederich.

      Bekannte kamen ihnen entgegen, Diederich hörte sich „Herr Doktor“ nennen, erglänzte stolz dabei und ging weiter zwischen Emmi und Magda, die von der Seite seine neue Barttracht bewunderten. Zu Hause empfing Frau Heßling den Sohn mit ausgebreiteten Armen und einem Aufschrei, wie von einer Verschmachtenden, die gerade noch gerettet wird. Und was Diederich nicht vorausgesehen hatte: auch er weinte. Auf einmal empfand er die feierliche Schicksalsstunde, in der er das erstemal als wirkliches Haupt der Familie ins Zimmer trat, „fertig“, mit dem Doktortitel ausgezeichnet und bestimmt, Fabrik und Familie nach seiner überlegenen Einsicht zu lenken. Er gab Mutter und Schwestern die Hände, allen zugleich, und sagte mit ernster Stimme: „Ich werde mir immer bewußt bleiben, daß ich meinem Gott für euch Rechenschaft schulde.“

      Aber Frau Heßling war in Unruhe. „Bist du bereit, mein Sohn?“ fragte sie. „Unsere Leute erwarten dich.“ Diederich trank sein Bier aus und ging, an der Spitze der Seinen, hinunter. Der Hof war sauber gescheuert, den Eingang der Fabrik umrahmten Kränze und beschrieben eine Schleife um die Inschrift „Willkommen!“ Davor stand der alte Buchhalter Sötbier und sagte: „Na guten Tag, Herr Doktor. Ich bin nicht ’raufgekommen, weil ich noch was zu tun hatte.“

      „Heute hätten Sie das auch lassen können“, erwiderte Diederich und ging an Sötbier vorbei. Drinnen im [pg 111]Lumpensaal fand er die Leute. Alle standen sie in einem Haufen zusammen: die zwölf Arbeiter, die die Papiermaschine, den Holländer und die Schneidemaschine bedienten, und die drei Kontoristen, samt den Frauen, deren Tätigkeit das Sortieren der Lumpen war. Die Männer räusperten sich, man fühlte eine Pause, bis mehrere der Frauen ein kleines Mädchen hinausschoben, das einen Blumenstrauß vor sich hinhielt und mit einer Klarinettenstimme dem Herrn Doktor Glück und Willkommen wünschte. Diederich nahm mit gnädiger Miene den Strauß; nun war es an ihm, sich zu räuspern. Er wandte sich nach den Seinen um, dann sah er den Leuten scharf in die Augen, allen nacheinander, auch dem schwarzbärtigen Maschinenmeister, obwohl der Blick des Mannes ihm peinlich war – und begann:

      „Leute! Da ihr meine Untergebenen seid, will ich euch nur sagen, daß hier künftig forsch gearbeitet wird. Ich bin gewillt, mal Zug in den Betrieb zu bringen. In der letzten Zeit, wo hier der Herr gefehlt hat, da hat mancher von euch vielleicht gedacht, er kann sich auf die Bärenhaut legen. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum, ich sage das besonders für die alten Leute, die noch von meinem seligen Vater her dabei sind.“

      Mit erhobener Stimme, noch schneidiger und abgehackter; und dabei sah er den alten Sötbier an:

      „Jetzt habe ich das Steuer selbst in die Hand genommen. Mein Kurs ist der richtige, ich führe euch herrlichen Tagen entgegen. Diejenigen, welche mir dabei behilflich sein wollen, sind mir von Herzen willkommen; diejenigen jedoch, welche sich mir bei dieser Arbeit entgegenstellen, zerschmettere ich.“

      Er versuchte, seine Augen blitzen zu lassen, sein Schnurrbart sträubte sich noch höher.

      [pg 112]

      „Einer ist hier der Herr, und das bin ich. Gott und meinem Gewissen allein schulde ich Rechenschaft. Ich werde euch stets mein väterliches Wohlwollen entgegenbringen, Umsturzgelüste aber scheitern an meinem unbeugsamen Willen. Sollte sich ein Zusammenhang irgendeines von euch –“

      Er faßte den schwarzbärtigen Maschinenmeister ins Auge, der ein verdächtiges Gesicht machte.

      „– mit sozialdemokratischen Kreisen herausstellen, so zerschneide ich zwischen ihm und mir das Tischtuch. Denn für mich ist jeder Sozialdemokrat gleichbedeutend mit Feind meines Betriebes und Vaterlandsfeind ... So, nun geht wieder an eure Arbeit und überlegt euch, was ich euch gesagt habe.“

      Er machte schroff kehrt und ging schnaufend davon. In dem Schwindelgefühl, das seine starken Worte ihm erregt hatten, erkannte er kein einziges Gesicht mehr. Die Seinen folgten ihm, bestürzt und ehrfurchtsvoll, indes die Arbeiter einander noch lange stumm ansahen, bevor sie nach den Bierflaschen griffen, die zur Feier des Tages bereitstanden.

      Droben legte Diederich vor Mutter und Schwestern seine Pläne dar. Die Fabrik war zu vergrößern, das hintere Nachbarhaus anzukaufen. Man mußte konkurrenzfähig werden. Der Platz an der Sonne! Der alte Klüsing, draußen in der Papierfabrik Gausenfeld, bildete sich wohl ein, er werde ewig das ganze Geschäft machen?... Endlich tat Magda die Frage, woher er denn das Geld nehmen wolle; aber Frau