Название | Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe |
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Автор произведения | Sigmund Freud |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075836731 |
Für seine Malerei hatte dies die Folge, daß er ungern den Pinsel zur Hand nahm, immer weniger und seltener malte, das Angefangene meist unfertig stehenließ und sich um das weitere Schicksal seiner Werke wenig kümmerte. Das war es auch, was ihm seine Zeitgenossen zum Vorwurf machten, denen sein Verhältnis zur Kunst ein Rätsel blieb.
Mehrere der späteren Bewunderer Leonardos haben es versucht, den Makel der Unstetigkeit von seinem Charakter zu tilgen. Sie machen geltend, daß das, was man an Leonardo tadle, Eigentümlichkeit der großen 94 Künstler überhaupt sei. Auch der tatkräftige, sich in die Arbeit verbeißende Michelangelo habe viele seiner Werke unvollendet gelassen, und es sei so wenig seine Schuld gewesen wie die Leonardos im gleichen Falle. Auch sei so manches Bild nicht so sehr unfertig geblieben, als von ihm dafür erklärt worden. Was dem Laien schon ein Meisterwerk scheine, das sei für den Schöpfer des Kunstwerks immer noch eine unbefriedigende Verkörperung seiner Absichten; ihm schwebe eine Vollkommenheit vor, die er im Abbild wiederzugeben jedesmal verzage. Am wenigsten ginge es aber an, den Künstler für das endliche Schicksal verantwortlich zu machen, das seine Werke träfe.
So stichhaltig manche dieser Entschuldigungen auch sein mögen, so decken sie doch nicht den ganzen Sachverhalt, der uns bei Leonardo begegnet. Das peinliche Ringen mit dem Werke, die endliche Flucht vor ihm und die Gleichgültigkeit gegen sein weiteres Schicksal mag bei vielen anderen Künstlern wiederkehren; gewiß aber zeigte Leonardo dies Benehmen im höchsten Grade. Edm. Solmi zitiert (1910, 12) die Äußerung eines seiner Schüler: »Pareva, che ad ogni ora tremasse, quando si poneva a dipingere, e però non diede mal fine ad alcuna cosa cominciata, considerando la grandezza dell’ arte, tal che egli scorgeva errori in quelle cose, che ad altri parevano miracoli.« Seine letzten Bilder, die Leda, die Madonna di Sant’ Onofrio, der Bacchus und der San Giovanni Battista giovane seien unvollendet geblieben »come quasi intervenne di tutte le cose sue…« Lomazzo, der eine Kopie des Abendmahls anfertigte, berief sich auf die bekannte Unfähigkeit Leonardos, etwas fertig zu malen, in einem Sonett:
»Protogen che il penel di sue pitture
Non levava, agguaglio il Vinci Divo,
Di cui opra non è finita pure.«
Die Langsamkeit, mit welcher Leonardo arbeitete, war sprichwörtlich. Am Abendmahl im Kloster zu Santa Maria delle Grazie zu Mailand malte er nach den gründlichsten Vorstudien drei Jahre lang. Ein Zeitgenosse, der Novellenschreiber Matteo Bandelli, der damals als junger Mönch dem Kloster angehörte, erzählt, daß Leonardo häufig schon früh 95 am Morgen das Gerüst bestiegen habe, um bis zur Dämmerung den Pinsel nicht aus der Hand zu legen, ohne an Essen und Trinken zu denken. Dann seien Tage verstrichen, ohne daß er Hand daran anlegte, bisweilen habe er stundenlang vor dem Gemälde verweilt und sich damit begnügt, es innerlich zu prüfen. Andere Male sei er aus dem Hofe des Mailänder Schlosses, wo er das Modell des Reiterstandbildes für Francesco Sforza formte, geradewegs ins Kloster gekommen, um ein paar Pinselstriche an einer Gestalt zu machen, dann aber unverzüglich aufgebrochen. An dem Porträt der Mona Lisa, Gemahlin des Florentiners Francesco del Giocondo, malte er nach Vasaris Angabe vier Jahre lang, ohne es zur letzten Vollendung bringen zu können, wozu auch der Umstand stimmen mag, daß das Bild nicht dem Besteller abgeliefert wurde, sondern bei Leonardo verblieb, der es nach Frankreich mitnahm. Von König Franz I. angekauft, bildet es heute einen der größten Schätze des Louvre.
Wenn man diese Berichte über die Arbeitsweise Leonardos mit dem Zeugnis der außerordentlich zahlreich von ihm erhaltenen Skizzen und Studienblätter zusammenhält, die jedes in seinen Bildern vorkommende Motiv auf das vielfältigste variieren, so muß man die Auffassung weit von sich weisen, als hätten Züge von Flüchtigkeit und Unbeständigkeit den mindesten Einfluß auf Leonardos Verhältnis zu seiner Kunst gewonnen. Man merkt im Gegenteile eine ganz außerordentliche Vertiefung, einen Reichtum an Möglichkeiten, zwischen denen die Entscheidung nur zögernd gefällt wird, Ansprüche, denen kaum zu genügen ist, und eine Hemmung in der Ausführung, die sich eigentlich auch durch das notwendige Zurückbleiben des Künstlers hinter seinem idealen Vorsatz nicht erklärt. Die Langsamkeit, die an Leonardos Arbeiten von jeher auffiel, erweist sich als ein Symptom dieser Hemmung, als der Vorbote der Abwendung von der Malerei, die später eintrat. Sie war es auch, die das nicht unverschuldete Schicksal des Abendmahls bestimmte. Leonardo konnte sich nicht mit der Malerei al fresko befreunden, die ein rasches Arbeiten, solange der Malgrund noch feucht ist, erfordert; darum wählte er Ölfarben, deren Eintrocknen ihm gestattete, die Vollendung des Bildes nach Stimmung und Muße hinauszuziehen. Diese Farben lösten sich aber von dem Grunde, auf dem sie aufgetragen wurden 96 und der sie von der Mauer isolierte; die Fehler dieser Mauer und die Schicksale des Raumes kamen hinzu, um die, wie es scheint, unabwendbare Verderbnis des Bildes zu entscheiden.
Durch das Mißglücken eines ähnlichen technischen Versuchs scheint das Bild der Reiterschlacht bei Anghiari untergegangen zu sein, das er später in einer Konkurrenz mit Michelangelo an eine Wand der Sala del Consiglio in Florenz zu malen begann und auch im unfertigen Zustand im Stiche ließ. Es ist hier, als ob ein fremdes Interesse, das des Experimentators, das künstlerische zunächst verstärkt habe, um dann das Kunstwerk zu schädigen.
Der Charakter des Mannes Leonardo zeigte noch manche andere ungewöhnliche Züge und anscheinende Widersprüche. Eine gewisse Inaktivität und Indifferenz schien an ihm unverkennbar. Zu einer Zeit, da jedes Individuum den breitesten Raum für seine Betätigung zu gewinnen suchte, was nicht ohne Entfaltung energischer Aggression gegen andere abgehen kann, fiel er durch ruhige Friedfertigkeit, durch Vermeidung aller Gegnerschaften und Streitigkeiten auf. Er war mild und gütig gegen alle, lehnte angeblich die Fleischnahrung ab, weil er es nicht für gerechtfertigt hielt, Tieren das Leben zu rauben, und machte sich einen besonderen Genuß daraus, Vögeln, die er auf dem Markte kaufte, die Freiheit zu schenken. Er verurteilte Krieg und Blutvergießen und hieß den Menschen nicht so sehr den König der Tierwelt als vielmehr die ärgste der wilden Bestien. Aber diese weibliche Zartheit des Empfindens hielt ihn nicht ab, verurteilte Verbrecher auf ihrem Wege zur Hinrichtung zu begleiten, um deren von Angst verzerrte Mienen zu studieren und in seinem Taschenbuche abzuzeichnen, hinderte ihn nicht, die grausamsten Angriffswaffen zu entwerfen und als oberster Kriegsingenieur in die Dienste des Cesare Borgia zu treten. Er erschien oft wie indifferent gegen Gut und Böse, oder er verlangte mit einem besonderen Maße gemessen zu werden. In einer maßgebenden Stellung machte er den Feldzug des Cesare mit, der diesen rücksichtslosesten und treulosesten aller Gegner in den Besitz der Romagna brachte. Nicht eine Zeile der Aufzeichnungen Leonardos verrät eine Kritik oder Anteilnahme an den Vorgängen jener Tage. Der Vergleich mit Goethe während der Campagne in Frankreich ist hier nicht ganz abzuweisen.
97 Wenn ein biographischer Versuch wirklich zum Verständnis des Seelenlebens seines Helden durchdringen will, darf er nicht, wie dies in den meisten Biographien aus Diskretion oder aus Prüderie geschieht, die sexuelle Betätigung, die geschlechtliche Eigenart des Untersuchten mit Stillschweigen übergehen. Was hierüber bei Leonardo bekannt ist, ist wenig, aber dieses wenige bedeutungsvoll. In einer Zeit, die schrankenlose Sinnlichkeit mit düsterer Askese ringen sah, war Leonardo ein Beispiel von kühler Sexualablehnung, die man beim Künstler und Darsteller der Frauenschönheit nicht erwarten würde. Solmi zitiert von ihm folgenden Satz, der seine Frigidität kennzeichnet: »Der Zeugungsakt und alles, was damit in Verbindung steht, ist so abscheulich, daß die Menschen bald aussterben würden, wäre es nicht eine althergebrachte Sitte und gäbe es nicht noch hübsche Gesichter und sinnliche Veranlagungen.« Seine hinterlassenen Schriften, die ja nicht nur die höchsten wissenschaftlichen Probleme behandeln, sondern auch Harmlosigkeiten enthalten, welche uns eines so großen Geistes kaum würdig erscheinen (eine allegorische Naturgeschichte, Tierfabeln, Schwänke, Prophezeiungen, sind in einem Grade keusch – man möchte sagen: abstinent –, der in einem Werke der schönen Literatur auch heute wundernehmen würde. Sie weichen allem Sexuellen so entschieden aus, als wäre allein der Eros, der alles Lebende erhält, kein würdiger Stoff für den Wissensdrang des Forschers. Es ist bekannt, wie häufig große Künstler sich darin gefallen, ihre Phantasie in erotischen und selbst derb obszönen Darstellungen auszutoben; von Leonardo besitzen wir zum Gegensatze nur einige anatomische Zeichnungen über