Название | Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe |
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Автор произведения | Sigmund Freud |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075836731 |
Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar willkürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen Erfolg wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts, dass sie sich der Mitteilung entziehen. Gerade an diesen Analysen ist mir zweierlei besonders auffällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rechnenden Gedankengang versenke, der dann plötzlich bei der gesuchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der sich die ganze Nacharbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, dass die Zahlen meinem unbewussten Denken so bereitwillig zur Verfügung stehen, während ich ein schlechter Rechner bin und die grössten Schwierigkeiten habe, mir Jahreszahlen, Hausnummern und dergleichen bewusst zu merken. Ich finde übrigens in diesen unbewussten Gedankenoperationen mit Zahlen eine Neigung zum Aberglauben, deren Herkunft mir selbst noch fremd ist. Meist stosse ich auf Spekulationen über die Lebensdauer meiner selbst und der mir teuren Personen, und bestimmend auf die unbewussten Spielereien muss eingewirkt haben, dass mein Freund in B. die Lebenszeiten der Menschen zum Gegenstand seiner auf biologische Einheiten gegründeten Rechnungen genommen hat. Ich bin nun mit einer der Voraussetzungen, von denen er hierbei ausgeht, nicht einverstanden, möchte aus höchst egoistischen Motiven gerne gegen ihn Recht behalten und scheine nun diese Rechnungen auf meine Art nachzuahmen.
1 Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar willkürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klärung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme eines durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens. Dieses Überzeugungsgefühl besteht und weicht auch dem Glauben an den Determinismus nicht. Es muss wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. Es äussert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht bei den grossen und wichtigen Willensentscheidungen; bei diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des psychischen Zwanges und beruft sich auf sie (›Hier stehe ich, ich kann nicht anders‹). Hingegen möchte man gerade bei den belanglosen, indifferenten Entschliessungen versichern, dass man ebensowohl anders hätte handeln können, dass man aus freiem, nicht motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht man nun das Recht des Überzeugungsgefühles vom freien Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewussten von der Motivierung aus dem Unbewussten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, dass die bewusste Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entscheidungen erstreckt. Minima non curat praetor. Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbewussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durchgeführt.
2 Wenngleich dem bewussten Denken die Kenntnis von der Motivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sachlage abgehen muss, so wäre es doch erwünscht, einen psychologischen Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es ist aus Gründen, die sich bei näherer Kenntnis des Unbewussten ergeben, wahrscheinlich, dass solche Beweise irgendwo auffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene nachweisen, welche einer unbewussten und darum verschobenen Kenntnis von dieser Motivierung zu entsprechen scheinen.Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im Verhalten der Paranoiker, dass sie den kleinen, sonst von uns vernachlässigten Details im Benehmen der anderen die grösste Bedeutung beilegen, dieselben ausdeuten und zur Grundlage weitgehender Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloss auf ein allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht hatten. Ein anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Strasse gehen, mit den Spazierstöcken fuchteln u. dgl.Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Bedürftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehlleistungen gelten lässt, verwirft der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychischen Äusserungen der anderen. Alles, was er an den anderen bemerkt, ist bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er nur dazu? Er projiziert wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen, was im eigenen unbewusst vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so vielerlei zum Bewusstsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst durch die Psychoanalyse als im Unbewussten vorhanden nachweisen. Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sieht schärfer als das normale Denkvermögen, aber die Verschiebung des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine Erkenntnis wertlos. Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten. Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser Auffassung der Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das psychologische Verständnis der Überzeugung erleichtern, welche sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen geknüpft hat. Es ist eben etwas Wahres daran; auch unsere nicht als krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen zugehörige Überzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Gefühl ist für ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den übrigen Zusammenhang ausgedehnt.Ein anderer Hinweis auf die unbewusste und verschobene Kenntnis der Motivierung bei Zufalls-und Fehlleistungen findet sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Meinung durch die Diskussion des kleinen Erlebnisses klar legen, welches für mich der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war.Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden Arbeitsjahr beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen ärztlichen Manipulationen zweimal täglich vornehme. Wegen dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewusste Gedanken sehr häufig auf dem Wege zu der Kranken und während der Beschäftigung mit ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen, wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, von dem ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem Wagenstandplatz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignet es sich nun, dass der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich aussehenden Parallelstrasse Halt macht. Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte Dame nicht vorfinde? Für mich gewiss nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen. Ich erkläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuss gemacht und dann in »Gedanken«, in der »Zerstreutheit« vor das Haus der Parallelstrasse anstatt vors richtige gekommen wäre. Das würde ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der Deutung bedürftige Handlung mit unbewusster Absicht. Diesem » Vergehen« müsste ich wahrscheinlich die Deutung geben, dass ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte.Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in folgendem:Ich glaube nicht, dass ein Ereignis, an dessen Zustandekommen mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige