Название | Friedrich Schiller: Philosophische Werke |
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Автор произведения | Friedrich Schiller |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027204052 |
Auch in Kunstwerken kann man in das Niedrige verfallen, nicht bloß, indem man niedrige Gegenstände wählt, die der Sinn für Anstand und Schicklichkeit ausschließt, sondern auch indem man sie niedrig behandelt. Niedrig behandelt man einen Gegenstand, wenn man entweder diejenige Seite an ihm, welche der gute Anstand verbergen heißt, bemerklich macht, oder wenn man ihm einen Ausdruck gibt, der auf niedrige Nebenvorstellungen leitet. In dem Leben des größten Mannes kommen niedrige Verrichtungen vor, aber nur ein niedriger Geschmack wird sie herausheben und ausmalen.
Man findet Gemälde aus der heiligen Geschichte, wo die Apostel, die Jungfrau und Christus selbst einen Ausdruck haben, als wenn sie aus dem gemeinsten Pöbel wären aufgegriffen worden. Alle solche Ausführungen beweisen einen niedrigen Geschmack, der uns ein Recht gibt, auf eine rohe und pöbelhafte Denkart des Künstlers selbst zu schließen.
Es gibt zwar Fälle, wo das Niedrige auch in der Kunst gestattet werden kann, da nämlich, wo es Lachen erregen soll. Auch ein Mensch von feinen Sitten kann zuweilen, ohne einen verderbten Geschmack zu verrathen, an dem rohen, aber wahren Ausdruck der Natur und an dem Contrast zwischen den Sitten der feinen Welt und des Pöbels sich belustigen. Die Betrunkenheit eines Menschen von Stande würde, wo sie auch vorkäme, Mißfallen erregen; aber ein betrunkener Postillon, Matrose und Karrenschieber macht uns lachen. Scherze, die uns an einem Menschen von Erziehung unerträglich sein würden, belustigen uns im Munde des Pöbels. Von dieser Art sind viele Scenen des Aristophanes, die aber zuweilen auch diese Grenze überschreiten und schlechterdings verwerflich sind. Deßwegen ergötzen wir uns an Parodieen, wo Gesinnungen, Redensarten und Verrichtungen des gemeinen Pöbels denselben vornehmen Personen untergeschoben werden, die der Dichter mit aller Würde und Anstand behandelt hat. Sobald es der Dichter bloß auf ein Lachstück anlegt und weiter nichts will, als uns belustigen, so können wir ihm auch das Niedrige hingehen lassen, nur muß er nie Unwillen oder Ekel erregen.
Unwillen erregt er, wenn er das Niedrige da anbringt, wo wir es schlechterdings nicht verzeihen können, bei Menschen nämlich, von denen wir berechtigt sind feinere Sitten zu fordern. Handelt er dagegen, so beleidigt er entweder die Wahrheit, weil wir ihn lieber für einen Lügner halten, als glauben wollen, daß Menschen von Erziehung wirklich so niedrig handeln können; oder feine Menschen beleidigen unser Sittengefühl und erregen, welches noch schlimmer ist, unsere Indignation. Ganz anders ist es in der Farce, wo zwischen dem Dichter und dem Zuschauer ein stillschweigender Contrakt ist, daß man keine Wahrheit zu erwarten habe. In der Farce dispensieren wir den Dichter von aller Treue der Schilderung, und er erhält gleichsam ein Privilegium, uns zu belügen. Denn hier gründet sich das Komische gerade auf seinen Contrast mit der Wahrheit; es kann aber unmöglich zugleich wahr sein und mit der Wahrheit contrastieren.
Es gibt aber auch im Ernsthaften und Tragischen einige seltene Fälle, wo das Niedrige angewandt werden kann. Alsdann muß es aber ins Furchtbare übergehen, und die augenblickliche Beleidigung des Geschmacks muß durch eine starke Beschäftigung des Affekts ausgelöscht und also von einer höhern tragischen Wirkung gleichsam verschlungen werden. Stehlen z. B. ist etwas Absolut-Niedriges, und was auch unser Herz zur Entschuldigung eines Diebs vorbringen kann, wie sehr er auch durch den Drang der Umstände mag verleitet worden sein, so ist ihm ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt, und ästhetisch bleibt er immer ein niedriger Gegenstand. Der Geschmack verzeiht hier noch weniger, als die Moral, und sein Richterstuhl ist strenger, weil ein ästhetischer Gegenwand auch für alle Nebenideen verantwortlich ist, die auf seine Veranlassung in uns rege gemacht werden, da hingegen die moralische Beurtheilung von allem Zufälligen abstrahiert. Ein Mensch, der stiehlt, würde demnach für jede poetische Darstellung von ernsthaftem Inhalt ein höchst verwerfliches Objekt sein. Wird aber dieser Mensch zugleich Mörder, so ist er zwar moralisch noch viel verwerflicher, aber ästhetisch wird er dadurch wieder um einen Grad brauchbarer. Derjenige, der sich (ich rede hier immer nur von der ästhetischen Beurtheilungsweise) durch eine Infamie erniedrigt, kann durch ein Verbrechen wieder in etwas erhöht und in unsre ästhetische Achtung restituiert werden. Diese Abweichung des moralischen Urtheils von dem ästhetischen ist merkwürdig und verdient Aufmerksamkeit. Man kann mehrere Ursachen davon anführen. Erstlich habe ich schon gesagt, daß, weil das ästhetische Urtheil von der Phantasie abhängt, auch alle Nebenvorstellungen, welche durch einen Gegenstand in uns erregt werden und mit demselben in einer natürlichen Verbindung stehen, auf dieses Urtheil einfließen. Sind nun diese Nebenvorstellungen von einer niedrigen Art, so erniedrigen sie den Hauptgegenstand unvermeidlich.
Zweitens sehen wir in der ästhetischen Beurtheilung auf die Kraft, bei einer moralischen auf die Gesetzmäßigkeit. Kraftmangel ist etwas Verächtliches, und jede Handlung, die uns darauf schließen läßt, ist es gleichfalls. Jede feige und kriechende That ist uns widrig durch den Kraftmangel, den sie verräth; umgekehrt kann uns eine teufelische That, sobald sie nur Kraft verräth, ästhetisch gefallen. Ein Diebstahl aber zeigt eine kriechende, feige Gesinnung an; eine Mordthat hat wenigstens den Schein von Kraft, wenigstens richtet sich der Grad unsers Interesse, das wir ästhetisch daran nehmen, nach dem Grad der Kraft, der dabei geäußert worden ist.
Drittens werden wir bei einem schweren und schrecklichen Verbrechen von der Qualität desselben abgezogen und auf seine furchtbaren Folgen aufmerksam gemacht. Die stärkere Gemütsbewegung unterdrückt alsdann die schwächere. Wir sehen nicht rückwärts in die Seele des Thäters, sondern vorwärts in sein Schicksal, auf die Wirkungen seiner That. Sobald wir aber anfangen zu zittern, so schweigt jede Zärtlichkeit des Geschmacks. Der Haupteindruck erfüllt unsre Seele ganz, und die zufälligen Nebenideen, an denen eigentlich das Niedrige hängt, erlöschen. Daher ist der Diebstahl des jungen Ruhberg, in Verbrechen aus Ehrsucht, auf der Schaubühne nicht widrig, sondern wahrhaft tragisch. – Der Dichter hat mit vieler Geschicklichkeit die Umstände so geleitet, daß wir fortgerissen werden und nicht zu Athem kommen. Das schreckliche Elend seiner Familie und besonders der Jammer seines Vaters sind Gegenstände, die unsre ganze Aufmerksamkeit von dem Thäter hinweg und auf die Folgen seiner That leiten. Wir sind viel zu sehr im Affekt, um uns auf die Vorstellungen der Schande einzulassen, womit der Diebstahl gebrandmarkt wird. Kurz: das Niedrige wird durch das Schreckliche versteckt. Es ist sonderbar, daß dieser wirklich begangene Diebstahl des jungen Ruhberg nicht so viel Widriges hat, als der bloße ungegründete Verdacht eines Diebstahls in einem andern Schauspiel. Hier wird ein junger Officier unverdienter Weise beschuldigt, einen silbernen Löffel eingesteckt zu haben, der sich nachher findet. Das Niedrige ist also hier bloß eingebildet, bloßer Verdacht, und doch thut es dem unschuldigen Helden des Stücks, in unsrer ästhetischen Vorstellung, unwiederbringlich Schaden. Die Ursache ist, weil die Voraussetzung, daß ein Mensch niedrig handeln könne, keine feste Meinung von seinen Sitten beweist, da die Gesetze der Convenienz es mit sich bringen, daß man einen so lange für einen Mann von Ehre hält. als er nicht das Gegentheil zeigt. Traut man ihm also etwas Verächtliches zu, so sieht es aus, als ob er doch irgend einmal zur Möglichkeit eines solchen Argwohns Anlaß gegeben hätte, obgleich das Niedrige eines unverdienten Verdachts eigentlich auf Seiten des Beschuldigers ist. Dem Helden des angeführten Stücks thut es noch mehr Schaden, daß er Officier und Liebhaber einer Dame von Erziehung und Stande ist. Mit diesen beiden Prädicaten macht das Prädicat des Stehlens einen ganz erschrecklichen Contrast, und es ist uns unmöglich, uns nicht augenblicklich daran zu erinnern, wenn er bei seiner