Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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unverbesserlich wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk’ ich ihrer. Deine erdenflücht’gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden, und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner», lächelte er, «der seiner Blume vergäße. Leb’ wohl – ich biege rechts hinab.»

      «Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.»

      «Was liesest du jetzt? Noch Platon?»

      «Nein, Augustinus, Lebe wohl!»

      Zweiundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Rasch eile Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Tores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre, aber breite Gelasse zur Wohnung des Türmers bestimmt.

      Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind.

      In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strengster Ordnung die großen, schweren Schlüssel zu den Haupttüren und den Nebenpforten des wichtigsten Torgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse.

      Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien, und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen, unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag.

      «Sieh, Vater Isak», schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, «meine Rede ist keine eitle Rede, und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab’ ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab’ ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gib mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.»

      Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt. «Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn – ich sage dir, laß ab, laß ab.»

      «Warum? Was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?»

      «Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe, und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehen, daß sich Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.»

      Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloß.

      Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der Männer: jetzt sah man in den einfachen, aber gefälligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurückgestrichen, die edlen Schläfen zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in tiefes Sinnen versunken, über die Stadt und das Meer hinschweiften. «Dunkelmeeresblau» hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. –

      Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten, während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise erklang:

      «An Wasserflüssen Babylons

       Saß weinend Judas Stamm:

       Wann kommt der Tag, da Judas Stamm

       Nicht mehr zu weinen hat?»

      «Nicht mehr zu weinen hat!» wiederholte sie träumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt.

      «Sieh hin», sprach der Alte leise, «ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram, und ist kein Fehl an ihrem Leibe?»

      Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter.

      Jochem trat an das Fenster, und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. «Ha, der Christ, der gottverfluchte», knirschte er und ballte die Faust. «Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?» – «Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz gesetzt auf ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.»

      «Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!»

      «Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil’ge Synagoge mit unheil’gem Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!»

      «Ich bin ein Mann des Friedens», sagte Jochem unbehaglich, «meine Hand führt nicht das Schwert der Gewalt.»

      «Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda, und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier über mein lebendiges Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehova der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.»

      «Nun, wohl», sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, «ich gehe, diesmal für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser, zu machen ein groß Geschäft.»

      «Ein groß Geschäft? Mit wem?»

      «Mit Justinianus, dem Kaiser übers Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab’ entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder aufzubauen das Gebäude.»

      Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden:

      «Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in die Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!» – «Was rufest du Wehe und weißt nicht warum? Riechst du’s dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer, und glänzt es nicht gleich lieblich?»

      «Sohn