Название | Die Vollendung des Königs Henri Quatre |
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Автор произведения | Heinrich Mann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788726482881 |
Die Dame war einer so großen Gefahr entronnen, daß der Ritter nicht schnell genug zu ihr gelangen konnte. Der Schrecken verschlug ihm die Rede, nur Zeichen der Ergebenheit gab er von sich, und stieß heisere Freudenrufe aus, soweit er hierfür Stimme hatte. Die Dame schwoll zornig an, schon war sie stark gerötet. Niemand hatte sie bisher anders erblickt als in dem Schimmer der Lilien, diese überwogen bei weitem die Rosen. Der Ritter sah den Vorgang mit heimlichem Vergnügen, denn er gedachte mehrerer Geliebten des Königs, die dieser verlassen hatte, weil ihre Neigung, rote Flecken zu bekommen, ihm unerträglich wurde. Bei einer so jungen Person fehlten allenfalls zwanzig Jahre bis dahin; gleichviel. Rosny empfand Hoffnung und hätte einfach die Reise fortgesetzt. Dame d’Estrées dachte anders; jemand mußte ihren Zorn fühlen, und konnte nicht Rosny selbst es sein, dann sollte er doch mit eigener Hand den Kutscher durchprügeln für sein unzeitiges Bedürfnis. Das tat der große Diener des Königs, und etwas später lieferte er ihm die schöne Reisende ab, ganz in dem Schimmer der Lilien. „Alle waren bei dem Unfall vor Entsetzen grün“, erklärte er dem ungeduldigen Liebhaber. „Nur Madame de Liancourt bekam reizendere Farben als je. Sire! Daß Sie nicht dabei waren!“
Die arme Esther
Das Paar teilte augenscheinlich dieselbe Wohnung in der alten Abtei, worüber der Kanzelredner Boucher sich vor ganz Paris den Mund zerriß. Sein Erfolg war indessen nicht mehr auf der Höhe. Sein Publikum drückte sich nicht tot, die Fallsucht trat seltener auf: dies erstens wegen des Versagens der Ständeversammlung. Man sah endlich, daß die verschiedenen Bewerber um den Thron Frankreichs auf schwachen Füßen standen, einer wie der andere, aber vor dem Tor der Hauptstadt wartete der wahre König, brauchte nur abzuschwören und konnte alsbald einziehen. Auch bewies er seine Zuversicht, da er keinen Versuch mehr machte, gewaltsam einzudringen. Die Tore standen offen, die Bauern brachten ihre Vorräte, die Pariser wagten sich heraus. Sie waren satt gegessen, davon faßten sie Mut, bekamen auch die längst abgelegte Wißbegier zurück: wer immer nur mit knurrendem Magen denselben Boucher lügen hört, vergißt zuletzt wirklich, daß man hinsehen und erkennen sollte.
In Massen zogen sie nach Saint-Denis, drangen aber nur einzeln bis in die Nähe der alten Abtei; höchstens waren es zwei Freunde, die sich gemeinsam zu verteidigen gedachten. Schließlich hatte man es hier mit dem Antichrist zu tun, dafür sprach das meiste, denn wie hätte sonst ein exkommunizierter Ketzer seine Person solange behaupten können gegen die ganze Liga, die spanischen Armeen, das Gold Philipps und den päpstlichen Bannstrahl. Zwei kleine Bürger stahlen sich heute in den Klostergarten, suchten ein Versteck und wollten ausharren mit Hilfe der mitgenommenen Lebensrnittel. Nein, da ist das Ungeheuer, pünktlich, als ob man den Teufel beschwört, nur daß ihm keine Wolke von Schwefel vorangeht. Er hat nicht einmal seine Leibwache bei sich, ist ungerüstet, unbewaffnet; wie ein König ist der nicht gekleidet. Schon sind wir entdeckt, obwohl er uns hinter der Hecke nicht hätte sehen können. Es muß um ihn was Besonderes sein. „Sire! Wir haben keine bösen Absichten.“
„Ich auch nicht.“
„Wir schwören: Niemals haben wir geglaubt, daß Sie der Antichrist sind.“
„Euch mußt ich nun doch für dumme Teufel halten. Jetzt wird es Zeit, uns besser kennenzulernen. Sollen alle drei noch lang zusammen leben.“
Auf seinen Wink verließen sie ihre Deckung, und ehe es gedacht, lagen sie vor ihm auf den Knien. Er lachte gutmütig über ihre verdutzten Gesichter, fragte auf einmal ernst nach ihrer kürzlich verbrachten Zeit der Not; und da sie ein gewisses Mehl erwähnten, sie hatten es wirklich von den Friedhöfen geholt, was sie selbst schon nicht mehr glauben wollten: da schloß der König die Augen und erbleichte.
Von dieser Begegnung berichteten sie nachher einer großen Zahl begieriger Personen, die aber weniger seine Worte zu kennen verlangten als seine Miene und Gebärden. Ob er böse wäre, ob gut.
„Er ist traurig“, bekundete einer derer, die ihm nahe in das Gesicht geblickt hatten. Der andere widersprach.
„Wie kannst du das wissen. Die ganze Zeit hat er sich lustig gemacht. Obwohl. Allerdings.“ Hier stockte der Mensch, der ihn für einen Spaßmacher hielt.
„Obwohl. Allerdings“, sagte in Zweifeln befangen auch der, dem er betrübt erschienen war.
„Groß ist er.“ Darin waren beide einig. „Vonhohem Wuchs, leutselig und so einfach, daß man erschrickt, ja, daß man —“
„Ihm die Hand gibt“, schloß schnell der zweite. Der erste schwieg betreten. Er hätte fast verraten, daß sie vor dem König am Boden gelegen hatten.
Der König empfing nun in seinem Klostergarten den Besuch des Pastors La Faye, der hielt an der Hand eine verschleierte Frau. „Wir sind ungesehen eingetreten“, waren die ersten Worte des alten Mannes.
Henri konnte keinen Sinn darin finden, er sah von dem Pastor zu der Frau; ihr Schleier war aber dicht. „Ungesehen — und unerwartet“, äußerte er in Eile; er war auf dem Wege zu Gabriele.
„Sire! Lieber Sohn“, sagte der Alte. „Gott vergißt nichts, und wenn wir am wenigsten darauf gefaßt sind, führt er uns unsere Taten vor Augen. Wer sie beging, soll sie nicht verleugnen.“
Hier begriff Henri. Diese Frau mußte er gekannt haben, wer weiß wo und in was für Tagen. Vergebens suchte er nach einem Zeichen auf ihrer unbedeckten Hand. Kein Ring; aber die Finger waren gequollen und eingerissen von Arbeit. Innerlich riet er Namen, fürchtete übrigens, belauscht zu werden, gern hätte er sich nach den Fenstern des Hauses umgesehen.
„Sie ist von unserem Glauben“, sagte La Faye und entschleierte sie. Da war es Esther aus La Rochelle: Henri hatte sie geliebt so gut wie zwanzig andere und vielleicht besser als zehn von ihnen, wer unterscheidet es noch. Er ist unterwegs zu Gabriele.
„Madame de Boislambert, wie ich sehe. Madame, der Augenblick ist schlecht gewählt, ich habe Geschäfte.“ Er denkt: ,Gabriele, der dies ganz gewiß hinterbracht wird!‘
Pastor La Faye mit wehenden weißen Haaren, sehr fest: „Sehen Sie besser hin, Sire! Vor ihrem Gewissen fliehen die von der Religion nicht.“
„Wer spricht von Flucht.“ Henri stellte sich zornig, aber im Verlauf seiner Rede wurde er es in der Tat. „Ich flieh ja nicht, hab aber Geschäfte und erlaube keinen Überfall. Auch Ihnen nicht, Herr Pastor.“
„Sire! Sehen Sie besser hin“, wiederholte der Pastor. Da sank in Henri eine Schwinge nieder, ihn trug nichts mehr, weder Verlangen noch Zorn. Vor ihm, jetzt wirklich entschleiert, eine gealterte, kranke und ärmliche Person — hatte aber einst sein Geschlecht entzückt und seine Kraft begeistert. Er wäre nicht soweit gelangt, nicht bis vor das offene Tor seiner Hauptstadt, wenn diese alle ihn nicht entzückt und begeistert hätten. ,Esther! Das ist aus ihr geworden. La Rochelle, Festung am Meer, starke Zuflucht der Hugenotten, wir zogen aus ihr in viele Schlachten als Kämpfer für das Gewissen. Nicht nötig, Pastor, mich anzublitzen: wir sind einig. Es war der rechte Augenblick.‘
„Madame, was ist Ihr Anliegen?“ fragte Henri.
Er denkt: ,Der Augenblick für die Hugenottin Esther, mir elend unter die Augen zu treten, ist genau dieser. Ich soll die Religion abschwören, dafür bin ich glücklich mit Jesabel, die den König Ahab zum Gotte Baal verführt. Wird aber dereinst von den Hunden gefressen. O schnell bestrafte Schönheit, unser Undank schwärzt sie: Esther aus La Rochelle haben nunmehr der Kummer und die Not im Gesicht geschwärzt!‘
Hier wäre er dennoch geflohen, wenn sie nicht gesprochen hätte. Ihre rauhe, schwache Stimme sprach:
„Sire!