Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Aber auch unsere vorher beschriebene Landkarte würde diesem Repräsentationswillen entsprechen, indem sie die Hauptkompetenz der Familie präsentiert: die professionelle Zivilisierung des Nordwaldes, die von den verlässlichen Kuenringern mit ihrem Familienkloster erfolgreich abgewickelt wurde und zwar auf allen Ebenen – hinsichtlich der Religion, der Verwaltung, der Bildung und der Wirtschaft. Die Kuenringer haben eine der wildesten Gegenden des Herzogtums unterworfen und entmystifiziert. Das ist die Geschichte in der Bärenhaut. Und so ist es auch kein Zufall, dass in dieser Prachthandschrift zum ersten Mal die Gründungslegende des Stiftes auftaucht, also ein eigener Mythos ins Spiel kommt: Es heißt dort, dass dem Stifter Hadmar I. von Kuenring im Traum die Gottesmutter erschienen sei und ihm eine grünende Eiche im winterlichen Wald zeigte. Der Mönch Hermann, der als erster Abt dem Konvent vorstehen sollte, hatte den gleichen Traum. Und tatsächlich sollen die beiden diesen prophezeiten Baum dort gefunden haben, wo heute das Kloster steht.25 Die Botschaft an die Leute im Herrschaftszentrum ist, dass dort, wo noch vor gar nicht so langer Zeit göttliche Erscheinungen und unerklärliche Naturerscheinungen stattgefunden haben, Zivilisation und damit Sicherheit für mögliche Investitionen herrscht. Und die brauchen die Mönche, um ihre Pläne für die Vergrößerung ihres Klosters umzusetzen und vor allem, um eine größere Kirche zu bauen. Die theoretischen Konzepte für die Bewirtschaftung der kargen, asketischen Gegend funktionieren zwar, werfen aber nicht genug Mittel für die Bauvorhaben ab. Die Kuenringer machen also Werbung für Investitionen in Zwettl bei den Wiener Bürgern. Das ist die eine Variante. Die andere ist, dass die Mönche sehen, dass ihre Gründerfamilie sie nicht mehr erhalten kann und reiche Wiener Bürger als Investoren nach Zwettl locken wollen.26 Die Strategie ist erfolgreich, denn es entschließen sich einige Mitglieder von Wiener Familien, in das Kloster einzutreten, so viele, dass ein neues Dormitorium (Schlafsaal) für 64 Mönche gebaut und schließlich 1343 mit dem Bau einer gotischen Kirche in für die Gegend enormen Ausmaßen begonnen werden kann.27
Der Ausgang der Geschichte ist schnell erzählt. Fünf Jahre nach Baubeginn der großen Kirche ist das Pestjahr 1348, die Arbeiten kommen zum Erliegen. Zwar wird die Kirche unter größten Anstrengungen fertig gebaut, aber das Stift kann sich bis zum Ende des Mittelalters wirtschaftlich nicht mehr von dem Großprojekt erholen. Die Kuenringer versinken in der Bedeutungslosigkeit und werden am Ende von der Propaganda zu Raubrittern gemacht und geächtet.
Erst Mitte des 17. Jahrhunderts wird diese Geschichte von Abt Bernhard Linck wieder erforscht28. Er reitet mit seinem Amtmann den Umritt nach und lässt die Gegend von einem bedeutenden Kartographen in Kupfer stechen (Abb. 3). Auf dieser Zeichnung sehen wir eine voll entwickelte Kulturlandschaft mit bewirtschafteten Fluren, Gutshöfen, Fischteichen und einem Straßennetz. Im Zentrum dominiert dabei nicht mehr das Kloster, sondern der Kamp mit seinen Zuflüssen. Es ist nur mehr wenig Wald sichtbar und der ist fein säuberlich in Forsten kultiviert. Alles ist umschlossen von einem Kreis, den wir aus der Bärenhaut kennen und der am ehesten an die Projektierungen der vor Kurzem umgesetzten Zwettler Schnellstraßenumfahrung erinnert.
Die beschriebenen Einwirkungen des Menschen sind in der Erdkruste nachvollziehbar und gespeichert. Aber nicht nur dort, sondern auch in den Aufzeichnungen der handelnden Menschen sind sie dokumentiert. Die Archive und Bibliotheken sind voll von Material, das – ähnlich wie die geologisch „eingeschriebenen“ Informationen – im Hinblick auf das Anthropozän neu ausgewertet werden kann. Beiden Dokumentationen ist gemeinsam, dass sie uns eine Entwicklung im Sinne von Ursache und Wirkung nachzeichnen lassen. Der Unterschied zwischen beiden Wissensspeichern liegt vielleicht in den ideengeschichtlichen Informationen über die Vorstellungswelten und Motivationen, die aus den schriftlichen Quellen in den Archiven gelesen werden können. In der Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der Interventionen in den Naturraum erlangen wir eine Vorstellung von den Auswirkungen. Im Bildungsbereich ist es umso wichtiger, diese Ursprünge freizulegen und die Motivation für Umwelthandeln zu verstehen und ihre Nützlichkeit zu reflektieren.
Abbildung 3: Darstellung des Umritts in den Annalen des Bernhard Linck aus dem Jahr 1670 (Stiftsarchiv Zwettl, Plansammlung, Nr. 11).
Die Auswirkung von menschlichem Handeln auf den Planeten Erde hat in unserer Generation ein Ausmaß erreicht, das mittlerweile als Bedrohung für nahezu alle Lebensformen gesehen werden kann. Was neu erscheint und im Diskurs des Anthropozäns bearbeitet werden kann, ist die Umkehr dieser Bedrohung. Nicht mehr die Naturgewalt beherrscht die Menschen, sondern der Mensch scheint seine Umwelt soweit kultiviert zu haben, dass sie wiederum unbeherrschbar und damit ähnlich bedrohlich erscheint wie die undurchdringlichen Urwälder des Nordwaldes im Mittelalter. Ob eine Marienerscheinung hilft, ist hier allerdings fraglich.
1 Einführend zu den Zisterziensern: Die Lebenswelt der Zisterzienser. Neue Studien zur Geschichte eines europäischen Ordens, hg. von Immo Eberl und Joachim Werz, Regensburg 2019; Die Zisterzienser im Mittelalter, hg. von Georg Mölich, Norbert Nußbaum und Harald Wolte-von dem Knesebeck, Köln-Weimar-Wien 2017. Zum Zisterzienserstift Zwettl Martin Haltrich, Illustrierte Kulturgeschichte des Stiftes Zwettl. Menschen, Bauten, Dokumente (Zwettler Zeitzeichen 16), Zwettl 2016. Mit ausführlichem Literaturverzeichnis auf S. 87–91.
2 Zur Wirtschaftsgeschichte der Zisterzienser Werner Rösener, Die Agrarwirtschaft der Zisterzienser. Innovation und Anpassung, in: Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter, hg. von Franz Felten und Werner Rösener (Vita regularis, Abhandlungen 42), Berlin 2009, S. 67–95; Ernst Tremp, Mönche als Pioniere. Die Zisterzienser im Mittelalter, Näfels 1997. Vgl. auch Detailstudien zu einzelnen Klöstern, u.a. Maria M. Rückert, Grundherrschaft und Klosterwirtschaft im mittelalterlichen Zisterzienserkloster Schöntal, in: Die Zisterzienser (wie Anm. 1), S. 283–301; Werner Rösener, Von der Eigenwirtschaft zum Pachtund Rentensystem. Der wirtschaftliche Strukturwandel in den niederrheinischen Zisterzienserklöstern während des Hoch- und Spätmittelalters, in: Die niederrheinischen Zisterzienser im späten Mittelalter. Reformbemühungen, Wirtschaft und Kultur, hg. von Raymund Kottje, Köln 1992, S. 21–47; Winfried Schich, Der Handel der rheinischen Zisterzienserklöster und die Einrichtung ihrer Stadthöfe im 12. und 13. Jahrhundert, in: Kottje (s.o.), S. 49–73.
3 Die Handschrift ist online frei verfügbar unter http://manuscripta.at/?ID=35889 (Zugriff am 8.4.2020); Joachim Rössl, Kommentar vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift 2/1 des Stiftsarchivs Zwettl (Codices Selecti 73), Graz 1981; Karl Brunner, Die Zwettler „Bärenhaut“. Versuch einer Einordnung, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. von