Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Dieses Buch enthält demnach existentiell wichtige Inhalte und deshalb wird es auch äußerst repräsentativ gestaltet. Die Kalbshäute bzw. die Pergamentblätter werden nur einmal in der Mitte zu Doppelblättern gefaltet, um das größtmögliche Format zu bekommen. Insgesamt sind fast 100 Tierhäute verarbeitet, die beschnitten, liniert und zu einzelnen Lagen zu je fünf Doppelblättern zusammengelegt wurden. So können sie von einem Schreiber in kalligraphisch hochstehender Schrift mit schwarzer und roter Tinte beschrieben werden. Er lässt immer wieder Bereiche für Zeichnungen frei, in denen Personen, Stammbäume oder bedeutende Szenen aus der Stiftsgeschichte dargestellt werden. Wenn der Schreiber fertig ist, können Buchmaler diese Lücken bunt illustrieren. Für dieses Werk, immerhin das „Stifterbuch“ des Klosters, so genannt, weil alle, die dem Kloster etwas gestiftet haben, darin verewigt wurden, werden die besten im Land verfügbaren Illuminatoren engagiert. Die Malerei muss allerdings ziemlich teuer gewesen sein, denn es wird nur eine einzige Seite fertig, jene mit dem Stammbaum der Kuenringer – der Stifterfamilie der Zwettler Zisterze. Zum Schluss werden die Blätter in den Lagen zusammengeheftet und für den prächtigen Einband Lindenholzbretter mit Wildschweinleder überzogen. Zu seinem Schutz werden die Ecken mit verziertem Messingblech beschlagen und auf dem Vorder- und Hinterdeckel jeweils fünf Buckel genagelt, denn in dieser Zeit werden Folianten liegend aufbewahrt.
Aus der Idee der Zwettler Mönche ist eines der berühmtesten Bücher des Spätmittelalters in Zentraleuropa entstanden, der Liber fundatorum Zwetlensis – im Volksmund nach dem erwähnten Einbandüberzug aus dem Fell eines Ebers bzw. Saubären auch „Bärenhaut“ genannt3. Doch warum dieser Aufwand? Und was hat das mit dem Anthropozän zu tun?
Die Basis für die geologisch sichtbare Einwirkung des Menschen im Sinne des Anthropozäns ist unter anderem ihre Einstellung zum Naturraum.4 Diese Vorstellungen beeinflussen seinen Umgang mit der Umwelt und es lohnt, ihnen nachzuspüren. Besonders an kleinräumigen Strukturen können die durch Jahrhunderte geleisteten Arbeiten im und am Naturraum nachvollzogen und jene Prozesse verdeutlicht werden, die von der unberührten Natur oder auch Wildnis zu der vom Menschen gezeichneten Kulturlandschaft führen.5 Mit der „Urbarmachung“ eines Territoriums beginnen permanente menschliche Eingriffe in die Erdoberfläche, die dauerhaft in der Erdkruste gespeichert sein werden und in den „Urbaren“ – den mittelalterlichen Vorläufern der Grundbücher – nachvollzogen werden können. Sie dokumentieren die Nutzung des Bodens und sind gute Quellen für die Reflexion des menschlichen bzw. anthropologischen Einwirkens auf den Planeten.
Was „Urbarmachung“ heißen kann, sehen wir, wenn wir die Bärenhaut auf Blatt 12r aufschlagen. Dort ist eine Grafik in Kreisform, die eine bemerkenswerte Informationsdichte im Hinblick auf unsere Fragestellungen aufweist (Abb. 1). Dargestellt ist der sogenannte Umritt, eine Szene, die am Neujahrstag des Jahres 1138 – einen Tag nach der offiziellen Gründung des Klosters – stattgefunden haben soll. Der Kuenringer Hadmar I. reitet mit Abt Hermann die Güter seiner Stiftung ab. Angeblich sollen sie in Moidrams, heute ein Stadtteil Zwettls und etwa 5 Kilometer vom Stift entfernt, begonnen haben und einen ganzen Tag lang geritten sein.6
Die Zeichnung ist analog zu diesem Umritt aufgebaut und von einem großen Außenkreis umschlossen. Auf den ersten Blick scheint alles recht chaotisch. Da ist allerlei Gekritzel, manche Textblöcke sind schief und teilweise auf den Kopf gestellt eingetragen, einzelne Wörter scheinen ohne Zusammenhang hingeschrieben und lange, wellenförmige Zeilen vermitteln den Eindruck, als ob der Schreiber ohne Linierung den Halt verliert. Alles in allem unübersichtlich und auch skizzenhaft, nichts ist koloriert. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass es sich bei dem Bild um eine sehr präzise Landkarte handelt. In den Kreis sind noch die Himmelsrichtungen der genordeten Karte eingetragen, im Osten steht der Sonnenaufgang und der Mond ist im Westen verortet.
In der Grafik befindet sich das Kloster in der Mitte, umgeben von einigen Gebäuden und innerhalb des Kreises, an den Medaillons angeheftet sind. Links unten ist Papst Innozenz zu sehen, ihm gegenüber oben rechts König Konrad, darunter ebenfalls rechts Herzog Leopold. und wiederum gegenüber oben links die beiden Reitenden Hadmar von Kuenring mit Abt Hermann. Es wird hier gezeigt, dass die Gründung des Stiftes im Rahmen der rechtlichen Vorschriften durchgeführt und somit von den politischen und religiösen Autoritäten des mittelalterlichen Herrschaftssystems gutgeheißen wurde.7
Die zentral dargestellte Stiftskirche ist auf drei Seiten von fünf der Grangien des Stiftes umgeben. So wie das Herrschaftssystem mit seinen angehefteten Autoritäten dargestellt ist, so ist auch das Wirtschaftssystem, dem das Kloster unterliegt, ersichtlich. Die hier gezeichnete Grangienwirtschaft ist ein von den Zisterziensern entwickeltes Wirtschaftskonzept, in dem das Kloster von Höfen – lateinisch grangia für Scheune oder auch Kornhaus – umgeben ist, die innerhalb von einer Stunde Fußweg erreichbar sein sollten.8 Diese Einheiten werden von Laienbrüdern geführt, die nur niedere Weihen haben, in einem eigenen Klostertrakt von den Priestermönchen getrennt wohnen und dem innerklösterlichen Alltag weniger verpflichtet sind.9 Auf der Karte sehen wir den Dürnhof sowie die Grangien Gaisruck, Petzleins, Erleich und den Ratschenhof.
Das Waldviertel war zur Zeit der Gründung des Stiftes keineswegs so unbesiedelt wie man meinen könnte und so sind westlich des Stiftes jene drei Orte verzeichnet, die schon vor dem Kloster existierten.10 Nämlich die Stadt Zwettl, die Pfarrkirche und ein nicht näher bezeichnetes predium, wahrscheinlich die Burg auf dem heutigen Propsteiberg. Außerdem handelt es sich bei Zwettl um keine abgelegene Gegend. Denn wie wir auf der Karte sehen, kommt der Polansteich (für „Steig“) von Südosten her und führt der Pehemsteich im Norden weiter. Diese zwei Straßen sind die beiden Hauptverkehrswege des Waldviertels und sie kreuzen sich in Zwettl.11 Wenn man mit der Gegend vertraut ist, erkennt man in dem als Spruchband gestalteten äußeren Kreis die gesamte Geografie der Gegend wieder. Oben links beginnend in Richtung (Groß-)Gerungs und Gutenbrunn, die ganze Runde bis nach Reichers und am Ende Weißenbach. Vergleicht man diese Angaben mit einer aktuellen Straßenkarte, so wird klar, dass es sich um eine genaue Beschriftung des Wegenetzes handelt.
Abbildung 1: Darstellung des Umritts in der Zwettler „Bärenhaut“ (Stiftsarchiv Zwettl, Hs. 2/1, fol. 12r).
Schlussendlich ist es aber nicht nur eine Straßenkarte, es ist auch andere Infrastruktur, wie Betriebe oder bewirtschaftete Fluren, die in die Grundherrschaft des Stiftes Zwettl