Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Название Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman)
Автор произведения Karl May
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026866886



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werden es wissen. Sie müssen es wissen, denn so eine Liebe, wie die ist, welche Sie gefühlt haben, läßt ihren Gegenstand niemals aus den Augen.«

      »Und dennoch würde ich ihn nicht zu finden wissen, wenn ich ihn zu suchen hätte. Er ging in alle Welt. Er war ein Flüchtling und mußte verschwinden.«

      »Verschwinden? Fliehen? Warum?«

      »Er war als Mörder verurtheilt worden; es gelang ihm aber, grad an dem Tage zu entkommen, an welchem er eine lebenslängliche Gefangenschaft antreten sollte.«

      »War er schuldig oder unschuldig?«

      Seine Augen flammten mit unwiderstehlicher Gewalt auf sie nieder. So ein gewaltiger Blick war ihren Augen noch nie begegnet. Sie wollte antworten; aber sie konnte, unter dem Einflusse dieses Blickes stehend, nicht lügen, wollte und durfte jedoch auch nicht die Wahrheit sagen.

      »Antworten Sie!« bat er.

      »Ich weiß es nicht,« sagte sie, die Augen niederschlagend.

      Da hob er ihr Gesicht wieder zu sich empor und sprach:

      »Ich habe Ihnen bereits bewiesen, daß ich Menschenkenner bin. Ich lese in ihnen, daß jener Flüchtling schuldlos war, daß Sie mit Theil an seinem Unglück hatten, und daß – ah, Ihr damaliger Verbündeter Derjenige ist, dem Sie jetzt als Weib gehören. Ich will nicht in Sie dringen; ich habe kein Recht dazu; aber soll Derjenige, welcher Sie dazu brachte, einen Schuldlosen in Schande und Elend zu stürzen, so glücklich sein, ein Weib von Ihrer Schönheit, Ihrem Geiste und Ihrem Temperamente zu besitzen?«

      »Durchlaucht, ich bin bereit, ihn zu verlassen!«

      Sie zitterte am ganzen Körper vor seelischer Aufregung; ihr Busen wogte auf und nieder, und ihr Athem strömte hörbar zwischen ihren Lippen hervor. Er erkannte, daß er es wirklich in der Hand habe, sie zu seiner Dienerin, seiner Sclavin zu machen. Es wallte in ihm auf wie eine tiefe, gewaltige Genugthuung. Er hätte laut aufjubeln mögen; aber er blieb äußerlich ruhig und fragte im Tone des Glückes:

      »Ihn verlassen? Ist das wahr?«

      »Ja; gewiß und wahrhaftig ist es wahr!«

      »Um wessen willen wollen Sie ihn verlassen?«

      »Um Ihretwillen!«

      »Sie würden dennoch mit tausend Banden an ihn gekettet sein!«

      »Durch kein Band, keinen Faden, und sei er auch nur so dünn wie der Faden, welchen eine Spinne zieht!«

      »Sie Beide sind durch Ihr Leben, Ihre Thaten, Ihr Zusammenwirken mit einander verbunden und bleiben es auch!«

      »Nein, nein! Ich reiße alle Bande entzwei, alle, alle, alle!«

      Sie hob die Hand wie zum Schwure empor.

      »Und was erhoffen Sie als Lohn für solch eine Entsagung, für solch ein Opfer?«

      »Ihre Liebe, Durchlaucht, weiter nichts als Ihre Liebe!«

      Da bog er sich zu der Knieenden nieder, schlang die Arme um sie und zog sie zu sich empor, so daß sie Brust an Brust und Lippe an Lippe lagen. Sie fühlte sich fast wahnsinnig vor Glück; sie küßte, küßte und küßte ihn wieder und immer wieder; sie liebkoste ihn; sie streichelte ihm die Wangen, als ob sie ein heißgeliebtes Kind vor sich habe, dem sie ihre ganze Seele hingeben müsse. Dabei flüsterte und fragte sie immer und immer wieder:

      »Lieben Sie mich? Lieben Sie mich? Ist es wahr, daß Sie mich lieben können?«

      »Ja,« antwortete er, sie an sich pressend. »Ich liebe Sie! Jetzt freilich nur wie ein herrliches, entzückendes Bild, welches die Sinne begeistert. Aber dann, wenn ich erst die Tiefen Ihrer Seele erforscht und erkannt habe, dann wird meine Liebe so sein, wie sie zu dem unaussprechlichen Glücke, welches ich mir ersehne, erforderlich ist.«

      »Forschen Sie in mir; forschen Sie! Sie werden finden, daß in meinem Herzen nichts wohnt und lebt, als nur Sie, Sie, Sie allein!«

      Sie schmiegte und drängte sich in heißer Liebesgluth an ihn, als ob es ihr möglich sei, ganz in ihn einzudringen. Und grad als sie so eng umschlungen bei einander saßen, wurde die Thüre geöffnet und der Baron trat ein.

      Ella erschrak nicht im Geringsten. Sie gab sich kaum die Mühe, ihre Arme von dem Fürsten fortzunehmen. Dieser letztere wurde ebensowenig verlegen. Er erhob sich gleichmüthig von seinem Sitze, um dem Baron eine Verbeugung zu machen.

      »Verzeihung, Durchlaucht!« sagte Dieser. »Ich trete nur für einen Augenblick hier ein!«

      »Du willst zu mir?« fragte sie.

      Ihre Stimme klang sogar eher abweisend, abwehrend, als blos kalt und gleichgiltig.

      »Allerdings zu Dir.«

      »Ist es so notwendig?«

      »Wahrscheinlich.«

      »Wahrscheinlich? Also Du weißt es nicht gewiß? Dann konntest Du warten, bis ich besser disponibel bin, als grad in diesem Augenblick.«

      »Verzeihe! Der Vorsteher will nicht gern länger warten.«

      »Der Vorsteher? Wohl der fromme Schuster Seidelmann?« fragte sie ironisch.

      »Ja. Er wünscht eine Unterredung mit Dir.«

      »In welcher Angelegenheit?«

      »In Betreff eines Waisenkindes. Du weißt, daß ich als Leiter des Armenwesens gewisse Verpflichtungen habe, denen selbst Du Dich nicht gut zu entziehen vermagst.«

      »Er mag später wiederkommen!«

      Sie wollte sich abwenden, um anzudeuten, daß in den letzteren Worten ihre endgiltige Resolution enthalten sei; aber schon hatte der Fürst seine Handschuhe angelegt. Er sagte:

      »Bitte, gnädige Frau! Die Angelegenheiten eines Waisenkindes müssen für Jedermann, besonders aber für eine Dame, stets wichtig und unaufschiebbar sein. Meine Zeit ist abgelaufen. Lassen Sie meine Anwesenheit nicht die Ursache sein, den Herrn Vorsteher auf Wartezeit zu stellen. Ich empfehle mich Ihnen, Frau Baronin! Ich grüße Sie, Herr Baron!«

      Er küßte ihr die Hand, verneigte sich leicht vor ihrem Manne und ging. Die beiden Gatten standen einander beinahe zornig gegenüber, sie wegen des gestörten tête-à-tête und er der Abweisung wegen, die er von ihr hatte hinnehmen sollen.

      »Kannst Du diesen Herrn nicht anderweit bestellen?« sagte sie.

      »Nein,« antwortete er kurz.

      »Du wußtest doch, daß der Fürst bei mir war!«

      »Allerdings wußte ich das.«

      »Und um eines solchen Mannes willen zwingst Du diesen Cavalier, mich zu verlassen?«

      »Der Besuch des Vorstehers hat für mich ganz dieselbe Wichtigkeit, wie für Dich die Visite des Fürsten.«

      »Aber Du wußtest, daß ich noch nicht Toilette gemacht habe!«

      »Empfängst Du einen Herrn, der erst zum dritten Male Zutritt nimmt, in dieser allerdings fast mehr als leichten Kleidung, so brauchst Du Dich derselben vor meinem Administrator noch viel weniger zu schämen.«

      »Ich hasse diesen Scheinheiligen!«

      »Und ich liebe ihn!« höhnte er.

      »Leider scheinst Du in neuester Zeit Alles zu lieben, was ich hasse!«

      »Ganz dasselbe habe ich Dir zu sagen. Dieser Fürst ist mir ganz und gar nicht sympathisch, ganz und gar nicht willkommen!«

      »Ah! Warum?«

      »Er ist eine Schlange!«

      »Pah! Du bist ein Krokodil!«

      »Unsinn!« meinte er sehr ernsthaft. »Glaube nicht, daß ich scherze! Dieser Mann ist so gewandt, so glatt, so kalt, so wenig zu fassen, grad wie eine Schlange. Er macht auf mich den Eindruck, als ob er uns nur deshalb besuche, um einen Biß seiner