Название | Ausgewählte Dramen, Dichtung, Erzählungen, Romane & Beiträge |
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Автор произведения | Rainer Maria Rilke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027211104 |
»Du bist da?« sagte ich atemlos, und ich war nicht im klaren, ob das gut sei oder ganz und gar schlimm. Er lachte nur, und ich wußte nicht, was weiter. Mein Licht flackerte, und ich konnte den Ausdruck seines Gesichts nicht recht erkennen. Es war doch wohl schlimm, daß er da war. Aber da sagte er, indem er näher kam: » Ihr Bild ist nicht da, wir suchen es immer noch oben.« Mit seiner halben Stimme und dem einen beweglichen Auge wies er irgendwie hinauf. Und ich begriff, daß er den Boden meinte. Aber auf einmal kam mir ein merkwürdiger Gedanke.
»Wir?« fragte ich, »ist sie denn oben?« »Ja«, nickte er und stand dicht neben mir. »Sie sucht selber mit?« »Ja, wir suchen.« »Man hat es also fortgestellt, das Bild?« »Ja, denk nur«, sagte er empört. Aber ich begriff nicht recht, was sie damit wollte. »Sie will sich sehen«, flüsterte er ganz nah. »Ja so«, machte ich, als ob ich verstünde. Da blies er mir das Licht aus. Ich sah, wie er sich vorstreckte, ins Helle hinein, mit ganz hochgezogenen Augenbrauen. Dann war’s dunkel. Ich trat unwillkürlich zurück.
»Was machst du denn?« rief ich unterdrückt und war ganz trocken im Halse. Er sprang mir nach und hängte sich an meinen Arm und kicherte.
»Was denn?« fuhr ich ihn an und wollte ihn abschütteln, aber er hing fest. Ich konnte es nicht hindern, daß er den Arm um meinen Hals legte.
»Soll ich es sagen?« zischte er, und ein wenig Speichel spritzte mir ans Ohr. »Ja, ja, schnell.«
Ich wußte nicht, was ich redete. Er umarmte mich nun völlig und streckte sich dabei.
»Ich hab ihr einen Spiegel gebracht«, sagte er und kicherte wieder.
»Einen Spiegel?«
»Ja, weil doch das Bild nicht da ist.« »Nein, nein«, machte ich.
Er zog mich auf einmal etwas weiter nach dem Fenster hin und kniff mich so scharf in den Oberarm, daß ich schrie. »Sie ist nicht drin«, blies er mir ins Ohr. Ich stieß ihn unwillkürlich von mir weg, etwas knackte an ihm, mir war, als hätte ich ihn zerbrochen.
»Geh, geh«, und jetzt mußte ich selber lachen, »nicht drin, wieso denn nicht drin?«
»Du bist dumm«, gab er böse zurück und flüsterte nicht mehr. Seine Stimme war umgeschlagen, als begänne er nun ein neues, noch ungebrauchtes Stück. »Man ist entweder drin«, diktierte er altklug und strenge, »dann ist man nicht hier; oder wenn man hier ist, kann man nicht drin sein.«
»Natürlich«, antwortete ich schnell, ohne nachzudenken. Ich hatte Angst, er könnte sonst fortgehen und mich allein lassen. Ich griff sogar nach ihm.
»Wollen wir Freunde sein?« schlug ich vor. Er ließ sich bitten. »Mir ist’s gleich«, sagte er keck.
Ich versuchte unsere Freundschaft zu beginnen, aber ich wagte nicht, ihn zu umarmen. »Lieber Erik«, brachte ich nur heraus und rührte ihn irgendwo ein bißchen an. Ich war auf einmal sehr müde. Ich sah mich um; ich verstand nicht mehr, wie ich hierher gekommen war und, daß ich mich nicht gefürchtet hatte. Ich wußte nicht recht, wo die Fenster waren und wo die Bilder. Und als wir gingen, mußte er mich führen. »Sie tun dir nichts«, versicherte er großmütig und kicherte wieder.
Lieber, lieber Erik; vielleicht bist du doch meint einziger Freund gewesen. Denn ich habe nie einen gehabt. Es ist schade, daß, du auf Freundschaft nichts gabst. Ich hätte dir manches erzählen mögen. Vielleicht hätten wir uns vertragen. Man kann nicht wissen. Ich erinnere mich, daß damals dein Bild gemalt wurde. Der Großvater hatte jemanden kommen lassen, der dich malte. Jeden Morgen eine Stunde. Ich kann mich nicht besinnen, wie der Maler aussah, sein Name ist mir entfallen, obwohl Mathilde Brahe ihn jeden Augenblick wiederholte.
Ob er dich gesehen hat, wie ich dich seh? Du trugst einen Anzug von heliotropfarbenem Samt. Mathilde Brahe schwärmte für diesen Anzug. Aber das ist nun gleichgültig. Nur ob er dich gesehen hat, möchte ich wissen. Nehmen wir an, daß es ein wirklicher Maler war. Nehmen wir an, daß er nicht daran dachte, daß du sterben könntest, ehe er fertig würde, daß er die Sache gar nicht sentimental ansah; daß er einfach arbeitete. Daß die Ungleichheit deiner beiden braunen Augen ihn entzückte; daß er keinen Moment sich schämte für das unbewegliche; daß er den Takt hatte, nichts hinzuzulegen auf den Tisch zu deiner Hand, die sich vielleicht ein wenig stützte –. Nehmen wir sonst noch alles Nötige an und lassen es gelten: so ist ein Bild da, dein Bild, in der Galerie auf Urnekloster das letzte.
(Und wenn man geht, und man hat sie alle gesehen, so ist da noch ein Knabe. Einen Augenblick: wer ist das? Ein Brahe. Siehst du den silbernen Pfahl im schwarzen Feld und die Pfauenfedern? Da steht auch der Name: Erik Brahe. War das nicht ein Erik Brahe, der hingerichtet worden ist? Natürlich, das ist bekannt genug. Aber um den kann es sich nicht handeln. Dieser Knabe ist als Knabe gestorben, gleichviel wann. Kannst du das nicht sehen?)
Wenn Besuch da war und Erik wurde gerufen, so versicherte das Fräulein Mathilde Brahe jedesmal, es sei geradezu unglaublich, wie sehr er der alten Gräfin Brahe gliche, meiner Großmutter. Sie soll eine sehr große Dame gewesen sein. Ich habe sie nicht gekannt. Dagegen erinnere ich mich sehr gut an die Mutter meines Vaters, die eigentliche Herrin auf Ulsgaard. Das war sie wohl immer geblieben, wie sehr sie es auch Maman übelnahm, daß sie als des Jägermeisters Frau ins Haus gekommen war. Seither tat sie beständig, als zöge sie sich zurück, und schickte die Dienstleute mit jeder Kleinigkeit weiter zu Maman hinein, während sie in wichtigen Angelegenheiten ruhig entschied und verfügte, ohne irgend jemandem Rechenschaft abzulegen. Maman, glaube ich, wünschte es gar nicht anders. Sie war so wenig gemacht, ein großes Haus zu übersehen, ihr fehlte völlig die Einteilung der Dinge in nebensächliche und wichtige. Alles, wovon man ihr sprach, schien ihr immer das Ganze zu sein, und sie vergaß darüber das andere, das doch auch noch da war. Sie beklagte sich nie über ihre Schwiegermutter. Und bei wem hätte sie sich auch beklagen sollen? Vater war ein äußerst respektvoller Sohn, und Großvater hatte wenig zu sagen.
Frau Margarete Brigge war immer schon, soweit ich denken kann, eine hochgewachsene, unzugängliche Greisin. Ich kann mir nicht anders vorstellen, als daß sie viel älter gewesen sei als der Kammerherr. Sie lebte mitten unter uns ihr Leben, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Sie war auf keinen von uns angewiesen und hatte immer eine Art Gesellschafterin, eine alternde Komtesse Oxe, um sich, die sie sich durch irgendeine Wohltat unbegrenzt verpflichtet hatte. Dies mußte eine einzelne Ausnahme gewesen sein, denn wohltun war sonst nicht ihre Art. Sie liebte keine Kinder, und Tiere durften nicht in ihre Nähe. Ich weiß nicht, ob sie sonst etwas liebte. Es wurde erzählt, daß sie als ganz junges Mädchen dem schönen Felix Lichnowski verlobt gewesen sei, der dann in Frankfurt so grausam ums Leben kam. Und in der Tat war nach ihrem Tode ein Bildnis des Fürsten da, das, wenn ich nicht irre, an die Familie zurückgegeben worden ist. Vielleicht, denke ich mir jetzt, versäumte sie über diesem eingezogenen ländlichen Leben, das das Leben auf Ulsgaard von Jahr zu Jahr mehr geworden war, ein anderes, glänzendes: ihr natürliches. Es ist schwer zu sagen, ob sie es betrauerte. Vielleicht verachtete sie es dafür, daß es nicht gekommen war, daß es die Gelegenheit verfehlt hatte, mit Geschick und Talent gelebt worden zu sein. Sie hatte alles dies so weit in sich hineingenommen und hatte darüber Schalen angesetzt, viele, spröde, ein wenig metallisch glänzende Schalen, deren jeweilig oberste sich neu und kühl ausnahm. Bisweilen freilich verriet sie sich doch durch eine naive Ungeduld, nicht genügend beachtet zu sein; zu meiner Zeit konnte sie sich dann bei Tische plötzlich verschlucken auf irgendeine deutliche und komplizierte Art, die ihr die Teilnahme aller sicherte und sie, für einen Augenblick wenigstens, so sensationell und spannend erscheinen ließ, wie sie es im Großen hätte sein mögen. Indessen vermute ich, daß mein Vater der einzige war, der diese viel zu häufigen Zufälle ernst nahm. Er sah ihr, höflich vornübergeneigt, zu, man konnte merken, wie er ihr in Gedanken seine eigene,