Espresso mit Zitrone - Mein wechselvoller Weg als Unternehmerin. Monique R. Siegel

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Название Espresso mit Zitrone - Mein wechselvoller Weg als Unternehmerin
Автор произведения Monique R. Siegel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726071283



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von bezogenem Brett, das prekär über zwei Stuhllehnen balancierte, ihre Bügelarbeit verrichtet – immer noch übrigens mit dem Bügeleisen, das Bombardierung, Evakuierung, Flucht und Bunkerleben überstanden hatte.

      Armut romantisch zu verklären ist nicht meine Sache. Aber im großen und ganzen war die Arbeit, die mich ab dem zwölften Lebensjahr begleiten sollte, um einiges unangenehmer, und so ist die Erinnerung an die Heimarbeit bei weitem nicht die schlimmste, trotz der Tatsache, daß wir alle hie und da Sehnenscheidenentzündungen hatten, die ja bekanntlich sehr schmerzhaft sind, oder daß ich ein paar Mal in der Schule eingeschlafen bin, weil ich am Abend zuvor unbedingt noch ein Adreßbuch hatte fertig machen wollen.

      Eines Tages dann war es soweit: Der angekündigte und programmierte Einzug ins Lyzeum sollte in Angriff genommen werden. Wiederum ging mein Vater mit mir dorthin; es war immer noch derselbe Rektor, dessen Freude sich begreiflicherweise in Grenzen hielt: Schließlich stand er kurz davor, desavouiert zu werden. Aber da gab es noch eine Chance für ihn: die Aufnahmeprüfung, die dieses Kind, das ihm da aufgezwungen werden sollte, erst einmal bestehen mußte. Immerhin fragte mein Vater, wie man mich denn speziell darauf vorbereiten könnte, aber der Rektor blieb ihm die Antwort schuldig, denn es existierte ja gar keine Aufnahmeprüfung. Vor uns war noch niemand auf die absurde Idee gekommen, sich auf dieses Unterfangen einzulassen, und er war mit dieser Situation schlicht überfordert. In einer Lehrerkonferenz würde man bestimmen müssen, in welchen Fächern und mit welchem Schwierigkeitsgrad die Prüfung zu erfolgen hatte.

      Und da war noch eine Hürde, die für uns schwieriger war als diese Aufnahmeprüfung: Die Höhere Schule verlangte Schulgeld. Und es war klar, daß wir das nie würden zahlen können. Pro Klasse gab es jedoch eine Freistelle, und auf die spekulierten wir natürlich. An dieser Schule kamen die Kinder aus Anwalts- und Arztfamilien, aus »gutem Hause« also, wo sich die Frage des Schulgelds nie stellte, und so hatte auch noch nie jemand die Freistelle in Anspruch nehmen müssen. Wenn ich Jahrzehnte später in Interviews sagen werde, daß mich in erster Linie Pionierprojekte interessieren, dann ist dieses Interesse wohl darauf zurückzuführen, daß ich ziemlich früh in meinem Leben immer wieder Neuland betreten habe, betreten mußte.

      Schließlich kam der Prüfungstag, oder vielmehr waren es eineinhalb Tage. Ich wurde alleine in ein Schulzimmer gesperrt und anhand von ausgeklügelten Aufgaben einen Tag lang mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt, zu denen selbstverständlich auch ein längerer Aufsatz gehörte. Wenn ich austreten mußte, kam doch tatsächlich die Aufsichtsperson, die mehrmals am Tage wechselte, mit! Am zweiten Tag gab es dann die mündliche Prüfung. Der Rektor war fast feindlich gesinnt, die Lehrerinnen und Lehrer, die über meine Zukunft zu bestimmen hatten, waren nur desinteressiert. Auf alle Fälle war niemand erpicht darauf, dieses Wunderkind aufzunehmen, das zu allem Elend auch noch Gratisunterricht genießen wollte.

      Mal abgesehen von den Mathematikaufgaben, die ich nur halb gelöst hatte, war das Resultat jedenfalls so, daß sie mich nehmen mußten. Und so kam ich in die Quarta der Johanna-Sebus-Schule in ein Klassengefüge, das bereits seit der Sexta, also seit zwei Jahren, bestand, mit einem Fräulein Doktor als Klassenlehrerin. Alle Geschichten, die Sie kennen über Kinder, denen der Einzug in solch eine festgefügte Gemeinschaft schwer oder unmöglich gemacht wird, sind wahrscheinlich untertrieben! Ich kann es den Mädchen nicht einmal verübeln: Da kam diese Elfjährige – die anderen waren zwischen zwölf und vierzehn – von der Mittelschule, igitt! Sie wußte zwar viel, aber sie war arm. Das war neu für diese Kinder, verlor aber schnell seinen Reiz: Die konnte ja nirgendwo mitmachen, und was die anhatte – du meine Güte! Interessant waren allenfalls ihre Pausenbrote ... Meine bestanden nämlich in der Regel aus Margarine mit Zucker auf Graubrot, die meiner Klassenkameradinnen aus Butter und Leberwurst auf Brötchen oder Weißbrot. Irgendwie hatte ich es bereits auf der Mittelschule geschafft, meine Pausenbrote als etwas Begehrenswertes zu präsentieren und damit eine rege Tauschwirtschaft zu begründen. Dort hatten die Kinder es ab und zu ganz nett gefunden, ein Margarinebrot zu essen, hier war es geradezu exotisch. Und dann hatte ich noch einen zusätzlichen unausrottbaren Makel: Ich war nicht katholisch.

      Die Gemüter beruhigten sich nach und nach, aber bis dahin hatte ich noch manches zu ertragen. Ich konnte bei keinem einzigen Streich mitmachen, weil mich ein Tadel im Klassenbuch die Freistelle gekostet hätte. Abgesehen davon, fand ich es blöd, einfach abzuhauen, wenn sich die Handarbeitslehrerin verspätete, auch wenn ich die noch blöder fand. So saß ich mutterseelenallein im Klassenzimmer, als die Lehrerin hereinkam. Ich weiß nicht, wie ich als Lehrerin reagiert hätte – vielleicht wäre auch mir das sehr suspekt gewesen, daß da eine nicht mitgemacht hatte, besonders die Schülerin, die sie ohnehin nicht mochte. Jedenfalls ging sie zum Rektor, und am nächsten Tag donnerte das Gewitter auf uns herab – auf alle, auch auf mich. Na ja. Ich weiß nicht mehr, was die Kollektivstrafe war, aber es hat zum Glück meiner Freistelle nicht geschadet.

      »Wenn ich je jemanden aus meiner Schulzeit träfe...« heißt dieses Kapitel. Dazu gehören auch die folgenden Erwachsenen, die mir für die ersten drei Jahrzehnte meines Lebens ein Lehrerinnen-Bild vermittelt haben, das Alpträume hervorrufen kann. Das Fräulein Doktor war, im Gegensatz zu mir, sehr katholisch. Jedes zweite Wort bei ihr war »unkeusch«. Ich wußte am Anfang gar nicht, was das war, aber nach und nach begriff ich, daß alles, was nicht in einem Kirchgang mündete, schon Gefahr lief, unkeusch zu sein. Eigentlich hätte sie Nonne werden wollen, und ich bin sicher, sie hätte diesem Profil eher entsprochen als dem einer Lehrerin an einer weltlichen Schule. Bereits im ersten Schuljahr habe ich es mit ihr verdorben. Wir nahmen Maria Stuart durch, und ich glühte vor Begeisterung: Das war der schönste Deutschunterricht, den man sich denken konnte! Deutsch war ohnehin mein Lieblingsfach. Ich konnte viele Gedichte auswendig und mußte bei jeder Schulfeier irgend etwas »aufsagen«; am liebsten hatte ich Schillers Die Bürgschaft, das ich mit der richtigen Dosis Drama in der Stimme auch am häufigsten vorgetragen habe. Später kamen noch Die Kraniche des Ibikus und Der Ring des Polykrates dazu. Letzeres ist heute noch mein Lieblingsgedicht von Schiller, dessen Dramatik ich der Beschaulichkeit der Goethe-Gedichte vorziehe. Also, endlich ein Stück von meinem damaligen Lieblingsdichter. Ich kniete mich in die Hausaufgaben, lernte ganze Textpassagen auswendig und freute mich auf die Stunde.

      Die Freude dauerte nicht lange: Die Diskussion war total zentriert auf die Figur der Maria, und die Interpretation völlig einseitig: Sie war um ihres Glaubens willen geköpft worden. Wie bitte? Da hatte ich wohl ein ganz anderes Stück mit dem gleichen Titel gelesen. Ich hörte mir das eine Weile an, aber als die Frustration zu groß wurde, streckte ich auf. In einem flammenden Plädoyer versuchte ich, ein bißchen Verständnis für die Lage von Elisabeth I. zu erzeugen: die Zweifel, die sie bis zuletzt hat, der Haß der Höflinge, die Ablehnung des Volkes, um dessen Gunst sie sich doch so bemüht hatte, und dann, ich bitte Sie, der Schluß, wo sie von dem Mann, den sie liebt, verlassen wird und damit das Stück mit einer der besten Zeilen endet, die ich auf der Bühne kenne: »Der Lord läßt sich entschuldigen; er ist zu Schiff nach Frankreich.« Wow! Wie schwierig muß es gewesen sein, in diesem Umfeld weiterzuleben!

      Man hätte das Schweigen in Scheiben schneiden können, es war so dick. Die Lehrerin sah mich mit weit aufgerissenen Augen an; sie brauchte eine gewisse Zeit, um mit dieser Situation fertig zu werden. Ich hatte die protestantische Antagonistin verteidigt, hatte aufzeigen wollen, daß es nicht immer einfach a priori besser ist, als angebliche Siegerin aus einem Konflikt hervorzugehen! Ich drehte mich um und schaute in die Runde, aber keines der Kinder, obwohl nicht alle katholisch waren, wagte es, sich mir anzuschließen. »Setz dich!« brachte das Fräulein Doktor schließlich heraus. »Lies das zu Hause nochmals gründlich durch – du hast offensichtlich nichts verstanden.«

      Diese Deutschstunde hatte mich auf die schwarze Liste meiner Klassenlehrerin gebracht, auf die es so sehr ankam, wenn es darum ging, den Antrag für die Freistelle im nächsten Jahr befürwortend weiterzuleiten. Es war also nicht klug, sich mit ihr anzulegen, und ich ging ihr, soweit das möglich war, aus dem Weg. Aber da war ja noch ihre Obsession mit dem Wort »unkeusch«, und ich meine, ein Mädchen, das sich auf die Seite der Elisabeth schlägt, von der kann man alles erwarten, nicht wahr?

      »Wir machen in diesem Jahr eine Klassenreise!« Das war zwar im Prinzip eine tolle Nachricht, aber sie war auch äußerst problembeladen. Wir redeten hier von zwei Wochen auf der Nordseeinsel