Nachtstücke - 2. Teil. E.T.A. Hoffmann

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Название Nachtstücke - 2. Teil
Автор произведения E.T.A. Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия Nachtstücke
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726372137



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Konditor suchte alles, was der Alte gefordert, zusammen. „Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar,“ jammerte der seltsame Mann, holte ächzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche und suchte mühsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzählte, aus verschiedenen alten, zum Teil schon ganz aus dem gewöhnlichen Kurs gekommenen Münzsorten bestand. Er tat dabei sehr kläglich und murmelte: „Süss — süss — süss soll nun alles sein — süss meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul — puren Honig.“ Der Konditor schaute mich lachend an und sprach dann zu dem Alten: „Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja, das Alter, das Alter, die Kräfte nehmen ab immer mehr und mehr.“ Ohne die Miene zu ändern, rief der Alte mit erhöhter Stimme: „Alter? — Alter? — Kräfte abnehmen? Schwach — matt werden! — Ho ho — ho ho — ho ho!“ Und damit schlug er die Fäuste zusammen, dass die Gelenke knackten, und sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Füsse zusammenklappend, hoch auf, dass der ganze Laden dröhnte und alle Gläser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein grässliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten, der hinter ihm hergeschlichen, dicht an seine Füsse geromiegt, auf dem Boden lag. „Verruchte Bestie! Satanischer Höllenhund!“ stöhnte leise im vorigen Ton der Alte, öffnete die Tüte und reichte dem Hunde eine grosse Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, retzte sich auf die Hinterpfoten und knabberte an der Makrone wie ein Eichhörnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen und Einstecken seiner Tüte. „Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar,“ sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand und drückte die des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. „Der alte schwächliche Greis wünscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Konditor,“ wiederholte er dann und schritt zum Laden hinaus, hinter ihm der schwarze Hund, mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. „Sehen Sie,“ fing der Konditor an, „sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S. war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die gräflich S—sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe wegen des wunderlichen Getöns zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: ,Ja! — die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein’.“ — Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tür öffnete sich, elegante Welt strömte herein, und ich konnte nicht weiter fragen. —

      So viel stand nun fest, dass die Nachrichten des Grafen P. über das Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, dass der alte Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte, und dass ganz gewiss irgendein Geheimnis vor der Welt dort verhüllt werden sollte. Musste ich denn nicht die Erzählung von dem seltsamen, schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schönen Armes am Fenster in Verbindung setzen? Der Arm sass nicht, konnte nicht sitzen an dem Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen blühenden Mädchens kommen. Doch für das Merkzeichen des Armes entschieden, konnt’ ich leicht mich selbst überreden, dass vielleicht nur eine akustische Täuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und dass ebenso vielleicht nur des vom Graulichen befangenen Konditors trügliches Ohr die Töne so vernommen. — Nun dacht’ ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Kristallflasche, die ich sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geschöpfes mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl, der, vielleicht ganz unabhängig von der gräflich S—schen Familie geworden, nun auf seine eigene Hand in dem verödeten Hause unheilbringendes Wesen trieb. Meine Phantasie war im Arbeiten, und noch in selbiger Nacht, nicht sowohlim Traum als im Delirieren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glänzenden Spange. Wie aus dünnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmütig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines Mädchens in voller anmutiger Jugendblüte hervor. Bald bemerkte ich, dass das, was ich für Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kristallflasche, die Gestalt in den Händen hielt, in sich kreifelndem Gewirbel emporstieg. „O, du holdes Zauberbild,“ rief ich voll Entzücken, „o, du holdes Zauberbild, tu’ es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen hält? — O, wie du mich so voll Wehmut und Liebe anblickst! — Ich weiss es, die schwarze Kunst ist es, die dich befangen, du bist die unglückselige Sklavin des boshaften Teufels, der herumwandelt, kaffeebraun und behaarbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Sprüngen alles zerschmeissen will und Höllenhunde tritt, die er mit Makronen füttert, nachdem sie den satanischen Murki im Fünfachteltakt abgeheult. — O, ich weiss ja alles, du holdes, anmutiges Wesen! — Der Diamant ist der Reflex innerer Glut! — Ach, hättest du ihn nicht mit deinem Herzblut getränkt, wie könnt’ er so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den allerherrlichsten Liebestönen, die je ein Sterblicher vernommen. — Aber ich weiss es wohl, das Band, das deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sei magnetisch. — Glaub’ es nicht, Herrliche! — Ich sehe ja, wie sie herabhängt in die von blauem Feuer glühende Retorte. — Die werf’ ich um und du bist befreit! — Weiss ich denn nicht alles — weiss ich denn nicht alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! — nun öffne den Rosenmund, o sage“ — In dem Augenblick griff eine knotige Faust über meine Schulter weg nach der Kristallflasche, die in tausend Stücke zersplittert in der Luft verstäubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die an mutige Gestalt verschwunden in finsterer Nacht. — Ha! ich merk’ es an eurem Lächeln, dass ihr schon wieder in mir den träumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich euch, dass der ganze Traum, wollt ihr nun einmal nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im profatschen Unglauben anzulächeln, so will ich lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. — Kaum war der Morgen angebrochen, als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief und mich hinstellte vor das öde Haus! — Ausser den inneren Vorhängen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Strasse war noch völlig menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut liess sich hören, still blieb es wie im tiefen Grabe. — Der Tag kam herauf, das Gewerbe rührte sich, ich musste fort. Was soll ich euch damit ermüden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner bestimmten Notiz führte, und wie endlich das schöne Bild meiner Vision zu verblassen begann. — Endlich, als ich einst am späten Abend von einem Spaziergange heimkehrend bei dem öden Hause herangekommen, bemerkte ich, dass das Tor halb geöffnet war; ich schritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluss war gefasst. „Wohnt nicht der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Haufe?“ So frug ich den Alten, indem ich, ihn beinahe zurückdrängend, in den von einer Lampe matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem stehenden Lächeln und sprach leise und gezogen: „Nein, der wohnt nicht hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. — Aber die Leute sagen, es spuke hier in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, dass es nicht wahr ist, es ist ein ruhiges, hübsches Haus, und morgen zieht die gnädige Gräfin von S. ein und — gute Nacht, mein lieber Herr!“ — Damit manövrierte mich der Alte zum Hause hinaus und verschloss hinter mir das Tor. Ich vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden Schlüsselbunde über den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, hinabstieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, dass der Flur mit alten bunten Tapeten behängt und wie ein Saal mit grossen, mit rotem Damast beschlagenen Lehnsesseln möbliert war, welches denn doch ganz verwunderlich aussah.

      Nun gingen, wie geweckt durch mein Eindringen in das geheimnisvolle Haus, die Abenteuer auf! — Denkt euch, denkt euch, sowie ich den anderen Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick schon in der Ferne sich unwillkürlich nach dem öden Hause richtet, sehe ich an dem letzten Fenster des oberen Stocks etwas schimmern. — Nähergetreten bemerke ich, dass die äussere Jalousie ganze, der innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen. — O Himmel! gestützt auf den Arm blickt mich wehmütig