Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen. Heinrich Mann

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Название Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969536247



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Die Sache verschlimmerte sich erheblich, der Stabsarzt gab mir anheim, für jede Eventualität meine Angehörigen zu benachrichtigen.«

      Dies sagte er knapp und männlich.

      »Da hättet ihr nun den Hauptmann sehen sollen. Täglich kam er selbst, nach den größten Märschen, mit bestaubter Uniform, wie er war. So was gibt es auch nur beim Militär. Wir sind in den bösen Tagen wahre Kameraden geworden. Hier die Zigarre ist noch von ihm. Und als er mir dann eingestehen musste, der Stabsarzt wolle mich fortschicken, ich kann euch versichern, das war einer der Augenblicke im Leben, die man nicht vergisst. Der Hauptmann und ich, wir kriegten beide gleichzeitig feuchte Augen.«

      Alle waren erschüttert. Diederich sah tapfer um sich.

      »Na, jetzt soll man sich also wieder in das bürgerliche Leben hineinfinden. Prost.«

      Er büffelte weiter; und am Sonnabend kneipte er mit den Neu-Teutonen. Auch Wiebel erschien wieder. Er war Assessor, auf dem Wege zum Staatsanwalt und sprach nur noch von »subversiven Tendenzen«, »Vaterlandsfeinden« und auch vom »christlich-sozialen Gedanken«. Er erklärte den Füchsen, es sei an der Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Er wisse wohl, dass es nicht für vornehm gelte, aber die Gegner zwängen einen dazu. Hochfeudale Herren, wie sein Freund, der Assessor von Barnim, seien in der Bewegung. Herr von Barnim werde demnächst den Neu-Teutonen die Ehre geben.

      Er kam, und er gewann alle Herzen, denn er benahm sich wie gleich zu gleich. Er hatte dunkles, glatt gescheiteltes Haar, das Wesen eines pflichteifrigen Beamten, sprach sachlich – aber am Schluss seines Vortrages bekam er Schwärmeraugen und verabschiedete sich rasch, mit warmen Händedrücken. Die Neu-Teutonen stimmten nach seinem Besuch alle darin überein, dass der jüdische Liberalismus die Vorfrucht der Sozialdemokratie sei und dass die christlichen Deutschen sich um den Hofprediger Stöcker zu scharen hätten. Diederich verband, wie die anderen, mit dem Wort ›Vorfrucht‹ keinen deutlichen Sinn und verstand unter ›Sozialdemokratie‹ nur eine allgemeine Teilerei. Das genügte ihm auch. Aber Herr von Barnim hatte jeden, der nähere Aufklärung wünschte, zu sich eingeladen, und Diederich würde es sich nicht verziehen haben, wenn er eine so schmeichelhafte Gelegenheit versäumt hätte.

      In seiner kalten, altmodischen Junggesellenwohnung hielt Herr von Barnim ihm ein Privatissimum. Sein politisches Ziel war eine ständische Volksvertretung, wie im glücklichen Mittelalter: Ritter, Geistliche, Gewerbetreibende, Handwerker. Das Handwerk musste, der Kaiser hatte es mit Recht gefordert, wieder auf die Höhe kommen, wie vor dem Dreißigjährigen Krieg. Die Innungen hatten Gottesfurcht und Sittlichkeit zu pflegen. Diederich äußerte sein wärmstes Einverständnis. Es entsprach seinen Trieben, als eingetragenes Mitglied eines Standes, einer Berufsklasse, nicht persönlich, sondern korporativ im Leben Fuß zu fassen. Er sah sich schon als Abgeordneter der Papierbranche. Die jüdischen Mitbürger freilich schloss Herr von Barnim von seiner Ordnung der Dinge aus; waren sie doch das Prinzip der Unordnung und Auflösung, des Durcheinanderwerfens, der Respektlosigkeit: das Prinzip des Bösen selbst. Sein frommes Gesicht zog sich zusammen vom Hass, und Diederich fühlte ihn mit.

      »Schließlich«, meinte er, »haben wir doch die Gewalt und können sie hinauswerfen. Das deutsche Heer –«

      »Das ist es eben«, stieß Herr von Barnim aus, der durch das Zimmer lief. »Haben wir darum den ruhmreichen Krieg geführt, dass mein väterliches Gut an einen Herrn Frankfurter verkauft wird?«

      Während Diederich noch erschüttert schwieg, klingelte es, und Herr von Barnim sagte:

      »Es ist mein Barbier, den will ich mir auch mal vornehmen.«

      Er bemerkte Diederichs Enttäuschung und setzte hinzu:

      »Natürlich rede ich mit solch einem Manne anders. Aber jeder von uns muss an seinem Teil der Sozialdemokratie Abbruch tun und die kleinen Leute in das Lager unseres christlichen Kaisers hinüberziehen. Tun auch Sie das Ihre!«

      Damit war Diederich entlassen. Er hörte den Barbier noch sagen:

      »Schon wieder ein alter Kunde, Herr Assessor, der zu Liebling hinübergeht, bloß weil Liebling jetzt Marmor hat.«

      Wiebel sagte, als Diederich ihm berichtete:

      »Das ist alles schön und gut, und ich habe eine ganz bedeutende Verehrung für die ideale Gesinnung meines Freundes von Barnim, aber auf die Dauer kommen wir damit nicht mehr weiter. Sehen Sie mal, auch Stöcker hat im Eispalast seine verdammten Erfahrungen gemacht mit der Demokratie, ob sie sich nun christlich nennt oder unchristlich. Die Dinge sind zu weit gediehen. Heute heißt es bloß noch: losschlagen, solange wir die Macht haben.«

      Und Diederich stimmte erleichtert bei. Herumgehen und Christen werben, war ihm gleich ein wenig peinlich erschienen.

      »Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich, hat der Kaiser gesagt.« Wiebels Augen drohten katerhaft. »Nun, was wollen Sie mehr? Das Militär ist darüber instruiert, es könne vorkommen, dass es auf die lieben Verwandten schießen muss. Also? Ich kann Ihnen mitteilen, mein Lieber, wir stehen am Vorabend großer Ereignisse.«

      Da Diederich erregte Neugier zeigte:

      »Was ich durch meinen Vetter von Klappke –.«

      Wiebel machte eine Pause. Diederich zog die Absätze zusammen:

      »– in Erfahrung gebracht habe, ist noch nicht für die Öffentlichkeit reif. Ich will nur bemerken, dass der gestrige Ausspruch Seiner Majestät, die Nörgler möchten gefälligst den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schütteln, eine verteufelt ernst zu nehmende Warnung war.«

      »Tatsächlich? Sie glauben?« sagte Diederich. »Dann ist mein Pech wirklich skandalös, dass ich gerade jetzt aus dem Dienst Seiner Majestät scheiden musste. Ich darf sagen, dass ich gegen den inneren Feind meine volle Pflicht getan haben würde. Auf die Armee, so viel weiß ich, kann der Kaiser sich verlassen.«

      Er war in diesen nasskalten Februartagen des Jahres 1892 viel auf der Straße, in der Erwartung großer Ereignisse. Unter den Linden hatte sich etwas verändert, man sah noch nicht, was. Berittene Schutzleute hielten an den Mündungen der Straßen und warteten auch. Die Passanten zeigten einander das Aufgebot der Macht. »Die Arbeitslosen!« Man blieb stehen, um sie ankommen zu sehen. Sie kamen vom Norden her, in kleinen Abteilungen und im langsamen Marschschritt. Unter den Linden zögerten sie, wie verwirrt, berieten sich mit den Blicken und lenkten nach dem Schloss ein. Dort standen sie, stumm, die Hände in den Taschen, ließen sich von den Rädern der Wagen mit Schlamm bespritzen und zogen die Schultern hoch unter dem Regen, der auf ihre entfärbten Überzieher fiel. Manche von ihnen wandten die Köpfe nach vorübergehenden Offizieren, nach den Damen in ihren Wagen, nach den langen Pelzen der Herren, die von der Burgstraße her schlenderten; und ihre Mienen waren ohne Ausdruck, nicht drohend und nicht einmal neugierig, nicht, als wollten sie sehen, sondern als zeigten sie sich. Andere aber ließen kein Auge von den Fenstern des Schlosses. Das Wasser lief über ihre hinaufgewendeten Gesichter. Ein Pferd mit einem schreienden Schutzmann trieb sie weiter, hinüber oder bis zur nächsten Ecke – aber schon standen sie wieder, und die Welt schien versunken zwischen diesen breiten hohlen Gesichtern, die fahler Abend beschien, und der starren Mauer dort hinten, auf der es dunkelte.

      »Ich begreife nicht«, sagte Diederich, »dass die Polizei nicht energischer vorgeht. Das ist doch eine unbotmäßige Bande.«

      »Lassen Sie’s gut sein«, erwiderte Wiebel. »Die Schutzleute sind genau instruiert. Die Herren da oben haben ihre wohlüberlegten Absichten, das können Sie mir glauben. Es ist nämlich gar nicht immer zu wünschen, dass derartige Fäulniserscheinungen am Staatskörper gleich anfangs unterdrückt werden. Man lässt sie ausreifen, dann macht man ganze Arbeit!«

      Die Reife, die Wiebel meinte, kam täglich näher, am sechsundzwanzigsten schien sie da. Die Demonstrationen der Arbeitslosen sahen zielbewusster aus. In eine der nördlichen Straßen zurückgetrieben, quollen sie aus der nächsten, bevor man ihnen den Weg abschneiden konnte, verstärkt wieder hervor. Unter den Linden vereinigten sich ihre Züge, rannen, sooft sie getrennt wurden, wieder zusammen, erreichten das Schloss, wichen zurück und erreichten es noch einmal, stumm und unaufhaltsam wie übergetretenes Wasser. Der Wagenverkehr stockte, die Fußgänger