Название | Der Palast des Poseidon |
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Автор произведения | Thomas Thiemeyer |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | Die Chroniken der Weltensucher |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948093327 |
Eigenartig, seine alte Gegend wiederzusehen. Dabei war es erst zwei Monate her, dass er in die Dienste des Forschers Carl Friedrich von Humboldt getreten war. Eine abenteuerliche Reise nach Peru lag hinter ihm. Eine Reise, die so unvorstellbar gewesen war, dass sie ihm, im Nachhinein betrachtet, wie ein Traum vorkam. Doch jetzt hatte er wieder vertrauten Boden unter den Füßen. Er konnte es kaum erwarten, seinen Freunden zu erzählen, was er erlebt hatte.
Die Menschen huschten wie graue Schatten von Hauseingang zu Hauseingang, wichen Pferdeäpfeln aus und zogen die Köpfe ein. Bei diesem Wetter mochte man wirklich keinen Hund vor die Tür jagen. Oskar beeilte sich, ins Trockene zu kommen. Eine Ausgabe der Berliner Morgenpost unter den Arm geklemmt, rannte er weiter.
Es dauerte nicht lange, da erblickte er das vertraute Schild seiner Stammkneipe. Es war Freitagabend und die Gasthäuser waren brechend voll. Der Holzfäller bildete da keine Ausnahme. Gelächter und Musik drangen auf die Straße. Durch die Bleiglasfenster fiel anheimelndes Licht. Oskar nahm die Mütze vom Kopf und strich durch seine schwarzen strubbeligen Haare, öffnete die Tür und trat ein.
Lärm und Gestank schlugen ihm entgegen. Die Luft war geschwängert vom Geruch nach Tabak und Fettgebratenem. Säuerliche Bierschwaden umwehten seine Nase und vermischten sich mit dem Geruch nach Schweiß und Erbrochenem. Ja, das war der Holzfäller, so wie er ihn in Erinnerung hatte. So vertraut und dennoch so weit weg. Fast wie aus einem anderen Leben.
»Wen haben wir denn da?«, hörte er eine Stimme von links. »Ick glob, mich trifft der Schlag. Det is’ ja unser Oskar.«
»Grüß dich, Kurt.«
Der Alte war einer der Stammkunden des Holzfällers. Einer, den man Tag und Nacht hier antreffen konnte. Kurts breites Grinsen entblößte einige schwarze Zähne. Wie immer hockte er über seinem Bockbier, einem dunklen Gesöff, das gleichzeitig seinen Durst und seinen Hunger zu stillen schien. Oskar hatte ihn jedenfalls noch nie etwas essen sehen.
»Na, wieder zurück von den Toten?«
»Wieso tot?«, fragte Oskar. »Mir geht’s bestens.«
»Da hab ick aber was anderes jehört.«
Oskar winkte ab und quetschte sich durch die Menschenmenge. Sein Ziel war der hintere Teil der Wirtschaft. Ein kleiner Ecktisch, der seit jeher Treffpunkt seiner Bande war.
Er war noch nicht weit gekommen, als er auf den Schwarzen Fährmann stieß, einen ungehobelten, knapp zwei Meter großen Kerl, der so hieß, weil er früher mal auf einem Lastkahn gearbeitet hatte. Der Fährmann drehte sich um. Seine Augen verengten sich. »Du?«
»Ja, ich«, gab Oskar zurück.
»Das is’ ja ’ne Überraschung.«
»Finde ich auch. Von den Toten zurück und so weiter. Darf ich mal …?«
»Weiß Behringer, dass du wieder im Lande bist?«
»Keine Ahnung. Muss ich mich neuerdings bei jedem zurückmelden?« Er schob sich mit Gewalt an der Bohnenstange vorbei und gelangte endlich dahin, wo er hinwollte.
Zumindest einer von seiner Bande war anwesend. Ein junger Bursche mit zerzausten Haaren und abstehenden Ohren. Ein Grinsen erschien auf Oskars Gesicht. »Maus!«
Der Junge hob seinen Blick vom Glas. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Oskar?«
»Wie er leibt und lebt.«
Maus sah aus, als habe er ein Gespenst gesehen. »Mensch, wenn das mal keine Überraschung ist! Du lebst ja!« Er stand auf und fiel Oskar um den Hals. Er drückte ihn, dass ihm die Luft wegblieb.
»Jetzt mach mal halblang, Kumpel«, sagte Oskar. »Wieso tut denn hier jeder so, als wär ich gestorben?«
»Weil es genau das ist, was jeder gedacht hat«, erwiderte Maus. »Wo warst du nur so lange?«
»Erzähl ich dir gleich. Was ist mit den anderen? Ist heute nicht Bandentreffen?«
»Normalerweise schon«, grinste Maus, »aber das schlechte Wetter treibt sie in ihre Löcher. Doch das werde ich ändern, verlass dich drauf. Ich mach mich mal kurz vom Acker und trommele alle zusammen. Du wartest hier, in Ordnung?«
»Klar, mach ich.«
»Rühr dich nicht vom Fleck, ich bin gleich wieder da!«
Während Maus durch die Menschenmenge in Richtung Ausgang eilte, rief er zum Wirt hinüber: »He Paul, schau mal, wer wieder da ist!« Der Wirt, ein glatzköpfiger Mann mit einem Bauch, der so gewaltig war, dass seine Lederschürze darüberspannte, hob erfreut die Hand. »Schön, dich wiederzusehen, Oskar. Wenn einer so lange weg war, hat er bestimmt Durst, oder?«
»Worauf du einen lassen kannst.«
»Wie immer?«
»Wie immer, Paul.«
Eine halbe Stunde später sah sich Oskar umringt von seinen alten Weggefährten. Willi, Bert, Maus und natürlich Lena, die ihn mit großen Augen anhimmelte. Alle hingen sie an seinen Lippen, während er die Geschichte ihrer Reise in allen Details schilderte.
»Zwei Monate«, sagte Willi kopfschüttelnd. »Du hättest wenigstens mal ’ne Nachricht schicken können. Wir haben uns Sorgen gemacht. Wo hast du nur gesteckt?«
Statt einer Antwort schob Oskar die Zeitung über den Tisch. Er wusste, dass er etwas brauchte, um seine Geschichte beweisen zu können, denn was er an der Seite des Forschers erlebt hatte, klang eher wie eine Räuberpistole als wie ein Tatsachenbericht. Das Mädchen schnappte sich die Zeitung und schlug sie auf.
»Seite drei«, sagte Oskar. »Und schön laut, damit die anderen auch etwas mitbekommen.«
Lena Polischinski war vielleicht dreizehn Jahre, so genau wusste sie es selbst nicht, aber abgesehen von Oskar war sie die Einzige, die lesen und schreiben konnte. Sie hatte lange rotbraune Haare und einen Mund, der immer zu lächeln schien. Sie war klein und wendig wie ein Wiesel und verstand es wie keine andere, sich lautlos anzuschleichen. Lena war der Neuzugang in ihrer Bande und seit etwa einem halben Jahr mit dabei.
»Mysteriöser Forscher aus Peru zurückgekehrt«, las sie, den Finger auf dem Papier. »Vortrag an der Universität endet im Eklat.«
»Was is ’n Eklat?«, erkundigte sich Willi.
»Ist französisch«, erwiderte Oskar. »Es heißt Krach oder Aufruhr. Komm, lies weiter!«
»Beim Vortrag des Forschers Carl Friedrich von Humboldt brach ein heftiger Tumult aus, nachdem einige hochrangige Vertreter der Universität die Behauptungen des Reisenden und seiner drei Begleiter anzweifelten und ihn der Universität verwiesen«, las Lena. »Trotz berechtigter Zweifel wirkten die Skizzen und Modelle flugfähiger Maschinen, die Humboldt auf seiner Reise entdeckt hat, so authentisch, dass sogar hochrangige Konstrukteure – unter ihnen Ferdinand Graf von Zeppelin – den Forscher in Schutz nahmen: ›Ich zweifele keine Sekunde daran, dass Humboldt tatsächlich ein geheimnisvolles Volk in Peru entdeckt hat und dass die Erfindungen, von denen er berichtete, funktionieren. Ich selbst habe für eine dieser Konstruktionen die Patentrechte erworben und werde sie bald in Produktion geben.‹ Humboldt selbst äußerte sich vor der Presse dahingehend, dass er dem Universitätsbetrieb den Rücken kehren und sich in die freie Wirtschaft begeben werde. ›Ein neues Zeitalter sei angebrochen‹, sagte er. ›Ein Zeitalter der Taten statt der Worte. Deutschland müsse sich vorsehen, wenn es gegenüber Nationen wie Großbritannien, Frankreich oder den Vereinigten Staaten nicht ins Hintertreffen geraten wolle‹, so der Forscher.« Lena hob den Kopf. »Wieso hat dieser Humboldt dich eigentlich aufgenommen?«
»Vermutlich, weil ich der Beste in meinem Fach bin.« Oskar lehnte sich zurück. »Eigentlich heißt er gar nicht Humboldt. Sein richtiger Name ist Donhauser. Er behauptet, der uneheliche Sohn des großen Naturforschers Alexander von Humboldt zu sein, aber ich glaube, es ist mehr so ein Künstlername. Ich mache Besorgungen für ihn,