Die Stadt der Regenfresser. Thomas Thiemeyer

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Название Die Stadt der Regenfresser
Автор произведения Thomas Thiemeyer
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Die Chroniken der Weltensucher
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783948093297



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sagte der Forscher. »Ich nenne sie Linguaphon. Ein Gerät, welches das leidige Sprachproblem auf meinen Reisen lösen soll. Es ist noch nicht ganz ausgereift, aber ich habe vor, es bei der bevorstehenden Reise auf Herz und Nieren zu testen. Jetzt komm.«

      Humboldt führte ihn nach hinten, drückte einen Knopf und setzte damit eine seltsam kalt leuchtende Lampe in Betrieb. Dann klopfte er auf einen Stuhl, der am Kopfende des riesigen Schreibtischs stand, und zog sich selbst auch einen Stuhl heran. »Zuerst mal möchte ich dir unsere Route zeigen.« Er öffnete eine Schublade, holte eine Karte hervor und breitete sie aus. »Unsere Reise wird lang und beschwerlich«, sagte er und fuhr mit dem Finger über die Abbildung. »Quer durch den Atlantik und an Feuerland vorbei. Schon mal davon gehört?«

      »Aus Seefahrergeschichten. Es ist der Südzipfel von Südamerika, nicht wahr?«

      »Ich sehe, du kennst dich aus. Die Einheimischen nennen es Tierra del Fuego. Eine wilde und unerforschte Gegend.«

      »Wo starten wir?«

      »Hier ist Berlin«, sagte der Forscher und tippte mit dem Finger auf die Karte. »Unser Schiff ist die Sakkarah der DDG Kosmos. Das Dampfschiff fährt von Hamburg über Le Havre, Montevideo und Buenos Aires bis runter an die Südspitze von Feuerland, durch die Magellanstraße und dann wieder hinauf bis an die chilenisch-peruanische Grenze. Auf dem Weg nach Callao lassen wir uns in Camaná absetzen, einer Stadt in der Region Arequipa. Dort mieten wir uns ein paar Maultiere und begeben uns bis zu diesem Punkt.« Sein Finger kam auf der Karte zum Stillstand. Eine Markierung war dort eingezeichnet, ein paar Wörter und eine lange Zahl.

      »Cañón del Colca«, las Oskar. »Dreitausend Meter.«

      »Die tiefste Schlucht der Erde«, sagte Humboldt. »Zumindest, wenn man den Landvermessern trauen darf. Der Cañón ist das Ziel unserer Reise.«

      »Peru«, sagte Oskar. »Was wollen Sie denn dort?«

      »Es gibt eine Legende in dieser Gegend«, sagte Humboldt und wandte sich seinem Arbeitstisch zu. Er öffnete eine Schublade und fing an, darin herumzuwühlen. »Alte Schriften berichten von den sogenannten Regenfressern. Es heißt, sie seien mächtige Zauberwesen, denen es gelungen sei, die Fesseln der Schwerkraft zu zerschneiden und wie Vögel den Himmel zu beherrschen.«

      »Sie meinen, sie können fliegen? Das ist doch Unsinn, oder?«

      »Die Legende besagt, sie würden die Regenwolken durchkreuzen und dem Land darunter immerwährende Dürre bescheren. Sie seien so gut wie nie zu sehen, weil sie oberhalb der Wolken lebten. Es heißt, nur Eingeweihte könnten den geheimen Weg zu ihrer Stadt finden. Ein Weg, der von mächtigen Wächtern bewacht werde. Na, klingt das nicht abenteuerlich genug?«

      »Und so was glauben Sie?«

      Humboldt lächelte. »Du bist ein Skeptiker, das gefällt mir. Jemand, der nicht gleich alles für bare Münze nimmt, sondern sich ein eigenes Bild machen will. Was die Regenfresser betrifft: Viele Legenden haben irgendwo einen wahren Kern.« Der Forscher zuckte die Schultern. »Wir werden es allerdings kaum herausfinden, wenn wir uns nicht die Mühe machen, selbst nachzuschauen, nicht wahr?«

      Oskar war nicht überzeugt. »Das ist ganz bestimmt nur ein Märchen. Solche Geschichten gibt es zuhauf. Können Sie es sich denn leisten, jeder Legende nachzugehen?«

      »Natürlich nicht.« Auf Humboldts Gesicht erschien ein verschmitzter Ausdruck. »Es gibt da allerdings eine Sache, die du dir ansehen solltest. Warte mal, ich zeige sie dir.« Er zog eine Schublade auf und wollte gerade hineingreifen, als Oskar hochschrak. Er hatte eine Bewegung im hinteren Teil des Laboratoriums bemerkt. Es war nur ein Schatten gewesen, nicht größer als ein Hund, aber er hätte schwören können, dass es auf zwei Beinen lief. »Was ist das?«

      Angestrengt spähte er in die Schatten, konnte aber nichts entdecken. Er glaubte schon, sich getäuscht zu haben, als er die Bewegung erneut bemerkte. Diesmal auf der linken Seite und viel dichter dran. Jetzt konnte er auch ein Geräusch hören: das Klappern von hornigen Zehen auf Steinplatten. Die seltsame Erscheinung schien den Schatten der Tische dazu zu nutzen, sich unbemerkt zu nähern. Oskar schob seinen Stuhl zurück. Das war definitiv kein Hund. Es war auch keine Katze oder Ratte. Es war etwas gänzlich anderes.

      »Nur keine Angst«, sagte Humboldt. »Das ist nur Wilma. Sie will uns einen Besuch abstatten.«

      Die Kreatur war jetzt ganz nah. Langsam schob sie sich ins Licht. Ein langer Schnabel, wache, kluge Augen, ein stumpfer Körper und riesige Füße. Oskars Augen wurden groß wie Murmeln.

      Das Wesen drehte den Kopf, musterte ihn eingehend und gab dann ein fragendes Quieken von sich.

      Humboldt holte eine kleine Dose aus einem der Regale, öffnete sie und warf dem Wesen etwas in den Schnabel. Dann ging er vor ihm in die Hocke und streichelte ihm über den Kopf.

      Oskar vergaß vor Verblüffung, den Mund zu schließen. »Das ist ein Kiwi«, stammelte er.

      Der Forscher hob erstaunt die Augenbraue. »Ganz recht. Eine in Neuseeland heimische Zwergstraußenart. Du kennst dich aber gut aus.«

      »Brehms Tierleben«, sagte Oskar. »Ich habe mal ein paar Seiten daraus in irgendeiner Illustrierten abgebildet gesehen. Ich habe mir nie vorstellen können, dass so ein Wesen tatsächlich existiert.«

      »Oh, der Kiwi existiert«, sagte Humboldt. Er warf ihm noch einen Happen in den Schnabel. In der Dose waren irgendwelche Insekten. Käfer oder so. »Er ist der kleinste flugunfähige Laufvogel der Welt. Der Name dieses Prachtexemplars ist Wilma und sie ist ein Mädchen. Eigentlich ist der Garten ihr Revier, aber wenn sie merkt, dass ich hier unten bin, kommt sie mich besuchen. Sie hat einen eigenen Eingang dort hinten. Sie ist sehr klug. Willst du sie mal streicheln?«

      Oskar streckte die Hand aus. Der Kiwi pickte kurz danach, doch als Oskar nicht zurückzuckte, ließ er sich widerstandslos am Kopf kraulen.

      »Siehst du, sie mag dich. – So, genug gespielt, Wilma«, sagte Humboldt und gab dem Vogel einen Schubs. »Ab mit dir in den Garten, Insekten fangen. Husch, husch.« Der Vogel gab ein grunzendes Geräusch von sich und rannte dann schnurstracks in den hinteren Teil des Laboratoriums, von wo er gekommen war.

      »Niedlich.« Oskar hatte seinen anfänglichen Schrecken überwunden. Dieses Haus steckte wirklich voller Überraschungen.

      »Vor allem ein guter Aufpasser«, sagte Humboldt. »Besser als jeder Hund. Sie sieht zwar nicht gut, dafür hört und riecht sie umso besser. Außerdem ist sie nachtaktiv und kann einen Heidenspektakel machen, sollte jemand versuchen, auf das Grundstück zu kommen. Aber jetzt weiter. Erinnerst du dich, ich wollte dir etwas zeigen.« Er griff in die Schublade und zog einen Gegenstand heraus, der in mehrere Lagen Stoff gehüllt war. Er wickelte ihn aus und hob ihn hoch. Oskars Blick fiel auf eine flache, stumpf glänzende Kupferplatte. Etwa fünfzehn Zentimeter lang und zwanzig Zentimeter breit. Nicht viel mehr als ein Blech. Das Ganze sah recht ramponiert aus. Die obere Ecke war abgebrochen und es befanden sich überall Kratzer und Einschläge darauf. Die eine Seite war von einer dunklen Schicht überzogen, die im Licht der Lampe merkwürdig fleckig wirkte.

      »Das ist alles?« Oskar war enttäuscht. Nach all den Ankündigungen und der Vorfreude hatte er mit etwas wirklich Sensationellem gerechnet. Doch von allen Dingen, die er hier unten gesehen hatte, war dies bei weitem das unspektakulärste.

      »Das, mein junger Freund, ist die Wiege der Rätsel.« Humboldts Augen leuchteten vor Aufregung. »Der größte Schatz, den ich hier unten aufbewahre.«

      »Das soll ein Schatz sein? Das ist doch nur ein Stück Blech.«

      »Es ist eine fotografische Platte«, sagte der Forscher. »Ich weiß nicht, ob du so etwas schon einmal gesehen hast. Vor einigen Jahren war es das übliche Verfahren, um Bilder dauerhaft auf ein Metallblech zu bannen. Es ermöglicht eine genaue, um nicht zu sagen exakte Darstellung der betreffenden Szene. Dies ist eine authentische Wiedergabe der Wirklichkeit, ein Betrug ist daher so gut wie unmöglich. Die Kameras waren sehr schwer und klobig, weshalb man in jüngerer Zeit dazu übergegangen ist, Fotos auf Filmmaterial zu belichten.«

      »Ich erkenn da gar