Die Stadt der Regenfresser. Thomas Thiemeyer

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Название Die Stadt der Regenfresser
Автор произведения Thomas Thiemeyer
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Die Chroniken der Weltensucher
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783948093297



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Max. »Ihr Ressort.«

      Der Redakteur erwiderte Vanderbilts Blick mit ungutem Gefühl. Täuschte er sich, oder war es hier plötzlich wärmer geworden?

      Er starrte auf die Karte. Die untere Hälfte von Amerika gehörte zu seinem redaktionellen Zuständigkeitsbereich. Der Global Explorer war eine wöchentlich erscheinende Publikumszeitschrift, die sämtliche Bereiche der Naturwissenschaften umfasste. Von Expeditionen in unbekannte Länder über die neuesten Errungenschaften in Medizin und Technik bis hin zur Entdeckung neuer Tierarten. Es gab kein Thema, das nicht ausführlich und mit größtmöglicher wissenschaftlicher Seriosität behandelt wurde. Natürlich fanden sich auch immer wieder mal Beiträge, die sich über kurz oder lang als Märchen entpuppten, aber die Leser liebten diese Geschichten. Beiträge über Seemonster, Dinosaurier und Schneemenschen gehörten ebenso zum Erscheinungsbild des Explorer wie Berichte über versunkene Hochkulturen und rätselhafte Weltreiche. Doch seit einiger Zeit wehte ein frischer Wind in der Verlagsszene. In Washington war eine neue Gesellschaft gegründet worden. Eine Vereinigung, die sich rühmte, die größte geografische Gesellschaft der Welt zu sein, und die mit ständig wachsenden Mitgliederzahlen protzte. Ihr monatlich erscheinendes Fachmagazin erfreute sich großer Beliebtheit und schickte sich an, dem Explorer den Rang abzulaufen. Sein Name war National Geographic Magazine.

      Max schluckte. »Was ist mit Peru?«

      »Wann haben Sie zuletzt etwas von Boswell gehört?«

      Max blickte verwundert. Harry Boswell war ein Fotograf, der im Auftrag des Global Explorer die Andenregion erkundete. Seine Reise dauerte nun schon über ein Jahr. In regelmäßigen Abständen verfasste er Reiseberichte und schickte diese zusammen mit seinen Aufnahmen an das Verlagshaus in New York. Bisher waren seine Berichte mit größter Regelmäßigkeit eingetroffen, doch seit etwa drei Monaten hatte er nichts mehr von sich hören lassen. Kein Brief, kein Paket, kein Telegramm.

      Max begann zu ahnen, worum es bei dieser außerordentlichen Sitzung ging. Er versuchte, sich an das Datum der letzten Sendung zu erinnern. »Es war Dezember vorigen Jahres«, sagte er und seine Stimme klang seltsam dünn. »Er hatte mir ein paar Aufnahmen der Andenregion nahe der chilenischen Grenze geschickt. Recht spektakuläres Material. Sie erinnern sich? Wir brachten einen Bericht darüber im Februar.«

      »Und seitdem?«

      »Funkstille«, gab Max zu. »Ich habe ein paarmal versucht, ihn telegrafisch über unsere Kontaktleute in Lima zu erreichen, aber Fehlanzeige. Wie es scheint, ist Boswell spurlos verschwunden. Ich wollte noch einen Monat warten, ehe ich eine offizielle Vermisstenanzeige herausbringe.« Er runzelte die Stirn. »Haben Sie Neuigkeiten, was aus ihm geworden ist?«

      Statt einer Antwort kehrte Vanderbilt an seinen Platz zurück, griff unter den Tisch und brachte eine Ledertasche zum Vorschein. Es war ein abgewetztes, völlig stockfleckiges Teil, das so aussah, als habe es das letzte halbe Jahr im Hudson River gelegen. Max hielt den Atem an. Unzweifelhaft die Tasche von Boswell, eine Spezialanfertigung eines Lederwarenherstellers hier in der Stadt. Max erinnerte sich noch, wie stolz der Fotograf ihm seine Neuerwerbung präsentiert hatte, damals, ehe er in Richtung Süden aufbrach. Dreck und Reste von Pflanzenfasern fielen ab, als Vanderbilt die Tasche auf den Tisch legte. Der Zeitungsmogul zog ein Taschentuch aus der Hose, wischte sich kurz die Finger ab und machte sich dann daran, die lederne Deckklappe zu öffnen. »Diese Tasche wurde uns vor drei Tagen aus Lima zugeschickt«, sagte er, sichtlich angeekelt von dem schmutzigen Leder. »Sie kursierte dort für einige Zeit auf dem Schwarzmarkt, ehe einem aufmerksamen Zwischenhändler das Logo unserer Zeitung auffiel.« Er tippte auf das X und den umrahmenden Schriftzug. »Er setzte sich daraufhin mit unserem Kontaktmann in Verbindung, der in meinem Namen die Preisverhandlungen führte. Die Summe für den Rückkauf dieser Tasche war astronomisch. Mehr Geld, als Sie sich vorstellen können.«

      »Und Boswell?«

      »Von ihm fehlt bislang jede Spur. Wir wissen nur, dass er sich im Bereich der Colca-Schlucht aufgehalten hat. Wir werden bald eine Suchmannschaft vor Ort schicken, die nach seinem Verbleib forscht.«

      Max schüttelte verständnislos den Kopf. »Was ist denn so besonders an der Tasche, dass Sie dafür Geld geboten haben? Für mich sieht sie aus wie ein wertloses Stück Leder. So etwas würde ich höchstens kaufen, um damit meine Frau zu erschrecken.«

      Außer einem verhaltenen Räuspern blieb es still im Saal. Sein Scherz war offensichtlich auf unfruchtbaren Boden gefallen.

      »Das liegt daran, dass Ihnen der Weitblick fehlt«, sagte Vanderbilt mit sarkastischem Unterton. »Was mich daran interessiert, ist weniger das Äußere als vielmehr ihr Inhalt. Sind Sie denn gar nicht daran interessiert, zu erfahren, woran Boswell gearbeitet hat, ehe er verschwand?« Der Zeitungsmogul bedachte ihn mit einem Lächeln, aus dem gleichzeitig Überlegenheit und Tadel herauszulesen war.

      »Doch, natürlich …«

      Vanderbilt ließ seine Wurstfinger im Inneren der Tasche verschwinden und holte vier reichlich ramponiert aussehende Metallbleche heraus. Fotoplatten.

      Max beugte sich vor, konnte aber nichts erkennen. Mit gönnerhafter Miene ließ der Verleger jeweils zwei Platten nach rechts und zwei nach links wandern, während er aus verquollenen Augen die Reaktion seiner Redakteure beobachtete.

      Diese ließ nicht lange auf sich warten. Ausrufe des Erstaunens waren zu hören, scharfes Einatmen, das Knarzen von Leder und das Rücken von Stühlen. Es dauerte nicht lange und kein einziger von den Redakteuren saß mehr auf seinem Platz, Max Pepper eingeschlossen. Alle waren aufgesprungen, um zu sehen, was Boswell da fotografiert hatte. Es bildete sich eine Traube von dunkelblauen Anzügen, weißen Hemden, Manschettenknöpfen, vernickelten Brillen und gesträubten Bärten. Es wurde geschoben und gedrängelt wie in der Schule bei der Milchausgabe. Schweißgeruch lag in der Luft. Max versuchte, sich vorzuarbeiten, scheiterte aber an der Aggressivität seiner Kollegen. Endlich gelang es ihm, seine Finger um eine der Metallplatten zu schließen und sie zu sich heranzuziehen. Er hielt sie im richtigen Winkel gegen das Licht und betrachtete die feinen Ätzungen.

      Dann sagte er für längere Zeit nichts mehr.

      5

      Als es Max endlich gelang, seine Augen von der Aufnahme zu lösen, bemerkte er, dass Vanderbilt direkt neben ihm stand. Sein Gesicht war rot vor Erregung.

      »Verblüffend, nicht wahr?«

      Max’ Verstand bemühte sich, eine rationale Erklärung für das Gesehene zu finden, doch es gelang ihm nicht. »Sind Sie sicher, dass das keine Fälschung ist?«, brachte er schließlich mit krächzender Stimme heraus. »Irgendein optischer Trick, um uns an der Nase herumzuführen?«

      Vanderbilt zuckte die Schultern. »Wenn es so wäre, hätten wir es mit einer verdammt guten Illusion zu tun«, sagte er. »So oder so, es wäre auf jeden Fall einen Artikel in unserer Zeitschrift wert. Aber wichtiger noch: Ich muss Boswell finden. Er muss darüber berichten, was er da fotografiert hat. Ich möchte, dass Sie sich darum kümmern, Max. Persönlich.«

      Max hob den Kopf. Erst jetzt wurde ihm klar, was sein Verleger da von ihm verlangte. »Ich … ich soll nach Südamerika fahren?«

      »Ganz recht. Und zwar so bald wie möglich. Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, Ihre Sachen zu packen und sich von Ihrer Familie zu verabschieden. Auf Ihren Namen ist ein Bahnticket ausgestellt, das Sie quer durch die Staaten bis nach San Francisco bringen wird. Von dort werden Sie mit dem Schiff Richtung Süden bis nach Lima fahren. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich regelmäßig bei mir melden.«

      »Aber das geht doch nicht!«, protestierte Max. »Ich bin Zeitungsredakteur, kein Abenteurer. Ich habe keine Ahnung von der Logistik eines solchen Unternehmens, geschweige denn von den Sitten und Gebräuchen eines Landes wie Peru. Und überhaupt: Was soll diese Eile? Ich sehe keinen Grund für einen überstürzten Aufbruch. Ich finde, wir sollten das alles noch einmal in Ruhe überdenken.« Seine Stimme wurde leiser. Er war sich mit einem Mal bewusst, dass das Gerangel an den Tischen beendet war und alle Augen sich auf ihn gerichtet hatten.

      »Der Grund, mein lieber Pepper, ist folgender …«, Vanderbilt plusterte