Mörderische Ostsee. Claudia Schmid

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Название Mörderische Ostsee
Автор произведения Claudia Schmid
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267707



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lebte? Bewachte er das Haus? Es konnte einem zwar wirklich bange werden, wenn Edelgard schrie, und sie konnte mit der von ihr erreichten Lautstärke vermutlich einen Einbrecher verjagen, aber dass sie einen großen Hund damit einzuschüchtern vermochte, erschien Julian ziemlich unwahrscheinlich. Vermutlich würde dessen Aggressivität durch die Lautstärke nur noch weiter angeheizt.

      »Mom! Was ist denn los?« Mit einem Satz war Julian bei seiner Mutter.

      »Da drin sitzt jemand.« Edelgard zitterte am ganzen Körper.

      »Ein großer Hund?«

      Sie schüttelte ihren Kopf.

      Norbert, der ebenfalls hinters Haus gekommen war, nahm sie in seine Arme. »Beruhige dich. Wir sind bei dir.« Er hielt sie fest und streichelte ihren Rücken.

      Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Da drin ist etwas ganz Entsetzliches, Furchtbares. Julian, du solltest die Polizei rufen.«

      Julian näherte sich der Hütte, ging in die Hocke und beugte sich vor. Gleich darauf schnellte er hoch und wich einige Schritte zurück. Er winkte Filip herbei, der in einigen Metern Abstand gewartet hatte.

      »Filip, look here!«

      »Horrible.«

      »Small person. Perhaps a woman.«

      Filip zog sein Smartphone aus der Hosentasche und zeigte Julian das Display.

      Der sagte zu seinen Eltern: »Kein Empfang. Wir müssen mit dem Boot fahren. Am besten nach Sandhamn auf Sandön.«

      »Ich bleibe auf keinen Fall hier zurück.« Edelgard hatte wieder zu ihrer normalen Tonlage gefunden.

      »Aber du hast sie entdeckt, Mom.«

      »Meine Güte, Julian, das kann ich auch auf einem Revier aussagen. Auf dieser Insel bleibe ich keine Minute länger. Nicht gemeinsam mit einer Leiche! So wie die aussieht, sitzt die da schon länger.«

      »Was ist mit dem Essen?« Norbert wandte sich an Julian. »Das nehmen wir doch wieder mit? Ich halte es in Anbetracht der momentanen Situation für ziemlich unangebracht, hier Mittsommer zu feiern. Obwohl es durchaus bedauerlich ist.«

      *

      Sie haben mich befragt. Klar, es ist ja meine Insel. Sie sind deshalb sogar zu meiner Arbeitsstelle gekommen. Es war mir schrecklich peinlich, wegen der Kollegen. Ich weiß, wer die Frau ist. Aber was hätte ich machen sollen? Meinen eigenen Vater anzeigen? Weil er sie auf der Insel zurückgelassen hatte? So etwas tut man nicht. Außerdem war sie tot. Es hätte sie nicht wieder lebendig gemacht. Was mich wirklich verletzt, ist der Umstand, dass Julian ohne mich rausgefahren ist. Noch dazu mit drei weiteren Leuten. Ich hatte meinem neuen Freund vertraut. Wirklich dumm, dass er zur Insel gefahren ist, um mir eine Freude zu machen. Er wollte alles für Mittsommer vorbereiten und dann mit mir und den anderen hinausfahren. Ich hätte den Zettel mit den Koordinaten nicht auf meinem Schreibtisch herumliegen lassen sollen. Die Überraschung ist geglückt, das kann man sagen. Aber die lag eher auf seiner Seite.

      Vater hatte eine Asiatin kennengelernt. Die seien so anschmiegsam, war seine Rede. Ich konnte sie von Anfang an nicht leiden. Vater schenkte ihr meines Erachtens viel zu viel Aufmerksamkeit. Nachdem Mutter sich von ihm getrennt hatte, stand ihm nicht mehr der Sinn nach einer selbstbewussten Frau. Die neben ihm ihr eigenes Leben führt und nichts mit ihm gemeinsam hat. So drückte er sich zumindest mir gegenüber aus. Mutter tat nie, was er sagte. Sie wollte auch nicht auf die Insel. Dabei war es dort so schön ruhig. Hin und wieder das Kreischen der Seevögel. Unser Hund war dort auch gerne. Keine lästigen Geruchsspuren, die ihn in der Stadt beinahe wahnsinnig machten. Mutter war eher der gesellige Typ, sie mochte die Einsamkeit nicht. Mir hätte es völlig genügt, mit Vater alleine auf der Insel zu sein. Er hat mir Angeln beigebracht und gezeigt, wie man Fische ausnimmt. Das waren meine glücklichsten Tage.

      Die Asiatin war nicht so gehorsam, wie Vater es gerne gehabt hätte. Die beiden hatten einen fürchterlichen Streit. Worum es genau ging, weiß ich nicht. Zur Strafe ließ er sie auf der Insel zurück. Er hat nicht bemerkt, dass ich das Haus heimlich abschloss und den Schlüssel an mich nahm. Ich konnte doch nicht ahnen, dass es kurz darauf zu einem dramatischen Wetterumschwung kommen würde. Vor dem aufkommenden Sturm mit ungeplantem Kälteeinbruch hatte sie sich in die Hundehütte verkrochen. Genau dort hatte Vater sie wenige Tage später gefunden und sie einfach darin gelassen. Ich hatte, Unangenehmes ahnend, flink vor ihm das Boot verlassen und, während er es vertäute, das Haus aufgeschlossen und den Schlüssel an seinen gewohnten Platz gelegt. Dass sie sich in die Hundehütte verkrochen hatte, schrieb er ihrer Angst vor Gewittern zu. In Panik handeln Menschen unüberlegt. Sich in der Hütte zu verkriechen, war ziemlich dumm von ihr, so fand er. Wir sprachen nie wieder über sie. Ich hatte Vaters ganze Aufmerksamkeit wieder für mich allein. Da die Asiatin illegal in Schweden war, fiel ihr Verschwinden niemandem auf. Genau genommen war sie ja auch nicht verschwunden. Sie war die gesamte Zeit über auf der Insel. Bis die neugierige Mutter meines Freundes ihre Ruhe gestört hat. Ich weiß nicht, welche Strafe mir bevorsteht. Mein Vater war es doch, der sie auf der Insel zurückgelassen hat. Von der Sache mit dem Schlüssel weiß niemand. Womöglich habe ich gegen das Bestattungsgesetz verstoßen. Aber eigentlich hat sie ja niemand bestattet. Vater lebt seit drei Jahren in einem Heim, ich besuche ihn, sooft es mir möglich ist. Ihn zu befragen, ist für die Polis zwecklos. Er ist an Demenz erkrankt. Egal, was die ihn fragen, er wird sich an nichts erinnern können. Oft erkennt er nicht einmal mich, wo wir uns doch so nahestehen. Ich fühle trotzdem noch die enge Verbindung zu ihm. Diese Asiatin war lediglich eine kurze Episode, eine Art Verirrung. Sie hat nicht zu unserer Familie gehört. Ob die Polis mir glauben wird, wenn ich behaupte, ich habe von alldem nichts gewusst? Keiner kann mir das Gegenteil beweisen.

      *

      »Was ist mit Frida, Julian? Du trennst dich hoffentlich von ihr!« Edelgard ordnete die Pflanzen, die sie mehr oder minder gegen den Willen ihres Sohnes erworben hatte, auf dem Balkon. »Nach diesem grausigen Fund.« Sie zog eine Grimasse, um ihr Missfallen zu unterstreichen.

      »Mom, ich weiß es nicht. Es ist zu viel auf einmal für mich. Immerhin hat sie niemanden umgebracht und vergraben.«

      »Auf ihrer Insel saß eine Leiche! Schon vergessen?« Edelgards Stimme überschlug sich beinahe vor Entrüstung.

      Norbert rief aus dem Wohnzimmer: »Sie zu vergraben, ging ja auch schlecht. Die Schäreninseln sind aus Granit. Sie hätte einen Presslufthammer gebraucht!«

      »Das ist nichts, worüber man Witze macht. Ich habe sie schließlich gefunden. Das war weiß Gott kein schöner Anblick. Ich hatte mir unseren Ausflug auf die Insel anders vorgestellt und mich sogar richtig darauf gefreut. Die Schäreninseln sind wirklich toll.«

      »Lass erst mal die Polis ihre Arbeit machen. Soweit ich informiert bin, befragen sie Frida eingehend. Nach diesem Vorfall hat sie sofort Urlaub genommen, aber ich habe mit ihr gesprochen. Für mich klang sie ziemlich überrascht von dieser Angelegenheit. Vielleicht gibt es eine einfache Erklärung für alles.«

      »Eine Schiffbrüchige hat sich auf die Insel gerettet?«

      »Weshalb nicht?«

      »Komm schon, Julian. Diese Frida zieht dich da in etwas hinein. Das gefällt mir nicht. Die Frau ist nichts für dich. Das habe ich im Gefühl. Sie tut dir nicht gut!«

      Während Edelgard mit Julian auf dem Balkon diskutierte, fiel ihr auf, dass in der Wohnung der seltsamen Frau gegenüber die Jalousien hochgezogen waren. War die nicht vorhin weggegangen?

      Julian folgte ihren Blicken. »Was ist, Mom? Hast du eine weitere Verbrecherin ausgemacht?«

      »Mit der Frau, die dort wohnt, stimmt irgendwas nicht.«

      »Du liest wirklich zu viele Krimis. Paps hat völlig recht, wenn er das immer wieder sagt.«

      »Sie liest sie nicht nur. Sie guckt auch im Fernsehen ständig welche«, ließ sich Norbert von drinnen vernehmen.

      »Ich habe ein Fernglas im Koffer.«

      »Mom! Wozu das denn?«

      »Dein Vater und ich reisen weiter