Der Mensch ist böse. Julian Hannes

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Название Der Mensch ist böse
Автор произведения Julian Hannes
Жанр Юриспруденция, право
Серия
Издательство Юриспруденция, право
Год выпуска 0
isbn 9783833872105



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      So hätte es sich abgespielt, wenn Sie einer der 40 Teilnehmer des ursprünglichen Experiments gewesen wären – zumindest aus Ihrer Sicht. Aber keine Sorge, in diesem Experiment wurde niemand wirklich verletzt: Der Schüler und der Versuchsleiter waren Schauspieler. Es gab keine echten Schocks, alles war nur Inszenierung. Das Experiment war wie ein Theaterstück, der Einzige, der nicht eingeweiht war, war derjenige, der die Schocks verpasste. Es ging auch nicht um das Thema Gedächtnis. Es ging darum, herauszufinden, wie weit die Probanden gehen. Wann würden sie abbrechen? Wann würden sie sich weigern weiterzumachen?

      Wahrscheinlich werden Sie jetzt sagen, dass Sie nie bis über 300 Volt gegangen wären. Dass Sie spätestens beim ersten Schrei abgebrochen hätten. Die Ergebnisse der Studie zeigen aber etwas anderes: Von den 40 Teilnehmern haben nur 14 das Experiment vor dem stärksten Schock abgebrochen. Die meisten Menschen gehen immer weiter und weiter und weiter – nur weil eine scheinbare Autorität das befiehlt.

      Aber ist es so einfach? Kann man durchschnittliche Personen in einem so simplen Experiment zu Mördern machen? Wie schon gesagt, wurde der Versuch oft kritisiert. Seine wesentlichen Ergebnisse aber werden immer wieder bestätigt.

      Der Luzifer-Effekt

      Dass normale Menschen durchaus im Stande sind, Böses zu tun, hat auch der Forscher Philip Zimbardo in seinem berühmten Stanford-Prison-Experiment herausgefunden, das trotz Kritik bis heute die Psychologie und Kriminologie prägt. Zimbardo hatte den Keller der Universität zu einem Gefängnis umgebaut und seine Studenten in Gefängnisinsassen und -wärter eingeteilt. Das Experiment eskalierte jedoch und musste bereits nach sechs Tagen abgebrochen werden, weil die Wärter zu grausam wurden.

      Dass Menschen unter bestimmten Umständen immer abscheulichere Taten begehen, nannte Zimbardo den Luzifer-Effekt. Eine der Erklärungen dafür haben Sie bereits gehört: Es ist der Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten. Es sind aber noch zwei weitere psychologische Phänomene von zentraler Bedeutung, damit gute Menschen Böses tun. Das erste: Sie sehen sich nicht mehr als Individuen, sondern als Teil einer Gruppe (Deindividuation), wodurch sich die Verantwortung zerstreut. Das zweite: Sie sehen ihre Opfer nicht mehr als einzelne Menschen, sondern als »die Häftlinge«, »die Juden« oder »die Ungläubigen« (Dehumanisierung).

      Was bleibt?

      Extremsituationen, Autoritätsgehorsam und der Luzifer-Effekt sind Beispiele für die Macht der Umstände, die wir oft unterschätzen. Die Ursachen für Psychopathie, Gewalt und böse Taten sind deswegen schwer zu definieren: Es ist ein Mix aus biologischen, genetischen, psychischen und sozialen Faktoren. Das mag unbefriedigend klingen, aber zumindest grundlegend können wir so die Fragen zu Beginn des Kapitels beantworten:

       Wird jede böse Tat von bösen Menschen verübt? Nein.

       Können auch gute Menschen Böses tun? Definitiv.

       Wie wird ein Mensch zum Mörder? Biopsychosoziale Faktoren + die Macht der Umstände (Person x Situation).

       Kann jeder zum Mörder werden? Vielleicht nicht jeder, aber die meisten.

       Könnten Sie zum Mörder werden? In Extremsituationen wahrscheinlich ja. Aber egal, mit welchen Voraussetzungen Sie geboren sind und in welche Situation Sie geraten: Sie haben immer eine Wahl.

      Nun viel Spaß mit einigen der spannendsten gelösten und ungelösten Kriminalfälle. Sie wurden (noch) nicht aufgeklärt, weil sie schwierig sind, weil die Beweislage dünn ist und die Antwort unklar. Haben wir es mit skrupellosen Psychopathen zu tun? Oder ist der Täter der verzweifelte Familienvater? Julian Hannes hat einen bemerkenswerten Blick für Details, stellt die richtigen Fragen und rekonstruiert die Ermittlungen lebhaft und spannend.

       Mark T. Hofmann,

      Kriminal- und Geheimdienstanalyst (Profiler)

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       Mark T. Hofmann ist Kriminal- & Geheimdienstanalyst (Profiler), spezialisiert auf psychologische Techniken. Er hat Organisationspsychologie studiert und wurde in den USA in Profiling- & Geheimdiensttechniken ausgebildet und staatlich zertifiziert.

       Er ist bereits in jungen Jahren einer der führenden Experten seines Metiers und gefragter Gastredner auf Firmenevents, Galas und Kongressen. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen jeder Größe, Behörden & Topverhandler im Wirtschafts- & Sicherheitsbereich.

       www.mark-thorben-hofmann.de

      DAS HORRORHOTEL

      Ein Mann errichtet seine eigene Burg – samt Geheimgängen, Falltüren und Folterkammern. In ihr lässt er vor allem junge Frauen übernachten, die danach spurlos verschwinden. Er ist geschickt, lange kommt ihm niemand auf die Schliche. Doch mit der Zeit wird er gieriger und beginnt, Fehler zu machen ...

      Ein Hotel ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlen soll – zumindest für eine kurze Zeit. Wie bei allem im Leben gibt es aber auch hier große Unterschiede. Zwischen tristen, standardisierten Businesshotels in der Großstadt und tropischen Luxusresorts an weißen Traumstränden liegen natürlich Welten, aber im Grunde haben sie den gleichen Zweck: Sie sollen uns an einem fremden Platz ein Zuhause bieten. Einen Rückzugsort, auch wenn es nur ein Zimmer mit einer Nummer ist, das wir mit einer Chipkarte öffnen.

      Viele Geschäftsreisende mögen diesen nüchternen Stil, andere beklagen die oft unpersönlichen und austauschbaren Räume, in denen mit etwas Glück vielleicht gerade mal ein Stückchen Schokolade als Willkommensgruß auf dem frisch bezogenen Bett liegt. Viele Hotels versuchen daher dagegenzuhalten und ihren Gästen den Aufenthalt so angenehm und persönlich wie nur möglich zu gestalten.

      In Chicago, der drittgrößten Stadt der USA, gibt es heutzutage für jeden Reisenden die passende Unterkunft: Während Backpacker ganz zentral in preiswerten Hostels mit Mehrbettzimmern übernachten können, existieren für die »Upperclass« unweit der Promenade des berühmten Lake Michigan feinste Nobelherbergen.

      In Zeiten wie jetzt, in denen die Konkurrenz groß ist und jeder empörte Gast seine Meinung per Google-Rezension in den Weiten des Internets kundtun kann, müssen sich die Betreiber anstrengen mitzuhalten. Jeder Skandal, jede Unachtsamkeit gegenüber einem Gast kann schon Sekunden später über Social Media kommuniziert werden und dem Haus einen schweren finanziellen Schaden zufügen.

      Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da konnten Hoteliers in Chicago abseits von Meldepflichten und dem Druck der öffentlichen Meinung schalten und walten. Einer von ihnen nutzte diesen Umstand gnadenlos aus. Seine