Lieblingsplätze Lahntal. Andrea Reidt

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Название Lieblingsplätze Lahntal
Автор произведения Andrea Reidt
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783839263747



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       www.lahntal.de

      Ebsdorfergrund: Dörfer und Backhäuser im Marburger Land

      »Das niedlichste Frauchen, das ich je gesehen hatte, klein, rund und alt, eine Schale mit Hühnerfutter in der Hand, auf ihrem Weg in den Hühnerstall«, mit diesen Worten beschreibt die niederländische Malerin Leny Schellenberg-de Kreij ihre erste Begegnung mit der hier abgebildeten Bäuerin aus Amönau. Hätte es die Künstlerin nicht zufällig ins Marburger Land und in eine alte Treisbacher Scheune verschlagen, wären wunderbare Exemplare der hessischen Malerei nie entstanden. Ihr Porträtwerk zeigt eine fast untergegangene bäuerliche Welt.

      Alte Frauen – dieses Motiv bedrängte die Künstlerin in den 1980er-Jahren. Geduldig suchte sie das Vertrauen der Bäuerinnen in Arbeitstracht, von Schusters Oma, Dortchen, Gretchen, Anna und wie sie alle hießen. Sie fotografiert, zeichnet und malt sie beim Hacken und Jäten, beim Hühnerfüttern, Kühemelken, beim Herdanfeuern, Kartoffelnausmachen, bei Gesprächen über den Gartenzaun und beim stundenlangen Vertreiben von Krähen, die auf dem Maisacker die Saatpflänzchen auffressen. Eine solche »lebende Vogelscheuche« gab dem Buch Vom Rabenfrauchen seinen Titel. Irrtümlich nahm ich an, die porträtierten evangelischen Frauen seien »Rabenfrauchen« wegen ihrer schwarzen Abendmahlstracht – über dem geflochtenen Schnatz das Stülpchen und die weiße, gestärkte Abendmahlshaube.

      Es gibt nach Auskunft des Trachtenexperten Eckhard Hofmann aus Dreihausen nur noch 15 evangelische und 33 katholische »authentische« Trachtenträgerinnen im Landkreis, die sich seit ihrer Kindheit täglich in Tracht kleiden. Dreihausen hält übrigens noch zwei Backhäuser in Betrieb. In Rauischholzhausen bewirtschaften Annemarie und Uwe Duske einen Biolandhof mit Bäckerei, Hofladen und Freitags-Hofmarkt. Annemarie und ich haben gemeinsam Abitur gemacht, nach dem Studium übernahm sie die elterliche Landwirtschaft; heute arbeiten und helfen hier 20 Menschen.

      Gemälde von Leny Schellenberg-de Kreij hängen im Museum der Schwalm in Ziegenhain, im Freilichtmuseum Hessenpark, in ihrem Atelier und in Privathäusern.

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      Bäuerin aus Amönau

      von Leny Schellenberg-de Kreij, 1984 (Privatbesitz),

      Pastellkreide, unfixiert

      Die Frau trägt eine Tracht

      des Marburger Landes.

      Landwirtschaft und

      Hofbäckerei Duske

      Potsdamer Straße 7

      35085 Ebsdorfergrund-

      Rauischholzhausen

      06424 70207

       www.biolandhof-duske.de

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      Marburg: Elisabeth-Relief am Historischen Rathaus

      Über dem Portal des Treppenturmes am Marburger Rathaus erzählt ein Relief die Lebensgeschichte einer beeindruckenden Frau: Fürstin Elisabeth von Thüringen (1207–1231) war ein Opfer machtpolitischer und finanzieller Interessen. Die ungarische Königstochter wuchs – als Vierjährige verlobt – am thüringischen Hof mit den acht Landgrafenkindern auf. Mit knapp 14 Jahren heiratete sie Ludwig IV., ihr drittes Kind bekam sie mit 20 bereits als Witwe. Eine typische Frauenbiografie im Hochadel des Mittelalters. Elisabeth jedoch schwamm gegen den Strom. Die arrangierte Ehe war zugleich ein Liebesbund; Ludwig gestand ihr unübliche Rechte zu: Sie tafelte neben ihm, vertrat ihn als Regentin. Zudem verhielt sie sich mit seiner Duldung unkonventionell, schockierte durch maßlose Frömmigkeit im Geist der in Westeuropa entstehenden religiösen Armutsbewegung.

      Zu Elisabeths Lebzeiten kamen die Ideale des 1228 heiliggesprochenen Franz von Assisi in Mode, eines »Gurus« für »Aussteiger« aus Adel und Bürgertum. Elisabeth kleidete sich ärmlich, »küsste die Wunden Aussätziger, spann Wolle für die Armen«, baute ein Hospital, spendete während einer Hungersnot »die gesamte Jahresernte aus den landgräflichen Kornkammern«. Nach Ludwigs Tod 1227 verweigerten seine Brüder der »Verrückten« ihr Witwenerbe. Elisabeth flüchtet 1228 aus Eisenach, folgt dem fanatischen Kreuzzugsprediger Konrad von Marburg, einem berüchtigten Ketzerrichter, 1233 ermordet. Konrad drängt Elisabeth als ihr päpstlich ernannter Beschützer, Beichtvater und Vermögensverwalter noch stärker in ihren religiösen Wahn. Sie unterwirft sich seinem strengen Regiment vollständig, gelobt Gehorsam, Askese, Keuschheit, geistliche Disziplin, entsagt ihren Kindern. 1231 stirbt sie erschöpft an einer Infektion. Ihr Tod und ihr enormer Nachruhm passen höchsten kirchlichen und politischen Würdenträgern bestens ins Kalkül. Elisabeths Enkel Heinrich I. ist der erste Landgraf eines vereinten Hessen.

      Am Eingang zum Pilgrimstein steht die Ruine der von Elisabeth errichteten Franziskuskapelle, in der sie zunächst bestattet war.

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      Elisabeth-Relief am

      Historischen Rathaus

      Markt 1

      35037 Marburg

      Marburg: Elisabethkirche

      Ein Paukenschlag machte Elisabeth von Thüringen in Marburg über Nacht berühmt: Sie verteilte an einem einzigen Tag 500 Silbermark in kleiner Münze von 72.000 Kölner Pfennigen (»ein Huhn kostete etwa drei Pfennige«), ein Viertel ihrer Erbentschädigung, an etwa 1.000 herbeigeströmte Menschen. Solche Aktionen und die Selbsterniedrigung der Königstochter, die Kochtöpfe scheuerte und die strengen mittelalterlichen Standesschranken ignorierte, erhoben sie zu einer Volksheiligen. Nach ihrem Tod wurde ihre Leiche drei Tage lang in der Hospitalkapelle aufgebahrt. Es kamen Menschenmassen, viele Wallfahrer wollten Reliquien ergattern. Es müssen sich Szenen der Hysterie abgespielt haben. Man riss Fetzen von den Tüchern, in die sie gehüllt war; man schnitt ihr Haare und Nägel ab; sogar vor Ohren und Brustwarzen scheute man nicht zurück.

      An Elisabeths Grabstätte vor dem Altar passierten laufend Spontanheilungen, eilends Papst Gregor IX. gemeldet. Pilgerscharen überschwemmten das Städtchen und lösten einen Bauboom aus. Marburg hatte den Tourismus als Einnahmequelle entdeckt.

      Bereits 1232 wurde der Grundstein für die frühgotische Elisabethkirche gelegt, »E-Kirche«, wie sie im Volksmund heißt, 1283 wurde sie geweiht. Die Rosen am Kirchenportal sind ein Sinnbild Mariens; die Legende vom »Rosenwunder« wurde später erfunden. Ihr zufolge verwandelte sich das Brot, das Elisabeth den Armen brachte, in Rosen, als ihr hartherziger Mann sie dabei erwischte. 1236 sprach der Papst Elisabeth heilig, zur Feier erschien viel Prominenz, sogar Stauferkaiser Friedrich II. »in ein Büßergewand gekleidet« und barfuß. Er schmückte den (in der Nacht zuvor abgetrennten) Kopf der Toten mit einer goldenen Krone, legte beides in eine Achatschale, so entstand ein kostbares Kopfreliquiar (heute ohne Schädel im Staatlichen historischen Museum Stockholm).

      Von der lärmenden Elisabethstraße führen Stufen zur Kapelle Michelchen am alten Pilgerfriedhof, von da höher zur Augustenruhe, auf Augenhöhe E-Kirchtürme.