Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Trotz der Sicherheit, die Duroy sich durch seinen Aufenthalt in Paris und vor allen Dingen durch seinen Reporterberuf, der ihn immer wieder mit hervorragenden Menschen in Berührung brachte, erworben hatte, fühlte er sich durch die ganze Inszenierung seines Empfangs und die großen leeren Salons, die er durchwandern musste, etwas verschüchtert. Er stammelte:
»Madame, ich habe mir gestattet …«, und suchte dabei mit den Augen die Frau des Hauses.
Sie reichte ihm die Hand, die er mit einer Verbeugung ergriff, und sagte zu ihm:
»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Duroy, mich zu besuchen.« Und sie wies ihn auf einen Sessel, auf den er, statt sich hinzusetzen, hinabfiel, da er ihm viel höher zu sein schien, als er tatsächlich war.
Die Damen, die einen Augenblick geschwiegen, hatten ihre Unterhaltung wieder aufgenommen. Man sprach über die plötzlich eingetretene Kälte, die aber noch nicht stark genug war, um Schlittschuh laufen zu können, und die auch nicht imstande war, die herrschende Typhusepidemie zu verscheuchen. Jede Dame äußerte ihre Meinung über das Auftreten des heftigen Frostes in Paris, dann plauderte man darüber, welche Jahreszeit eigentlich die angenehmste war und kramte alle jene banalen Begründungen aus, die in den Köpfen sich ablagern, wie Staub auf den Möbeln.
Die Tür ging leise auf und Duroy wandte sich um. Er erblickte durch zwei große Wandscheiben eine sehr korpulente Dame, die näherkam. Gleichzeitig erhob sich im Boudoir eine der Besucherinnen, verabschiedete sich und ging hinaus. Der junge Mann folgte ihr mit den Blicken durch die anderen Zimmer und sah, wie auf ihrem schwarzen Rücken die Jettperlen blitzten.
Als die Unruhe, die dieser Personenwechsel hervorgerufen, sich gelegt hatte, kam man plötzlich ohne Übergang auf Marokko und den Krieg im Orient zu sprechen, ebenso auf die schwierige Lage Englands im fernsten Afrika. Die Damen redeten, als ob sie eine Gesellschaftskomödie, die sie schon oft wiederholt hatten, auswendig hersagten.
Jetzt erschien ein neuer Gast. Es war eine kleine Blondine mit Löckchen, die den Aufbruch einer großen, hageren, nicht mehr ganz jungen Person veranlasste.
Man sprach nun von den Aussichten des Herrn Linet für seine Wahl in die Akademie. Die neu erschienene Dame war überzeugt, er würde von Herrn Cabanon-Lebas geschlagen werden, dem Verfasser der schönen und formvollen Bearbeitung des »Don Quichotte« in Versen für die französische Bühne.
»Wissen Sie, dass sein Stück im nächsten Winter im Odeon aufgeführt wird?«
»Ach wirklich. Ich gehe bestimmt hin und sehe mir diesen literarischen Versuch an.«
Frau Walter antwortete sehr graziös, verbindlich und mit ruhiger Unparteilichkeit, sie war nie um eine Redewendung verlegen, ihre Meinung stand immer im Voraus fest.
Doch sie merkte, dass es dunkel wurde und ließ die Lampe hereinbringen, während sie gleichzeitig auf die Unterhaltung hörte, die ununterbrochen wie ein Wasserbach plätscherte. Dabei fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, beim Graveur die Einladungskarten für das nächste Diner zu bestellen.
Sie war etwas zu stark, aber noch schön, und befand sich in jenem gefährlichen Alter, wo der Niedergang nahe ist. Sie erhielt ihre Schönheit durch alle möglichen Bemühungen und Maßregeln, durch Hygiene und kosmetische Mittel. Alles, was sie tat, war besonnen, überlegt und vernünftig; sie gehörte zu den Frauen, deren Geist geradlinig ist wie ein französischer Garten. Da gibt es nirgends Überraschungen, aber alles ist niedlich und reizend. Sie hatte einen feinen diskreten und sicheren Verstand, der ihr die Fantasie vollkommen ersetzte, dabei war sie gütig, ruhig, wohlwollend, weitherzig für jedermann und für alles. Sie bemerkte, dass Duroy noch nichts gesagt hatte, dass niemand mit ihm redete, und dass er sich deshalb etwas unbehaglich zu fühlen schien. Die Damen sprachen noch immer von ihrem Lieblingsthema, der Akademie, da fragte sie:
»Herr Duroy, Sie müssten doch über die Frage besser orientiert sein als jeder andere. Wem würden Sie den Vorzug geben?«
Er antwortete, ohne zu zaudern:
»In dieser Frage, Madame, würde ich nie den strittigen Punkt über die literarischen Verdienste des einen oder des anderen Kandidaten ins Auge fassen, wohl aber ihr Alter und ihren Gesundheitszustand. Ich würde nicht nach ihren Aussichten, sondern nach ihren Krankheiten fragen. Ich würde mich nicht erkundigen, ob sie Lope de Vega in französische Verse übertragen, sondern nach dem Zustand ihrer Lebern, Herzen, Nieren und Rückenmarke. Für mich sind eine gute Herzerweiterung oder eine Nierenentzündung und vor allem ein hübscher Anfang einer Rückenmarkschwindsucht hundertmal mehr wert als eine vierzig Bände dicke literarisch-wissenschaftliche Arbeit über den Begriff der Vaterlandsliebe in der Literatur der wilden Völkerschaften.«
Ein erstauntes Schweigen folgte dieser Erklärung.
Frau Walter fragte lächelnd: »Warum denn eigentlich?«
Er antwortete: »Weil ich bei allen Dingen nur danach frage, welche Freude sie den Damen machen können. Nun aber interessiert man sich in Wirklichkeit für die Akademie doch nur dann, wenn ein Akademiker stirbt. Je mehr davon sterben, desto glücklicher müssen sie sein. Aber damit sie bald sterben, müsste man immer Alte und Kranke ernennen.«
Da die Damen noch etwas betroffen waren, fuhr er fort: »Übrigens geht es mir ebenso wie Ihnen. Ich lese die Pariser Nachrichten über den Tod eines Akademikers. Ich stelle sofort die Frage: Wer wird an seine Stelle treten? Und ich stelle meine Liste auf. Das ist ein Spiel, ein hübsches, kleines Spiel, das man in allen Pariser Salons beim Hinscheiden eines Unsterblichen spielt: das Spiel des Todes und der vierzig