Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Sie trennten sich gegen Mitternacht, nachdem sie das nächste Rendezvous erst auf Mittwoch der nächsten Woche festgesetzt hatten, weil Madame de Marelle mehrere Abende hintereinander zu Diners eingeladen war.
Als Duroy am nächsten Morgen sein Frühstück bezahlte und vier Geldstücke zusammensuchte, die er noch bei sich haben musste, fand er deren fünf, und eines davon war ein Goldstück.
Im ersten Augenblick glaubte er, man habe ihm gestern beim Wechseln ein Zwanzigfrancsstück aus Versehen zu viel gegeben. Dann aber begriff er und sein Herz begann zu pochen, so sehr demütigten ihn diese andauernden Almosen. Wie leid tat es ihm jetzt, dass er nichts gesagt hatte! Wenn er energisch, gesprochen hätte, so wäre das nicht geschehen.
Vier Tage lang machte er alle möglichen vergeblichen Versuche, sich hundert Francs zu verschaffen, und inzwischen verzehrte er das zweite Goldstück von Clotilde. Als er wieder mit ihr zusammentraf, sagte er ihr zwar sehr ärgerlich: »Weißt du, fange nicht wieder mit deinen Scherzen von neulich Abend an, sonst würde ich wirklich böse.« Trotzdem gelang es ihr abermals, ein Zwanzigfrancsstück in seine Hosentasche gleiten zu lassen.
Als er es entdeckte, fluchte er »Donnerwetter« — aber er steckte das Geldstück sofort in die Westentasche — um es gleich bei der Hand zu haben, denn er besaß keinen Sou mehr.
Sein Gewissen beschwichtigte er, indem er sich sagte: »Ich werde ihr alles auf einmal zurückgeben; es ist doch schließlich nur geliehenes Geld wie jedes andere.«
Endlich erklärte sich der Kassierer der Redaktion auf seine dringenden Bitten bereit, ihm täglich fünf Francs auszuzahlen; das war gerade genug, um sich einigermaßen satt zu essen, aber die Schuld von sechzig Francs zu begleichen, war nach wie vor unmöglich. Da jedoch Clotilde wieder von ihrer leidenschaftlichen Vorliebe für nächtliche Ausfahrten in alle verdächtigen Lokale von Paris ergriffen wurde, so kam er schließlich dazu, sich nicht mehr besonders aufzuregen, wenn er nach einer solchen abenteuerlichen Irrfahrt regelmäßig ein Goldstück in seiner Tasche, einmal sogar in seinem Stiefel, ein anderes Mal im Uhrständer fand. Hatte sie nun einmal Gelüste, die er im Augenblick nicht befriedigen konnte, so war es doch ganz natürlich, dass sie dieselben bezahlte, anstatt sie sich ganz zu versagen.
Übrigens zählte er alles zusammen, was er auf diese Weise von ihr bekommen hatte, um es eines Tages zurückzugeben.
Eines Abends sagte sie zu ihm:
»Denke dir, ich war noch nie in den Folies-Bergère. Willst du mich dorthin führen?«
Er zauderte, denn er fürchtete, Rahel zu treffen. Dann aber dachte er: »Ach was, ich bin doch schließlich nicht verheiratet. Wenn sie mich sieht, wird sie die Situation begreifen und mich nicht anreden. Außerdem werden wir eine Loge nehmen.«
Entscheidend aber war der zweite Grund: Es passte ihm nämlich sehr gut, dass er bei dieser Gelegenheit Madame de Marelle eine Theaterloge anbieten konnte, ohne was dafür zu bezahlen. Es war dies eine Art Gegenleistung. Er ließ Clotilde zunächst im Wagen, um die Eintrittskarten zu besorgen; sie sollte nicht sehen, dass er sie gratis bekam. Dann gingen sie hinein und die Kontrolleure begrüßten sie höflich.
Eine dichte Menschenmenge füllte die Wandelgänge. Nur mit großer Mühe konnten sie sich den Weg durch den Schwärm von Männern und Kokotten bahnen. Endlich erreichten sie ihre Loge und nahmen Platz, eingeschlossen zwischen den unbeweglich sitzenden Zuschauern des Parterre und der wogenden Menge des Wandelganges.
Aber Madame de Marelle sah gar nicht auf die Bühne; sie beobachtete lediglich die Dirnen, die hinter ihrem Rücken auf und ab gingen. Fortwährend drehte sie sich nach ihnen herum, ja, sie hatte Lust, sie anzurühren, ihren Körper, ihr Gesicht, ihre Haare zu betasten, um sich zu überzeugen, woraus diese Wesen eigentlich gemacht sind. Plötzlich sagte sie:
»Eine dicke Brünette guckt uns immerfort an. Eben glaubte ich schon, sie wollte uns anreden. Ist sie dir nicht auch aufgefallen?«
Er antwortete : »Nein, du musst dich irren.«
Trotzdem hatte er sie längst erkannt. Es war Rahel, die mit zornigen Blicken und wütenden Worten auf den Lippen um sie herumschweifte.
Duroy war kurz zuvor in der Menge ganz dicht an ihr vorbeigegangen und sie hatte ihm ganz leise »Guten Abend« zugeflüstert, mit einem Blick, der deutlich sagte: »Aha, ich verstehe.« Doch er hatte auf diese Freundlichkeit nicht geantwortet, aus Furcht, von seiner Geliebten gesehen zu werden, und war kalt und hochmütig vorübergegangen. Das Mädchen, das von einer unbewussten Eifersucht gequält wurde, kehrte um, drückte sich mehrmals an ihm vorüber und sagte etwas lauter:
»Guten Abend, Georges.«
Auch diesmal hatte er nicht geantwortet. Aber da sie sich in den Kopf gesetzt hatte, erkannt und gegrüßt zu werden, so kehrte sie immer wieder zur Loge zurück und wartete auf einen günstigen Augenblick. Sobald sie sah, dass Madame de Marelle zu ihr hinüberblickte, tippte sie Duroy auf die Schulter und sagte:
»Guten Abend, wie geht es dir?«
Duroy reagierte nicht.
Sie fuhr fort: »Nun, bist du seit Donnerstag taub geworden?«
Er antwortete immer noch nicht und setzte eine verächtliche Miene auf; er wollte sich mit diesem Frauenzimmer nicht bloßstellen, auch nicht durch ein Wort.
Laut und wütend begann sie zu lachen:
»Du bist also stumm! Madame hat dir wohl die Zunge abgebissen!«
Er machte eine wütende Gebärde und rief mit entrüsteter Stimme:
»Wie können Sie sich unterstehen, mich hier zu belästigen? Scheren Sie sich fort oder ich lasse Sie festnehmen!«
Nun legte sie aber los, ihre Augen sprühten Zorn, ihre Brust hob sich stürmisch; sie schrie:
»Ha! So steht die Sache, du frecher Lümmel. Wenn man mit einer Frau schläft, dann grüßt man sie wenigstens. Das ist kein Grund, wenn du mit einer anderen zusammen bist, dass du mich nicht kennen willst. Nur einen Wink brauchtest du mir zu geben, und ich hätte dich in Ruhe gelassen. Du wolltest den großen Herrn spielen! Na, warte mal! Ich werde dir helfen! Nicht nur, dass du mich nicht grüßen wolltest, sondern …«
Sie hätte noch lange weitergeschrien, doch Madame de Marelle riss die Logentür auf und stürzte mitten durch die Menge wie toll dem Ausgange zu.
Duroy