Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
»Kommen Sie mit mir?« wandte sich Madame de Cadour an ihren alten Freund.
Er verbeugte sich lächelnd, mit etwas altmodischer Höflichkeit, und sagte:
»Ich folge Ihnen, wohin Sie gehen.«
»Nun, so holen Sie sich einen Sonnenstich«, sagte Herr de Cadour und ging wieder ins Hotel des Bains hinein, um sich ein oder zwei Stündchen aufs Ohr zu legen.
Sobald sie allein waren, begaben sich die alte Dame und ihr Freund auf den Weg. Ihm die Hand drückend sagte sie sehr leise:
»Endlich! … Endlich!«
»Sie sind töricht«, murmelte er, »ich versichere Ihnen, es ist der reine Wahnsinn. Denken Sie, was Sie. riskieren. Wenn dieser Mensch …«
»O Henri«, sagte sie zusammenzuckend, »sagen Sie nicht ›dieser Mensch‹, wenn Sie von ihm sprechen.«
»Nun ja!« antwortete er ziemlich rücksichtslos, »wenn unser Sohn irgend eine Vermutung fasst, wenn er misstrauisch wird, so hat er Sie, hat er uns in der Gewalt. Sie haben es ganz gut ausgehalten, ihn seit vierzig Jahren nicht zu sehen; warum muss es denn gerade heute sein?«
Sie waren der langgedehnten Strasse gefolgt, welche von der Stadt aus an die See führt, und wandten sich jetzt rechts, um nach der Küste von Etretat heraufzugehen. Die weiße Strasse lag vor ihnen in der kochenden Glut der Sonnenstrahlen.
Sie gingen bei der glühenden Hitze langsam mit kurzen Schritten. Madame de Cadour hatte den Arm ihres Freundes ergriffen und sah immer geradeaus mit einem irren, suchenden Blick.
»So haben Sie ihn niemals wieder gesehen?« fragte sie ihn.
»Nein, niemals.«
»Ist es möglich?«
»Liebe Freundin, fangen wir diese alte Geschichte nicht wieder von Neuem an. Ich habe Frau und Kinder, wie Sie einen Gatten haben; also Grund genug für uns beide, die öffentliche Meinung zu respektieren.«
Sie antwortete nicht; sie dachte an ihre Jugend zurück, an vergangene traurige Dinge.
Sie war verheiratet worden, wie so manche andere, ohne ihren Bräutigam, einen Diplomaten, eigentlich gekannt zu haben, und sie hatte später mit ihm zusammen gelebt, wie alle Frauen aus der Gesellschaft zu leben pflegen.
Ein junger Mann, Herr d’Agreval, gleichfalls verheiratet, liebte sie leidenschaftlich, und während einer längeren Abwesenheit Herrn de Cadour’s, den eine politische Mission nach Indien führte, erlag sie seinem stürmischen Drängen.
Hätte sie ihm widerstehen, ihn zurückweisen können? Hätte sie die Kraft gehabt, ihm nicht nachzugeben, wo sie ihn gleichfalls leidenschaftlich liebte? Nein, in der Tat nicht! Es wäre zu schmerzlich gewesen; sie hätte zu sehr gelitten. Wie ist doch das Leben hart und grausam. Gewissen Schicksalsfügungen kann man nicht entgehen, man kann sich ihrer Bestimmung nicht entziehen. Kann eine alleinstehende Frau, deren Gatte in der weiten Ferne weilt, die keine Zärtlichkeit geniesst, den Kindersegen entbehrt, auf die Dauer einer Leidenschaft entfliehen, die ihr ganzes Wesen beherrscht? Gewiss ebensowenig wie man imstande wäre, dem Lichte der Sonne zu entfliehen, um bis zu seinem Tode in tiefster Finsternis zu leben.
Wie gut erinnerte sie sich noch jetzt aller Einzelnheiten, seiner Küsse, seines Lächelns, mit dem er an der Tür stehen bleibend sie anblickte, ehe er bei ihr eintrat. Welche Tage des Glückes und der Süssigkeit, diese einzigen schönen, leider nur so schnell vergangenen Tage.
Dann fühlte sie, dass sie Mutter war. Welche Angst!
Ach, diese Reise nach dem Süden, diese lange Reise, diese Leiden, dieser fortwährende Schrecken, dieses verborgene Leben in dem kleinen einsamen Häuschen an der Mittelmeer-Küste, im Hintergrunde eines Gartens, den sie nicht zu betreten wagte.
Wie gut erinnerte sie sich der langen Tage, die sie unter einem Orangenbaum liegend zubrachte, die Augen zu den runden Früchten emporgewendet, deren Rot sich von dem Grün des Blätterwerks abhob. Wie sie so gern ausgegangen wäre bis ans Meer, dessen frischer Hauch über die Mauer her zu ihr hinwehte, dessen kurze Schläge an den Strand sie vernahm, von dessen Oberfläche sie träumte, wie sie bläulich im Lichte der Sonne erglänzte, während weiße Wolken und ein Gebirge den Hintergrund bildeten. Aber sie wagte nicht, aus dem Tore zu gehen. Wenn man sie erkannt hätte, so unförmlich, so unfähig, bei ihrer Figur noch ihre Schande zu verbergen.
Und dann die Tage der Erwartung, die letzten qualvollen Tage! Die drohenden Leiden, endlich die schreckliche Nacht. Wie viel Elend hatte sie doch aushalten müssen!
War das eine Nacht! Wie hatte sie geseufzt und geschrien! Sie sah noch vor sich das bleiche Antlitz ihres Liebhabers, der ihr jeden Augenblick die Hand küsste, die behäbige Gestalt des Arztes, die weiße Mütze der Wärterin.
Und welchen Riss gab es ihrem Herzen, als sie dieses schwache Wimmern, dieses Klagen des Kindes, diesen ersten Ansatz einer menschlichen Stimme vernahm.
Und der nächste Tag! Ach ja, der nächste Tag, der einzige ihres Lebens, wo sie ihr Kind sehen und an ihr Herz drücken konnte, denn niemals seit diesem Tage hatte sie auch nur eine Spur von ihm bemerkt. Welch öde lange Zeit hatte sie dann verbracht, während die Gedanken an dieses Kind ihr immer und immer wieder vor die Seele traten. Sie hatte es nicht wieder gesehen, nicht ein einziges Mal, dieses kleine Wesen, dem sie das Leben geschenkt, ihren Sohn. Man hatte ihn ihr genommen und irgendwo an einen unbekannten Ort gebracht. Sie wusste nur, dass Bauersleute in der Normandie ihn aufgezogen hatten, und dass er selbst ein Landmann geworden war, dass er sich verheiratet und von seinem Vater, dessen Namen er nicht kannte, eine reichliche Mitgift erhalten hatte.
Wie kam sie nur plötzlich auf den Gedanken, zu ihm reisen zu wollen, um ihn zu sehen und an ihr Herz zu drücken? Sie vergass, dass er inzwischen ein Mann geworden war. Sie sah nur immer dieses kleine Menschenwesen vor sich, dass sie einen Tag in ihren Armen gehalten und an ihr klopfendes Herz gelegt hatte.
Wie oft hatte sie später zu ihrem Liebhaber gesagt:
»Ich