Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Sie wagte keine Einwendungen, um den endlosen Auseinandersetzungen, Debatten und Klagen zu entgehen; aber jeder neue Beweis von dem Geize ihres Mannes wirkte auf sie wie ein Nadelstich. Ihr, die in einer Atmosphäre groß geworden war, wo das Geld keine Rolle spielte, schien das niedrig und verabscheuenswert. »Das Geld ist doch da, dass man es ausgibt«, hatte sie ihre Mutter so oft sagen hören; jetzt hiess es bei Julius: »Kannst Du Dir denn gar nicht abgewöhnen, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen?« Und jedes Mal, wenn er von einer Lohnzahlung oder einer Rechnung einige Sous abgezwackt hatte, ließ er schmunzelnd das Geld in die Tasche gleiten, indem er sagte: »Aus kleinen Bächen fliessen die großen Ströme zusammen.«
Zuweilen indessen verfiel sie wieder in ihre geliebte alte Träumerei. Sie hörte langsam auf zu arbeiten, ihre Hände glitten in den Schos, und den Blick versunken, gab sie sich den selbstgesponnenen Romanen ihrer Mädchenzeit hin, in denen sie allerhand niedliche Abenteuer im Geiste erlebte. Aber plötzlich weckte sie dann die Stimme ihres Mannes, der dem alten Papa Simon irgend einen Befehl gab, aus diesen süssen Träumen. »Es ist zu Ende«, sagte sie dann, ihre Arbeit wieder aufnehmend, während eine Träne auf ihre Finger fiel, die die Nadel führten.
Auch Rosalie, die ehemals so vergnügt war und den ganzen Tag über sang, hatte sich vollständig verändert. Ihre einst so blühenden vollen Wangen hatten die frische rote Farbe verloren; sie schienen jetzt eingefallen und zeigten zuweilen eine aschgraue Färbung.
»Bist Du krank, liebes Kind?« fragte Johanna sie öfters.
»Nein, Madame«, antwortete das Mädchen stets, wobei ihr das Blut ins Gesicht stieg. Und dann entfernte sie sich rasch.
Statt wie sonst leichten Schrittes dahinzufliegen, schleppte sie sich jetzt mühsam herum. Sie hatte ihre einstige Schelmerei vollständig verloren und machte keine Einkäufe mehr bei den Hausierern, die ihr umsonst ihre seidenen Tücher, ihre Korsets und ihre Parfümerien anboten.
Das Haus mit seiner regen geschwärzten Fassade machte einen finsteren traurigen Eindruck, und die Schritte der Menschen widerhallten in demselben wie in einer Gruft.
Gegen Ende Januar war starker Schneefall. Man sah von Weitem die großen schweren Wolken aus Norden her über das schwarze Meer dahinjagen, und dann begann der Flockentanz. In einer Nacht war die ganze Gegend in Schnee gehüllt und am anderen Morgen trugen Bäume und Sträucher die bekannte weiße Verzierung.
Julius, in hohen Stiefeln, das Gesicht in Falten, verbrachte seine Zeit damit, dass er, im Hintergrunde des Bosquets in einem Graben kauernd, der nach der Heide zu mündete, auf Zugvögel schoss. Von Zeit zu Zeit hallte ein Flintenknall durch das eisige Schweigen der Flur; Scharen von aufgescheuchten Krähen erhoben sich in die Luft, um sich dann wieder auf den umstehenden Bäumen niederzulassen.
Johanna, von Langeweile gequält, trat hin und wieder auf die Schlossrampe heraus. Nur von Weitem widerhallte lebendiges Treiben durch die schläfrige Ruhe, die über dem öden traurigen Schneetuche lag.
Sonst hörte sie nichts als das entfernte Grollen des Meeres und das unbestimmte fortgesetzte Geräusch des fallenden Schnees.
Dichter und dichter hüllte sich die Erde in diesen weißen flockigen Mantel ein.
An einem dieser öden Wintermorgen sass Johanna am Kamin und wärmte sich die Füsse, während Rosalie, stets mehr und mehr verändert, langsam das Bett machte. Plötzlich hörte die junge Frau hinter sich einen tiefen Seufzer.
»Was hast Du nur?« fragte sie ohne sich umzusehen.
»Nichts, Madame«, antwortete das Mädchen wie immer. Aber ihre Stimme schien zitternd und kläglich.
Johanna dachte schon wieder an etwas anderes, als ihr plötzlich auffiel, dass sie kein Geräusch mehr von dem jungen Mädchen hörte. »Rosalie!« rief sie; aber nichts rührte sich. »Rosalie!« rief sie lauter, weil sie glaubte, das Mädchen sei herausgegangen. Schon streckte sie die Hand nach dem Glockenzuge neben ihr aus, als ein tiefer Seufzer ganz dicht hinter ihr sie veranlasste, sich erschreckt umzuwenden.
Die Kammerzofe sass bleich mit verstörtem Blick auf dem Boden, den Rücken an das Bett gelehnt.
»Was hast Du; was fehlt Dir?« rief Johanna vortretend.
Jene sprach kein Wort, machte keine Bewegung. Sie heftete den verwirrten Blick auf ihre Herrin und stöhnte, wie von furchtbaren Schmerzen gepeinigt. Dann plötzlich krümmte sich ihr ganzer Körper, sie glitt auf den Rücken und stiess zwischen den zusammengebissenen Zähnen einen entsetzlichen Schrei hervor.
Dann regte sich etwas unter ihren Röcken zwischen den auseinander gesperrten Schenkeln. Ein seltsamer Ton, ein Kollern, ein ersticktes Gurgeln drang hervor. Plötzlich klang es wie das langverhaltene Miauen einer Katze, wie ein leises klägliches Gewimmer; der erste Schmerzensschrei eines neugeborenen Kindes.
Johanna begriff plötzlich alles; sie verlor völlig den Kopf, und »Julius! Julius!« rufend, stürzte sie an die Treppe.
»Was gibt’s denn?« antwortete Jener von unten her.
»Ach … komm nur ’mal … Rosalie hat …« konnte sie kaum hervorbringen.
Zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte Julius herauf, trat eiligst ins Zimmer, lüftete mit einem Ruck die Kleider des Mädchens und entdeckte ein schauderhaft elendes, runzliges, wimmerndes, verschrumpftes und schmutziges Wurm, das zwischen den entblössten Beinen lag.
Er wandte sich zornig um, schob seine entsetzte Frau zur Tür hinaus und sagte:
»Das ist nichts für Dich. Geh hinunter und schick mir Ludivine und Papa Simon.«
Johanna stieg zitternd in die Küche herunter. Sie wagte nicht wieder heraufzugehen und trat in den Salon, der seit der Abreise ihrer Eltern nicht mehr geheizt worden war. Dort wartete sie ängstlich auf weitere Nachrichten.
Bald sah sie den alten Diener eiligst über den