Название | Die Dame mit der bemalten Hand |
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Автор произведения | Christine Wunnicke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946334835 |
Schweigen hing über dem Pavillon. Ein Wassertropfen fiel aus dem indigoblauen Zenit auf den Tisch. Der Verwalter des Kunden erschien und brachte endlich das Geld. Meister Musa verspürte das Bedürfnis, sämtliche Anwendungen des Astrolabiums zu erläutern, selbst wenn es zehn Stunden dauerte. Er drehte es in der Hand, ließ den Zeiger über der Spinne kreisen und holte tief Luft. Der Kunde zog ein wenig den Kopf ein.
»So Gott will«, sagte Musa.
Mit seinem Diener ging er zum Fluss hinunter, der ebenfalls Panvel hieß, bestieg das Schiff, das dort auf ihn wartete, und machte sich auf den Rückweg nach Manbai.
Es war ein miserables kleines Schiff, nicht besser als das gestrige. Mit seinem schiefen, dreieckigen Segel sah es aus wie schon halb gekentert, und auch der Mann, dem es gehörte, und die Burschen, die diesem dienten, erweckten wenig Vertrauen. Der Panvel war verschlickt und versandet, die Ufer ausgeschwemmt, das Wasser braun. Während sich das Schiff durch allerlei Unrat kämpfte, jammerte der Schiffer in der Straßensprache von Manbai, wahrscheinlich über fehlenden Wind oder nach mehr Bezahlung. Vielleicht war es auch die Straßensprache von Panvel. Jeder Flecken von Hindustan hatte eine andere Sprache. Selbst Meister Musa konnte nicht alle lernen. »Ist rasche Landung erzielt, wird Belohnung des Schiffsherrn erfolgen«, skandierte er unwirsch auf Sanskrit. Der Schiffer warf ihm ehrfürchtige Blicke zu. Wahrscheinlich verstand er kein Wort und dachte, sein Fahrgast habe gebetet.
Meister Musa stellte sich in den Bug, möglichst weit weg vom Segel. Das Schiff quälte sich gen Meer. Im Treibgut hing ein Ziegenkadaver, an dem ein schwarzer Vogel fraß. Einen Moment lang dachte Musa, dass es waghalsig sei, mit all dem Geld des Kunden in der Welt herumzuflottieren. Gott sei Dank trug er Dolch und Säbel, und Malik, sein Diener, war ein kräftiger Bursche. Er musste sich plötzlich vorstellen, wie ihn der Besitzer des Schiffes hinterrücks überfiele, wie er ihn sofort und mit Freude erstäche und dieserart selbst zum Besitzer des Schiffes würde. Wie er die Leiche des Schurken über Bord würfe und fortan auf dessen kläglichem Kahn, unter falschem Namen und vielleicht als Inder verkleidet, Jahr um Jahr die sieben Inseln umschiffte und ein Piratenleben führte, fern von seiner Heimat, seiner Familie und seinem Beruf.
Seit sein Augenlicht zu ermatten begann – und zuweilen sah er sich schon blind um Hilfe keifen wie ein Greis, auf dessen baldigen Tod jeder hofft –, suchten ihn öfter Trugbilder heim. Im Observatorium des Fürsten von Jaipur berechnete und beobachtete er seit Jahrzehnten die Gestirne. Seit Jahrzehnten klafften Lücken zwischen Beobachtetem und Berechnetem, die nicht zu schließen waren, so viel man auch neu berechnen und beobachten mochte. Einst hatte er damit gehadert. Einst hatten ihm diese Lücken den Schlaf geraubt. Nun schlief er so lange, wie man ihn eben ließ, und kritzelte dazwischen die Tagestabellen für alle Gestirne, wie man sie eben sah. Und schmiedete Astrolabien fürs liebe Geld. Und so ging das Leben dahin. Man wurde immer dicker und müder. Es war kein Wunder, wenn das Gemüt nach Abwechslung schrie.
Al-Lahuri lächelte, nachsichtig mit sich selbst. Bald wäre er in Arabien. Dort fände er Sinn. In Arabien, so hieß es, sei all der Sinn zuhause, der Sinn des Himmels und der Erde, Gottes Sinn und der Menschensinn und der Sinn aller Dinge. Nicht zum ersten Mal sagte er im Kopf das Wort ›Sinn‹ her, auf Persisch, Arabisch, Griechisch, Lateinisch und in der Straßensprache von Jaipur, und dann dachte er ›Sinn‹ auf Sanskrit, alle zwanzig Wörter, die im Sanskrit vielleicht ›Sinn‹ bedeuteten, oder vielleicht auch ›Unsinn‹; Sanskrit war eine seltsame Sprache. Er rief nach seinem Diener, und dass dieser nicht wieder ins Segel fallen solle wie gestern, in seiner endlosen Tölpelei.
Er erinnerte sich an den Morgen in Jaipur, da er den Entschluss gefasst hatte, zu reisen. Wie ein Licht seinen Geist berührte, wie er Malik packte und rannte, den langen Basar hinunter mit fliegendem Mantel und durchs Sambhar-Tor in die Freiheit. So erinnerte er es gerne. Der Wahrheit entsprach es nicht. Monatelang hatte er mit dem Hof verhandelt, bis man ihm Urlaub gab. Ein halbes Jahr lang hatte er mit der Familie gestritten, mit seinen Frauen Zubayda und Gohar, mit seinen Söhnen und seinem Schwiegersohn, mit seiner älteren Tochter, die in Arabien nichts als den Tod sah, heulte und auf schreckliche Weise poetisch wurde, bis man ihn endlich gewähren ließ. Eine Woche lang hatte er Malik getröstet, der sich nach und nach in ein solches Grauen vor Arabien gesteigert hatte, dass er davon Durchfall bekam. Ein mehrtägiges Abschiedsfest war gefolgt, an dem jeder Perser von Jaipur teilnahm und Geschichten von Arabien erzählte, die er von anderen Persern gehört hatte. Schließlich hatten auch die Inder Wind von der Sache bekommen und verstanden, dass er über Manbai zu reisen gedachte. Sie hatten Briefe zu schreiben begonnen, die Meister Musa mitnehmen sollte, Familienbriefe, Geschäftsbriefe, Wissenschaftsbriefe, Briefe von Brahmane zu Brahmane. Seine jüngere Tochter Nayyirah, die sich alles erlauben konnte, hatte eine lange, befremdliche Liste arabischer Schätze erarbeitet, die er kaufen oder finden und ihr mitbringen sollte. Ein Sandsturm hatte die Abreise verhindert. Dann hatten die Brahmanen die Abreise verhindert, weil ihre Briefe nicht fertig waren. Gohar hatte sie zu verhindern versucht, weil ihr alles plötzlich zu teuer erschien. Der elende Portugiese, der seit Jahrzehnten im Observatorium vegetierte, hatte ebenfalls einen Brief verfasst, an einen Portugiesen, der einst in Arabien gewesen war und möglicherweise noch lebte. Weitere Sandstürme hatten die Abreise verhindert. Nayyirah trug Papier in ihr Geheimversteck, um eine zweite Liste zu beginnen. Zubayda und Gohar bereiteten ein zweites Abschiedsfest vor. Da war er aufgebrochen mit dem jammernden Malik und gereist und gereist, in vielen Karawanen, auf vielen verschiedenen Reittieren, von denen jedes auf seine Art unbequem war, unter großen Entbehrungen und Lästigkeiten, bis er eines Tages Manbai erreicht hatte. Hier galt es nun Zeit totzuschlagen und Geld zu verdienen. Das Schiff nach Dschidda lief erst in mehreren Wochen aus.
Malik begaffte das Meer. Schaute ihm Musa zu lange beim Staunen zu, begann er selbst zu staunen und all der Wirrwarr in Maliks Kopf sprang über. Das gefiel ihm nicht. Er zwang sich, an das mit Wimpeln besteckte Lustboot im Palastteich des Fürsten von Jaipur zu denken, das keinesfalls staunenswert war.
Es war fast windstill. Man kam kaum voran. Meister Musa bestimmte die Zeit, als ließe sich die Sache dadurch beschleunigen. Dafür nahm er das Astrolabium, das er an einer Kette um den Hals trug; ein altes Stück seines Vaters, das dem Vergleich mit seinen eigenen Werken nicht standhielt, das er indes immer noch gerne benutzte. Um die tote Zeit gut zu verwenden, hockte er sich hin und zerlegte es. Trug man es zu lange um den Hals, wurde es speckig und klemmte. Mit dem Daumennagel schraubte er das Pferd von der Nadel, nahm Zeiger und Spinne ab, löste alle Lauhat aus der Umm und die Umm von der Idade und begann mit dem Schnupftuch alles sorgsam zu putzen. Bald schrie er nach seinem Augenglas. Jede Lauha sah aus wie die andere. Es war würdelos und beschämend.
Malik brachte das Augenglas. Daheim in Jaipur lagen noch fünf weitere. Meister Musa hatte viel Aufhebens um die Anschaffung von Augengläsern gemacht. Alle waren unscharf und trübe. Eines verzerrte das Bild so sehr, dass Schrift abwechselnd wie ein Strich und wie ein Knäuel aussah, je nachdem, wie man es hielt. Drei hatten doppelte Linsen, davon war eines gestielt, das zweite auf die Nase zu kneifen, das dritte um die Ohren zu haken; drei waren schlichtweg Lupen, eine aus trübem Glas und zwei aus trübem Quarz. Auch jenes, das Malik in seinem Beutel bereithielt, hatte eine quarzene Linse, und leider war es das beste. Im fernen Kalkutta, so der Verkäufer in Jaipur, hatte ein frommer Mann es gefertigt. Das Messing von Fassung und Griff war überaus figürlich gestaltet. Der Elefantengott hielt die Linse im Rüssel und streckte sie dem Benutzer frech entgegen, als wollte er sagen, du Maulwurf, du brauchst mich. An seine fetten Flanken schmiegten sich noch zwei nackende Himmelsnymphen. Der ganze Griff war ein Gewirr von Leibern. Man konnte kaum die Hand um das wulstige Machwerk schließen. Musa al-Lahuri sichtete seufzend die Lauhat, ordnete sie in die Umm,