Mariedl. Sophie Reyer

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Название Mariedl
Автор произведения Sophie Reyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788872837528



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      Das will Hansl nicht hören.

      „Brav sein“, sagt da Theresia, „weil sonst bringt dir der Nikolaus nichts! Und das Christkind erst recht nicht!“

      Dass das Bravsein nur ein Vorwand der Erwachsenen ist, hat Maria längst begriffen.

      Aber es ist ihr egal. Denn sie liebt Weihnachten. Sie liebt das Funkeln, das Knistern des Christbaums, das Knacken von ein wenig Gebäck, wie es aufbricht im Mund, und die flammenden Bäume.

      Und die Freude, die Aufregung, liegt auch an diesem Abend in der Luft. In ein paar Wochen schon kommt das Christkind, und dann ist Maria trotz der Kälte heiter. Fast so schön ist das, als würde sie den Pepi sehen.

      Auch der Dorfpfarrer Engl kommt um die Weihnachtszeit vorbei. Maria hat Achtung vor ihm, denn er spricht ja mit der Gottesmutter. Und darum muss man einen besonderen Eindruck bei ihm hinterlassen!

      „Guten Tag, Herr Pfarrer!“, sagt Maria darum artig, während sich auch der Rest der Familie um ihn schart.

      Theresia serviert Plenten. Der ist herrlich einfach, wie Schleim legt er sich weich in den Bauch hinein und macht Maria glücklich. Und die Mutter kocht ihn so gut! Plenten, das ist ein in der Pfanne gebrutzelter und gestockter Brei aus Maismehl, Wasser und einer Prise Salz. Salz ist kostbar, weiß Maria, es ist fast wie Silber, das die Zwerge in den Bergen hüten, wie Rosa immer erzählt.

      Manchmal, wenn die Ernte glücklich ausfällt, gibt es auch Apfelmus. So wie heute. Dann isst Maria besonders langsam, denn sie will es genießen. Dieses Einfache, von dem alle immer sprechen, scheint für Maria das Beste zu sein.

      So schlemmt sie nun vor dem Pfarrer, um nicht reden zu müssen, und schluckt mit jedem Bissen die Scham hinunter, die sie ob ihrer Größe hat.

      „Ein Teller voll Plenten oder Mus genügt nicht; drei Schüssel müssen’s schon sein!“, grinst da Theresia.

      „Ach ja?“, entgegnet Herr Engl und schiebt sich die Brille auf der Nase zurecht.

      „Aber sonst ist sie nicht wählerisch“, nimmt Theresia die Tochter sofort in Schutz.

      Ja, denn die Riesin hat früh gelernt, dass es das Beste ist, nicht zu viel zu fordern, zu wollen. Dass dann keine Enttäuschung geschieht, weil etwas zu wenig ist.

      Der Pfarrer nickt.

      „Ein gutes Mädchen ist’s, die Riesin!“, meint er und blickt für einen Moment in das Schneetreiben hinaus.

      „Ja“, entgegnet Theresia und wischt sich ihre Hände in der Schürze ab. „Allein –“, sie zögert kurz.

      „Ja?“, will der Geistliche wissen und betrachtet die Frau.

      „Nun, das Bett ist ein wenig klein geworden, und die Moidl schläft schlecht“, gibt Theresia zu und senkt beschämt den Blick zu Boden.

      Herr Engl schaufelt ein wenig Plenten in sich hinein, kaut und denkt nach.

      „Ich werd’ sehen, was sich machen lässt!“, sagt er, denn es ist Weihnachten.

      Die Riesin isst beschämt weiter, ihr Rücken knickt ein wenig ein. Gut, dass die Zeit vergeht, denkt sie, und träumt ein wenig von der Stadt, während sie ins Schneetreiben hinaussieht.

      10. Die Sprache der Musik, die Sprache der Wissenschaft

      Die Messe ist es, die Maria besonders liebt. Manchmal darf sie sogar bei Herrn Mossbacher, dem Organisten, sitzen, und das ist dann eine sehr große Ehre. Denn die Riesin liebt das majestätische Dröhnen der Orgel, liebt es, wenn im Leib des Kirchhauses diese monumentalen Klänge erschallen. Wie gebannt schaut sie dann von der Empore in die Kirche hinunter. Der Herr Pfarrer steht hinter einem prunkvollen, golden verzierten Altarbild in einem wallenden Gewand und hält die Hostie in den Händen. Vor ihm, in engen Sitzreihen stehend, die Masse der Dorfbewohner.

      Die Menschen sehen klein aus von oben, die mit Heiligenfiguren bemalten Deckengewölbe hingegen wirken mächtig. Maria kann den Mund kaum noch zumachen. Sie schaut und schaut. Sucht nach bekannten Gesichtern in der Menge. Auf einmal sieht sie Rosas Haarschopf zwischen den anderen Köpfen aufleuchten, ihr besonderes Blond.

      „Willst sehen, wie ich die Pedale tret’?“, fragt Herr Mossbacher, ein feister, freundlicher Mann, mit flüsterndem Atem.

      Maria nickt. Sie reißt sich vom Anblick Rosas los, nimmt die Hände von der Steinbalustrade und nähert sich Herrn Mossbacher, der an seinem klobigen Instrument sitzt. Maria zieht sich ein Stück weit in die Höhe, setzt sich auf den Orgelsitz und zieht brav die Beine ein. Wie groß sie neben dem kleinen dicklichen Kerl aussieht!

      Die Riesin bemüht sich, still zu sein. Sie schaut die langgezogenen Pfeifen mit den Schlitzen an, die nebeneinander aufgefädelt auf der Empore stehen. Ein Chor – Menschen, die kleine abgegriffene Büchlein vor sich aufschlagen und mit ernsten Mienen in Richtung Pfarrer starren – hat sich vor den Orgelpfeifen positioniert.

      „Wie falsch die singen!“, wispert Herr Mossbacher der Riesin zu.

      „Ja!“, brummt Maria bemüht leise.

      Herr Mossbacher nickt, und die Haut um seinen Hals schlabbert dabei ein wenig.

      Die Riesin blickt zu Boden und wäre jetzt gern kleiner, damit sie sich nicht krümmen muss. So könnte sie nämlich spielen wie der Herr Mossbacher. Mit gestreckten Beinen und flinken Sohlen!

      Der Organist lächelt schief, der Chor beginnt in schrägen Viertelnoten zu singen. Die Riesin verzieht vor Begeisterung das Gesicht und blickt die hölzernen Pedale an, die unter ihren Füßen aufgereiht sind. So vergeht die erste Hälfte der Messe.

      Doch nach der zweiten Hälfte passiert das Malheur: Die Riesin, ergriffen von der Predigt, rutscht ein Stück weit nach vorn, und siehe – da stupst eine ihrer monumental großen Zehen leicht auf eines der Pedale. Plötzlich bricht ein Orkan los. Ein schmetternder Klang erfüllt den Raum, die ganze Kirche dröhnt. Maria zuckt zusammen. Du böses Mensch!

      Mit zusammengepressten Lippen fleht sie die Gottesmutter um Hilfe an. Dann sieht sie sich schüchtern um. Der Herr Mossbacher hockt mit aufgerissenem Mund da und starrt sie an. Als er aber merkt, wie erschrocken sie selbst ist, meint er bemüht zärtlich: „Alles gut, mein Kind!“

      Beschämt blickt Maria ihre viel zu langen Finger an und beginnt an den Nägeln zu kauen. So geht auch dieser Gottesdienst vorbei.

      Nach der Messe schieben sich die Dorfbewohner gegenseitig aus der aus allen Nähten platzenden Kirche. Weiber mit Kopftüchern und krummen Beinen schlängeln sich aneinander vorbei. Ranzig riechende Münder kommen nahe an Maria heran. Sie selbst hinkt bestürzt und mit eingezogenem Hals hinter Herrn Mossbacher her. Ob auch der Pepi da ist?

      „So groß geworden, die Moidl!“, ruft eine Frau, deren Zähne schief sind und gelblich schimmern.

      Die Riesin versucht ein Lächeln. „Man wird älter, Frau Greiner!“, meint sie bemüht höflich. „Gott schenkt jedem das Seine!“

      „Aber was war denn mit der Orgel los heute?“, flüstert die Frau dann, ihren speichelziehenden Mund dem Ohr des Herrn Mossbacher nähernd.

      Maria spielt Schildkröte, macht sich winzig und atmet nicht mehr, lässt den Blick umherspringen. Endlich: Sie sieht Rosa wieder in der Menschenmenge an der Hand ihres Vaters, dieses ruhigen rothaarigen Mannes, der sich gekonnt durch die Masse boxt.

      „Rosa!“, ruft sie mit bassiger Stimme.

      Die Schwester löst sich vom Vater, läuft auf Maria zu. Sie umarmen einander.

      Sofort stellt Rosa die erste Frage: „Sag, warst du das mit dem unerwarteten Dröhnen?“

      Maria blickt zu Boden und schweigt.

      Zum Glück wird nicht weiter darüber geredet, man tritt den Heimweg an. Doch auf der Anhöhe des Sonklarhofs wartet bereits die nächste Episode: Sie treffen nämlich auf einen gewissen Professor Carl Arnold.