Название | Die Frau am Dienstag |
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Автор произведения | Massimo Carlotto |
Жанр | Языкознание |
Серия | Transfer Bibliothek |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990371091 |
Der Gigolo verfluchte das Schicksal. Jetzt würde er sich einer dieser Situationen mit Martucci aussetzen müssen, die er immer zu vermeiden suchte. Und daran war allein sein verrückter Vermieter schuld.
„Ein Schlaganfall?“ Der Produzent fiel aus allen Wolken. „Bist du verrückt? Willst du uns alle ins Gefängnis bringen?“
Von Martuccis Reaktion regelrecht erschrocken, versuchte Bonamente sich rauszureden. „Ich wollte einen würdigen Abschied von der Branche, das ist alles.“
„Und ich hätte dir illegal ein paar Spritzen und Pillen besorgt, damit deine Erektion garantiert ist. Von deinen gesundheitlichen Schwierigkeiten wusste ich schließlich nichts. Du dagegen hättest daran denken müssen, dass in unserer Branche Ehrlichkeit in Sachen Gesundheit das oberste Gebot ist.“
„Teilweise. Hier geht es schließlich nicht um eine ansteckende Krankheit, insofern trage ich das Risiko ganz allein.“
„Und warum hast du es dir dann plötzlich anders überlegt?“
„Eine Person, die mir besonders am Herzen liegt, hat mich praktisch dazu gezwungen.“
Martucci seufzte. „Brauchst du Geld?“
„Im Moment nicht, wobei Geld zu haben natürlich nie schadet.“
„Ich kenne einen Typ, der gerade ein Lokal speziell für Damen eröffnet hat. Luxuriöses Ambiente, gehobene Klientel. Er hat schon eine Truppe junger Männer am Start, die zu allem bereit sind – was ihm noch fehlt, ist ein alter Hase für echte Ladys, die nach einem eher psychischen als physischen Abenteuer suchen.“
„Da bin ich nicht der Richtige.“
„Für mich bist du perfekt. Du siehst gut aus, bist gebildet und kannst zuhören.“
„Nein, ich bin wirklich nicht interessiert.“
„Dann dränge ich nicht weiter.“ Martucci streckte ihm die Hand hin. „Viel Glück, Zagor.“
Sein Darsteller verließ das Büro mit der Gewissheit, dass ab heute niemand mehr seinen Künstlernamen aussprechen würde. Das war das Ende gewesen, ein Händedruck und ein freundliches Lächeln. Zum Glück war im Pornogeschäft nichts ewig. Abschiede wurden nicht weiter beachtet, und deshalb gab es auch keine Feste mit peinlichen Ansprachen und schalem Sekt.
Er erinnerte sich noch gut an seinen Onkel Arnaldo, den Bruder seiner Mutter, der nach seiner Pensionierungsfeier bei ihnen zu Besuch gewesen war. „Schaut euch das an“, hatte er zu seinen Eltern gesagt und eine Schachtel aufgeklappt, in der eine Uhr „Made in Switzerland“ gelegen hatte, allerdings von einer eher unbekannten Marke. Auf dem Gehäuse war das Logo der Firma eingraviert. „Vierunddreißig Jahre im Betrieb und das ist das Einzige, was bleibt.“
Er hatte einige Gläser Grappa getrunken und war dann gegangen. Die Uhr hatte er auf dem Tisch liegen lassen. Bonamente war damals noch ein kleiner Junge gewesen und hatte ihm hinterherlaufen wollen, aber seine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt. Die Uhr hatte bis zum Tod des Onkels bei ihnen in der Küchenschublade gelegen, danach hatten sie sie seiner Familie übergeben. Später hatten sie das gute Stück im Sommer im Gemüsegarten zwischen den vertrockneten Wassermelonenpflanzen gefunden.
Insofern war Bonamente erleichtert.
Eine potenziell schwierige Situation war mit wenigen Sätzen abgehandelt worden, und er beschloss, diesen glücklichen Ausgang zu feiern. In einer Konditorei bestellte er die Spezialität des Hauses, zwei Teigschichten, gefüllt mit einer zwei Finger dicken Creme aus Schokolade, Butter und etwas, das in seiner Konsistenz an einen Pudding erinnerte.
Als er die zweite Portion bestellte, bestärkte ihn die zufriedene Kellnerin mit den Worten, dass ein Stück nie genug sei. Er nickte, unterdrückte seine Sorge um den eventuell in die Höhe schießenden Blutzuckerspiegel und widmete sich ganz dem Genuss. Sein Magen und sein Gehirn waren ein Fass ohne Boden, das irgendwie gefüllt werden musste. Vielleicht war es doch nicht so einfach, eine Lebensphase abzuschließen. Vielleicht musste er seine Erinnerungen ordnen, die wichtigsten, die schönsten auswählen, um den vielen Erlebnissen der letzten Jahre einen Sinn zu geben. Eine ungeheure Anstrengung, die ihm letztendlich sinnlos erschien. Wenigstens in diesem Moment.
Satt und leicht benommen machte er sich schließlich auf in Richtung Pension, wieder nahm er Nebenstraßen, um der Feinstaubbelastung der Hauptverkehrsader zu entgehen. Signor Alfredo servierte zum Abendessen Kohlsuppe, die musste er ablehnen, sein Magen war nach wie vor wie zugeschnürt.
„Es tut mir leid, ich habe keinen Appetit“, sagte er und schob den Teller von sich weg.
Da Signor Alfredo nicht ahnte, dass er sich mit Süßspeisen vollgestopft hatte, führte er die Appetitlosigkeit auf das Treffen mit dem Produzenten zurück.
„Warst du bei Martucci?“, fragte er und legte ihm anteilnehmend die Hand auf den Arm.
„Ja. Seit heute ist meine Filmkarriere offiziell beendet, sicherlich macht die Neuigkeit bereits die Runde“, sagte er traurig.
„Früher oder später musste das ja passieren. Zum Glück bleiben die Filme, die du gemacht hast, man findet deinen Namen auf den Webseiten der Branche, das reicht, um dir Unsterblichkeit zu garantieren.“
Eigentlich wollte Bonamente erwidern, dass es insgesamt kaum mehr als ein Dutzend Pornofilme gab, die echte Klassiker waren, und dass seine Filme leider nicht zu diesem erlauchten Kreis gehörten. Die bittere Wahrheit war, dass Pornoliebhaber fast immer zu neuen Produktionen griffen und die Filme im Allgemeinen innerhalb weniger Monate veraltet waren, worauf sie in streng islamische Länder geschmuggelt wurden.
Stattdessen brachte er etwas ganz anderes vor. „Dann gibt es jetzt also keinen Grund mehr, meine Dienstagsfrau mit Dingen zu behelligen, um die Sie sich nicht kümmern sollten, oder? Lauter Dinge, die Sie nichts angehen.“
Trotz seiner Naivität schien Bonamente erkannt zu haben, dass Signor Alfredo nicht allein im Interesse seines Mieters, sondern zu seinem eigenen Vorteil gehandelt hatte. Offenbar fürchtete er sich seit Bassis Abgang vor der Einsamkeit. Ohne es allerdings zuzugeben.
„Ich werde mich zurückhalten, glaub mir. Ich war einzig und allein um deine Gesundheit besorgt. Wenn dir etwas passiert wäre, hätte ich mir das nie verziehen.“
Was natürlich gelogen war.
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