Название | Geld und Leben |
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Автор произведения | Ewald Nowotny |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991003144 |
An unserem Institut in Linz lernten wir dagegen, in zwei Linien des wissenschaftlichen Ansatzes zu arbeiten. Zum einen die empirisch fundierte, problemorientierte Analyse im Stil des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, deren Monatsberichte ich schon in meiner Studentenzeit laufend verfolgt hatte. Ziel war – und ist – eine, in heutiger Terminologie, „evidenzbasierte“ Politik zu ermöglichen. Zum anderen Theorie-orientierte Arbeit auf Basis der jüngsten, speziell angelsächsischen Literatur, wobei stets auch das Kriterium der praktischen Relevanz zu beachten war. Zwei entsprechende Leitsätze Rothschilds haben mich stets in meiner Arbeit als Wissenschafter begleitet und mich bei Themen- und Methodenwahl12 bestimmt: „Es ist besser, eine wichtige Frage zu stellen, als eine unwichtige zu beantworten.“ Und: „Es ist besser, eine Frage ungefähr richtig, als präzise falsch zu beantworten.“
Für sich selbst und für andere war Rothschild von einem strengen Arbeitsethos und Leistungsprinzip beseelt – dies galt auch gegenüber den Studierenden, deren Betreuung wir sehr ernst nahmen, wo Rothschild uns aber auch ermahnte, strenge Prüfer zu sein. Nach dem Studium, erklärte er, spielten Protektion und Familienbeziehungen ohnehin wieder eine große Rolle, daher seien strenge allgemeine Leistungskriterien für Kinder aus nicht-privilegierten Familien das einzige Mittel, sich positiv zu differenzieren.
Zu dem inspirierenden Arbeiten in meiner unmittelbaren wissenschaftlichen Umgebung kam das einmalige Erlebnis, an der Gestaltung einer neuen Universität mitwirken zu können. Die Errichtung der Universität war ein jahrhundertealtes Anliegen des Landes Oberösterreich, des wohlhabenden Kernlandes der österreichischen Industrie. Land und Stadt waren daher bereit, großzügig zu investieren, sei es im Anwerben exzellenter Lehrender, sei es im Aufbau eines wunderschönen Campus in einem alten Schlosspark. Als ich nach Linz kam, war das neue Gebäude der Universität noch gar nicht bezugsfertig, wir konnten mit den Architekten gemeinsam planen, und es entstand so eine enge Beziehung zu der weitblickenden Gruppe von Persönlichkeiten, die gegen viele Widerstände die Errichtung der Universität durchgesetzt hatten.
Auf der Universität selbst herrschte durch ihre – damals – geringe Größe auch eine enge Beziehung zwischen den einzelnen Wissenschaftsbereichen, aus denen sich Freundschaften entwickelten, die bis heute anhalten. Es hat sich hier eine Freundschaftsgruppe entwickelt, die über Fach- und politische Grenzen weit hinausgeht. Bis heute besteht hier ein starkes Gemeinschaftsgefühl in Oberösterreich, aber auch in Wien, wo sich unsere „Linzer Gruppe“ regelmäßig trifft. Gemeinsam hat uns alle die große Persönlichkeit von Kurt Rothschild geprägt, wobei meine Frau und ich auch das große Glück einer lebenslangen persönlichen Freundschaft mit ihm und seiner klugen und hilfsbereiten Frau Vally hatten.
Auch zu den Studierenden ergab sich ein enges und vertrauensvolles Verhältnis. Die soziale Struktur der Studierenden unterschied sich deutlich von dem, was ich aus Wien kannte. Viele der Studierenden kamen aus Familien, wo es bisher noch nie einen Akademiker gegeben hatte, viele etwa aus kinderreichen Familien aus dem Mühlviertel. Diese Studentenschaft war insgesamt erfüllt von einer Kultur der Arbeitsamkeit, der intensiven Bereitschaft zur Aufnahme von Wissen und neuen Lebensformen – und auch der Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. Schwindeln gab es nicht, und auch kein Feilschen um Noten in den Sprechstunden, wie ich es später an der Wirtschaftsuniversität in Wien intensiv erlebt habe. Der spätere Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, auch er erster Akademiker in einer Familie aus dem Mühlviertel, hat in seinen Memoiren diese Welt aus der Sicht eines ehemaligen Studenten beschrieben.13 Mit vielen meiner ehemaligen Studenten ergaben sich gute weiterführende Kontakte – zwei von ihnen standen mir später als Finanzminister gegenüber.
Insgesamt, vielleicht ein bisschen verklärt im Rückblick – es war eine Lust, Wissenschafter zu sein.
Rothschild drängte uns sehr, an internationalen Kongressen teilzunehmen, und ich hatte auch schon einiges im Ausland publiziert. Bei einem Seminar in Salzburg im Schloss Leopoldskron, heute Salzburg International Seminar, mit dem ich weiter in guter Verbindung stehe, traf ich Professor Fritz Machlup, der schon in den 1930er-Jahren dem bedrückenden geistigen Klima Österreichs entflohen war und nun als weltweit führender Experte für internationale Währungsfragen an der Universität Princeton lehrte. Nach Ende des Seminars wollte er nicht alle seiner Bücher wieder in die USA mitnehmen und schenkte mir eines mit der Widmung: „Ewald, get out of Austria.“ Meine Antwort: Gern, aber wie? Machlup arrangierte dann, dass ich an dem harten Bewerbungsprozess um ein „American Learned Societies Fellowship“ teilnehmen konnte. Ich bekam letztlich dieses renommierte Fellowship für einen Aufenthalt am Ökonomie-Department der Harvard Universität.
Es war ein sehr großzügiges Fellowship. Ich konnte mit meiner Frau für die Jahre 1971/72 in die USA fahren, und es brachte mir einen Höhepunkt nicht nur meines wissenschaftlichen Lebens. In Harvard war ich mit zwei Professoren speziell eng verbunden: mit dem im amerikanischen Sinn „liberal“, also eher sozialdemokratisch orientierten Prof. Richard Musgrave, dem führenden Finanzwissenschafter seiner Zeit, und mit Prof. Martin Feldstein, einem republikanisch orientierten Makroökonomen und unter Präsident Nixon Vorsitzender des Council of Economic Advisors. Es war eindrucksvoll zu sehen, wie zwei Wissenschafter von unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Orientierung respektvoll und wissenschaftlich seriös miteinander umgingen. Ich habe den Kontakt mit Harvard ja bis heute erhalten und dort auch immer wieder Vorträge und Seminare gehalten. Der sehr wirtschaftsliberale und (ich sage ausdrücklich nicht aber) menschlich hervorragende Prof. Feldstein kam dann über viele Jahre zu Vorträgen und Opernbesuchen zu uns nach Wien.
Was mich immer wieder an der Wissenschaft fasziniert, ist die große internationale Offenheit und Gemeinschaft. Es ist ein Austausch unter Menschen mit gleichen Interessen in ihren jeweiligen Fachgebieten, sie ermöglicht durch die weltweite Vernetzung eine Fülle von Anregungen und Kooperationen. Es ist eine Welt, in der ich mich sehr wohl fühle. Ich hatte das Glück, in meinem Fachgebiet relativ früh Teil des internationalen Netzwerkes zu werden, und ich habe mich stets sehr bemüht, jungen Wissenschaftern, speziell meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch Zugänge zu dieser anregenden Welt der internationalen Wissenschaft zu verschaffen.
Die Zeit meines Aufenthaltes in Harvard fiel zusammen mit einer tiefgreifenden Umwälzung im internationalen Währungssystem. Noch im letzten Jahr vor Ende des Krieges hatten die siegreichen Staaten im amerikanischen Kurort Bretton Woods ein neues Weltwährungssystem entwickelt, um ein Chaos wie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu verhindern. Es ging einerseits um Aufbauhilfen im Wege der neu gegründeten „Weltbank“ und andererseits um ein System stabiler Wechselkurse unter der Ägide des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF). Angelpunkt dieses Systems war der US-Dollar als Währung der damals einzigen leistungsfähigen Volkswirtschaft. Der US-Dollar war wieder in einem festen Umtauschkurs zum Gold von 35$ pro Unze definiert. Heute liegt der Goldpreis bei rund 1.800 $ pro Unze – mit steigender Tendenz. Ausländische Notenbanken (und nur sie!) konnten die Ausfolgung von Gold gegen die Einzahlung in Dollar verlangen. Dieses „Bretton-Woods-System“ hat auch in der Tat dazu beigetragen, dass die wirtschaftliche – und auch politische – Entwicklung der Teilnahmestaaten ungleich besser verlief, als das nach dem Ersten Weltkrieg der Fall gewesen war.
Mit dem raschen Aufstieg der europäischen Wirtschaft erwiesen sich freilich nach einiger Zeit der Dollar als überbewertet beziehungsweise die europäischen Währungen als unterbewertet. Dies galt speziell für Deutschland, wo die unterbewertete DM das „Exportwunder“ massiv stützte, gleichzeitig aber über die Importseite inflationäre Tendenzen befürchten ließ. Diese Entwicklung führte in Deutschland zu schweren Konflikten zwischen Regierung und Bundesbank hinsichtlich der Notwendigkeit, beziehungsweise Wünschbarkeit einer Aufwertung der DM gegenüber dem US-Dollar.
Auf der internationalen Ebene eskalierte dieses Dilemma mit der immer intensiveren kriegerischen Involvierung der USA in Vietnam. Wie jeder Krieg führte