Vom Wind geküsst. Lin Rina

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Название Vom Wind geküsst
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959913683



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ihres älteren Bruders wirkte auf Marc und Mei offenbar gleichermaßen beruhigend.

      Der Wind tanzte um meine Fingerspitzen, als jagte er sich selbst.

      Ich ergriff die Hand, die Justus mir reichte, und genau in dem Moment, als ich seine Haut berührte, durchzuckte es mich, als würde ein Blitz in mein Herz einschlagen. Der Wind zerstob erschrocken in alle Richtungen. Justus half mir auf die Füße und ließ mich wieder los. Doch mein Herz wummerte weiter, entschlossen, aus meiner Brust auszubrechen.

      Es war mir unbegreiflich, wie er es nicht bemerken konnte.

      »Lasst uns die Straße da vorn nehmen. Ich denke, ich weiß, wo wir langmüssen«, sagte er jedoch ungerührt zu Marc und zeigte in irgendeine Richtung. Die beiden setzten sich in Bewegung und Mei hakte sich bei mir unter, um mich mitzuziehen.

      Ihr Blick ruhte auf mir, als befürchtete sie, dass ich noch einmal umkippen könnte. »Cate?«

      Ich sah zu ihr auf. Obwohl sie ein Jahr jünger war als ich, überragte sie mich schon fast um einen Kopf. Aber in ihrer Familie waren ja schließlich alle groß.

      »Ja?« Ich legte einen festen Schritt vor, um ihre Sorgen zu zerstreuen, und versuchte mich auf anderes zu konzentrieren. Das Pflaster hier in den Gassen war uneben und rau. Überall spross Moos aus den Ritzen hervor.

      »Geht es dir wirklich gut?«, wollte Mei wissen. Misstrauen schwang in ihrer Stimme mit, jedoch sehr viel weniger Sorge, als ich geglaubt hatte.

      »Ich denke schon, warum?« Ich ließ den Blick schweifen und sah zu der Wäsche, die viele Meter über uns von einem Haus zum anderen gespannt in der Sonne trocknete. Zu den luftigen, hell bemalten Fensterläden oder den beiden Frauen, die uns schwatzend entgegenkamen. Bloß um nicht zu Justus zu sehen, der vor uns herging.

      »Dein Gesicht ist feuerrot«, behauptete Mei und musterte mich argwöhnisch. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du bist ein glühendes Feuermädchen.«

      Innerlich seufzte ich. Sie hatte recht. Zudem schwitzte ich, obwohl meine Hände eiskalt waren, und mein Herz raste immer noch, als wäre es vor mir auf der Flucht.

      Der Wind war zurückgekommen und versuchte mir das Gesicht zu kühlen. Es half nichts.

      Mei hatte sicher eine Erwiderung von mir erwartet, aber ich schwieg, wagte es nicht, den Mund aufzumachen, als sich mir langsam der Grund für all das aufdrängte.

      Ich wusste es ja bereits, aber es mir einzugestehen war viel schwerer als gedacht. Justus war immer wie ein Bruder gewesen und die Tat­sache, dass er etwas anderes für mich sein könnte, machte mir Angst.

      Mein Blick wanderte nun doch zu Justus, der uns durch die engen Seitenstraßen des Dorfes um den Marktplatz herumführte.

      Er sah im gleichen Moment zu mir, als wüsste er doch, dass ich an ihn dachte, und lächelte so, wie er es immer tat. Ruhig und frei von versteckten Absichten.

      Es raubte mir den Verstand und zauberte auch mir ein Lächeln auf die Lippen, das ich nicht kontrollieren konnte.

      Bei allen Winden, ich war nicht krank! Nein, ich war bestimmt verrückt. Und Justus war schuld daran.

      2

      Das Haus des Stadtrates lag nicht weit vom Marktplatz entfernt. Ich blickte durch die Gasse auf die Menschenmasse, die sich um die Stände des Marktes drängte, und war froh, nicht hindurchgegangen zu sein.

      Marc schlug an die große, mit feinen Schnitzereien verzierte Holztür und sie erbebte unter seinen wuchtigen Hieben. Über der Tür geriet das Wappen des Bürgermeisters ins Schwingen.

      Hier im Süden, wo das Wetter im Sommer sengend heiß und im Winter äußerst mild war, wurden die Häuser luftig und nicht besonders massiv gebaut. Türen und Fenster ließen immer einen leichten Windhauch hinein, selbst wenn sie mal geschlossen waren.

      Ein junger Mann in weißen Gewändern öffnete uns die Tür und sah uns fragend an.

      »Wir haben ein paar Briefe auszuliefern«, teilte Justus ihm mit und zog einen Stapel gefalteten Papiers aus einer ledernen Tasche, die an seinem Gürtel baumelte.

      Der Mann nahm sie ausdruckslos entgegen und bat uns mit einer Handbewegung hinein. Der Vorraum wirkte leer und wurde lediglich von einem Schreibtisch, einem Stuhl und einem offenen Regal mit vielen kleinen Fächern geziert. Die großen Fenster ließen den Lärm des Markplatzes hinein.

      Ich liebte die Art, wie die Häuser hier gebaut wurden, mit all dem hellen Holz und den zahlreichen Schnitzereien.

      Der Wind mochte sie auch. Fröhlich spielte er mit den natur­farbenen Gardinen wie eine Katze mit einem Grashalm.

      Ich ermahnte ihn, sich zu mäßigen, als er sich vorsichtig an den Papieren zu schaffen machen wollte, die fein säuberlich auf dem Tisch gestapelt lagen.

      »Ich bin Ratssekretär Lar«, stellte der Mann sich vor und sah flüchtig die Briefe durch, die wir gebracht hatten. »Ich danke vielmals für eure Mühe. Schulden wir euch noch etwas? Oder wurde die Rechnung fürs Überbringen dieser Schriften schon beglichen?«, fragte er ernst und mit wenig Emotion.

      Er nimmt diese Arbeit sehr ernst und ist sehr gewissenhaft. Er hat deshalb Ärger mit seiner Frau, weil er zu viel arbeitet, flüsterte der Wind und zupfte spielerisch an dem Dokument, das obenauf lag.

      Lar merkte es sofort und legte einen Briefbeschwerer auf den Stapel, ohne ihm viel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

      Ich sah mir den Mann an, wie er mit regungslosem Gesicht zu Justus blickte, und konnte mir kaum vorstellen, dass er verheiratet war oder wie seine Frau wohl aussehen mochte. Er war nicht hässlich, das war es nicht. Er war nur so … regungslos.

      »Sieh dir das an, Cate«, wisperte mir Mei zu, ergriff meine Hand und zog mich zu den Fenstern, die vom Marktplatz wegzeigten. Durch die durchscheinenden Gardinen konnten wir auf die Straße hinter dem Gebäude sehen.

      Ich folgte mit dem Blick ihrem ausgestreckten Finger. In der Nähe der Hauswand standen drei junge Männer, die lässig eine junge Frau umringten und ihren Erzählungen lauschten.

      Sie hatte langes weizenblondes Haar und ihr tiefblaues, gold­besticktes Seidengewand betonte ihre schlanke Figur fast genauso gut wie ihre adrett in die Taille gestützte Linke.

      »Die Stickereien sind wunderschön. Das hat sicher Monate gedauert, bis sie damit fertig war«, raunte Mei und sah schmachtend auf die blaue Seide.

      Erst musterte ich die Frau und dann Mei. »Dir würde das bestimmt auch stehen«, sagte ich lächelnd und ihre Augen glitzerten geschmeichelt.

      »Wirklich?«, fragte sie noch einmal spitzbübisch nach und biss sich geziert auf die Unterlippe. Mei liebte prachtvolle Kleider, so wie alle Mädchen in ihrem Alter, was ich ihr nicht verdenken konnte. Lachend lehnte ich mich an sie.

      »Ich bezweifle aber, dass sie es selbst bestickt hat«, raunte ich und wandte mich vom Fenster ab.

      Es war ein Geschenk von der Prinzessin von Berill, flüsterte der Wind.

      Mit einer unauffälligen Handbewegung scheuchte ich ihn zu den Vorhängen zurück, damit er mir nicht noch mehr erzählte.

      Marc stützte sich neben Mei an den Fensterrahmen und pfiff leise durch die Zähne. »Wer ist denn das?«, fragte er mit einem anzüg­lichen Lächeln auf den Lippen.

      Ich musste einfach die Augen verdrehen, als er sich vorbeugte und ebenfalls zu der weizenblonden Schönheit hinausstarrte.

      Mei funkelte ihn böse an und ich kniff ihn ziemlich fest in den Arm.

      »Das sag ich deiner Mutter«, witzelte ich amüsiert.

      Marc sah mich erschrocken an. »Ich habe gar nichts gemacht!«, verteidigte er sich und verschränkte reserviert die Arme vor der Brust.