Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse

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Название Magic Tales - Verhext um Mitternacht
Автор произведения Stefanie Hasse
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Magic Tales
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783732014699



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und eine etwas zu breite Nase. Instinktiv fragte ich mich, ob er sie irgendwann in der Kindheit vielleicht gebrochen hatte. Seine Lippen bildeten einen perfekten Bogen, ehe er sie zwischen die Zähne zog.

      Ein Räuspern neben mir schreckte mich auf und ein paar Schüler kicherten. Meine Wangen brannten und ich riss mich endlich zusammen und lenkte den Blick auf den Mann, der neben mich getreten war, ohne dass ich es bemerkt hatte.

      »Sie müssen die neue Austauschschülerin sein«, sagte der Lehrer mit einem freundlichen Lächeln inmitten des grauen Vollbarts und sah kurz in ein Buch auf dem Lehrerpult. »Ela Bianchi, nicht wahr?«

      Ich nickte und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen, mit dem ich mich dann auch an den Rest der Klasse wandte. Ein paar meiner Mitschüler erwiderten es sofort. Von einem schüchternen Zucken der Mundwinkel bis zu einem ehrlichen Lächeln unter neugierigen Augen war alles vertreten. Nur der blonde Junge starrte mich finster an. Dafür traf mich aus der letzten Reihe ein intensiver Blick aus dunkelbraunen Augen. Ich kannte das Gesicht von zahlreichen Fotos aus den Unterlagen, die mir mein Vater zur Vorbereitung auf die Mission mitgegeben und die ich während der langen Zugfahrt ausgiebig studiert hatte. Christoph Brands Augen blitzten voller Neugier auf, während mich sein Blick von oben bis unten abtastete, bis ich mich am liebsten bedeckt hätte. Dennoch lächelte ich ihn hoffentlich gewinnend an, während ich zu dem mir zugewiesenen Platz in der fast leeren ersten Reihe zuging.

      Herr Reeder widmete sich jetzt wieder der Gleichung an der Tafel. Die meisten im Raum schienen wenig Interesse am Änderungsverhalten von Funktionen zu haben, sie flüsterten leise miteinander oder zeichneten wie das braunhaarige Mädchen neben mir auf den Block. Ich versuchte, einen Blick auf ihr Kunstwerk zu erhaschen, doch sie bedeckte es größtenteils mit ihrem Arm. Danach sah ich mich noch einmal im Klassenzimmer um und erkannte, dass nur fünf Personen zumindest so taten, als würden sie etwas von Analysis verstehen. Ich versuchte, Herrn Reeders genuschelten Erklärungen zu folgen, während ich in dem Mathebuch, das ich zuvor im Sekretariat erhalten hatte, nach den entsprechenden Seiten suchte.

      Das Zeichentalent zu meiner Rechten versteifte sich und seufzte genervt auf, als würde sie mein Blättern in ihrer Konzentration stören. »Seite 87«, sagte sie, ohne aufzusehen, ehe sie sich bereits wieder ihren Bleistiftstrichen widmete.

      »Danke«, murmelte ich nur, schlug die entsprechende Seite auf und versuchte den Zusammenhang zu dem Gewirr von Graphen an der Tafel herzustellen. Offensichtlich hatte ich ein großes Defizit, was den Lernstoff an normalen Schulen anging, und meine Finger verhakten sich instinktiv in dem Armband an meinem linken Arm. Der Drang, den Kontakt des Kristalls mit meiner Haut zu unterbinden und mein Problem mit Magie zu lösen, war schier übermächtig. Doch dann würde Christoph Brand wissen, dass ich eine Hexe war wie er ein Hexer, und das durfte nicht passieren, wenn ich meine Mission erfüllen wollte.

      Kaum dass es geklingelt hatte, sprangen die meisten meiner neuen Mitschüler auf und verließen fluchtartig den Raum. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Der Mief von rund dreißig Jugendlichen in einem Raum mit geschlossenen Fenstern war nahezu unerträglich. Draußen prasselten mittlerweile dicke Regentropfen gegen die Scheiben, weshalb vermutlich niemand die Fenster geöffnet hatte. Kurz überlegte ich, ob hier der Geruch von Petrichor, den man eigentlich nur nach einem Regenschauer im Sommer wahrnehmen kann, schon im Frühjahr vorkam oder ob mir meine Nase einen Streich gespielt hatte.

      Die Letzten in der Schlange am Eingang waren das Mädchen mit den Regenbogenhaaren und der blonde Junge, die miteinander scherzten und lachten. Ihnen zuzusehen, wie sie entspannt aus dem Klassenzimmer schlenderten, sorgte für einen Stich in meiner Brust. Genau so etwas hatte ich mir immer gewünscht. Vor allem in den letzten Jahren.

      Mittlerweile war das Klassenzimmer bis auf Herrn Reeder, der in seine Lektüre versunken auf die nächste Klasse wartete, und das Mädchen neben mir verwaist. Letztere war noch immer vollkommen in ihre Zeichnung vertieft, ihre dunkelblonden, fast schon braunen, gewellten Haare hingen wie ein Vorhang zwischen uns und sie summte kaum hörbar und in völlig dissonanten Tönen irgendein Lied, das ich nicht erkannte. Ihr musikalisches Talent war im Vergleich zu ihrem zeichnerischen praktisch nicht vorhanden. Ich packte meine Sachen extra laut ein, schob meinen Stuhl schabend über den Boden, doch sie zuckte nicht einmal, während Herr Reeder aufsah. Unschlüssig, ob ich sie einfach sitzen lassen sollte, zählte ich zehn Atemzüge zur Beruhigung. Dann stupste ich sie an der Schulter.

      Sie erschrak so sehr, dass ein dicker Bleistiftstrich ihr Kunstwerk spaltete, ehe sie empört aufsprang. Mein Rucksack, den ich auf den Tisch gestellt hatte, geriet gefährlich ins Wanken und ich hielt ihn fest.

      »Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass die Stunde zu Ende ist«, sagte ich und streckte ganz langsam eine Handfläche nach vorne.

      Das Mädchen sah sich um und ihre graugrünen Augen wurden groß. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf mich und wirkte nun ebenso unentschieden wie ich zuvor.

      »Danke«, murmelte sie dann und sammelte hastig ihre Unterlagen zusammen und steckte sie in die Tasche. In Sachen Kommunikation waren wir beide offensichtlich echte Asse. Ich gab mir einen Ruck und wollte mich eben vorstellen, da platzte das Mädchen nur für mich hörbar heraus: »Wenn Herr Reeder monologisiert, kann ich am besten zeichnen. Er ist meine persönliche Muse.«

      Bei der Vorstellung des grauhaarigen Herrn Reeder als Muse musste ich einfach lachen. Meine Nervosität verschwand und mein Lachen fühlte sich so ungewohnt und sogleich befreiend an und so echt, dass mein Gegenüber ebenfalls schüchtern grinste.

      »Ich bin Ela«, stellte ich mich noch einmal vor, obwohl Herr Reeder am Anfang der Stunde meinen Namen genannt hatte. Ich schob meine Tasche weiter zur Tischmitte und streckte ihr meine Hand entgegen.

      »Ich bin Alex. Und nochmals danke fürs Aufwecken.« Alex nahm meine Hand zögernd entgegen, drückte sie dann ganz leicht.

      »Jederzeit. Aber wäre es nicht einfacher, wenn du seine Stimme aufnimmst und zu Hause zeichnest?«

      Alex zuckte nur mit den Schultern. »Ich kann das alles.« Sie wedelte mit der Rechten, die noch immer den Bleistift hielt, in Richtung Tafel.

      »Wirklich?« Ich konnte nicht anders, als unauffällig auf ihren Unterarm zu linsen, ob sie eine Sigille trug, während sie ihre restlichen Sachen einpackte. Der süddeutsche Zirkel war recht groß. Früher, vor der Hexenverfolgung, musste es in der Gegend vor Magie geprickelt haben. Auch wenn etliche Hexen getötet worden waren, gab es noch einige Familien von hier bis zum Bodensee. Aber Alex war keine von uns. Sie nahm ihren Rucksack am Tragegriff und sah mich schon beinahe gelangweilt an, ehe sie tief Luft holte und die Worte aus ihrem Mund polterten wie auswendig gelernt.

      »Du bist, soweit ich weiß, im zweiwöchigen Austauschprogramm, daher machen wir es kurz und knapp: Ich bin diejenige, von der sich alle fernhalten, weil sie immer alles besser weiß und jeden korrigiert. Also schön, dich kennengelernt zu haben.« Sie wirbelte so schnell herum, dass mir ihre Haare ins Gesicht peitschten. Apfelduft umfing mich. Sie war es, die ich im Flur gerochen hatte! Das war ein Zeichen und als Hexe nahm ich so etwas sehr ernst.

      »Und warum rennst du dann jetzt weg?«, rief ich ihr hinterher. Alex war schon beinahe bei der Tür angekommen, während ich noch meinen Rucksack schulterte. Ihre dunklen Brauen bildeten beinahe eine nahtlose Linie, als sie sich zu mir umwandte.

      »Sieh dich an! Du wirst schon ganz schnell die angesagte Clique hier kennenlernen. Die Hyänen warten draußen sicher schon auf ein neues Rudelmitglied.«

      Mein Unverständnis musste sich in meinem Gesicht widerspiegeln, dennoch reagierte Alex nicht und ging durch die Tür in den Flur. Ich folgte ihr die Spinde entlang, froh über ihren Apfelgeruch, der mich selbst blind durch die teils scheußlichen Gerüche hier hätte leiten können. Für die nachfolgenden Tage würde ich mir etwas überlegen müssen. Meine Nase war offensichtlich immer noch zu empfindlich, auch wenn der Hämatit die Magie unterdrückte.

      »Du weißt es wirklich nicht, oder?«, fragte sie nach einem kurzen Seitenblick und ich schüttelte langsam den Kopf. Sie schlängelte sich weiter zwischen Schülergruppen hindurch, die überall herumstanden. Das war eindeutig unhöflich und ich war drauf und