Magic Tales - Verhext um Mitternacht. Stefanie Hasse

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Название Magic Tales - Verhext um Mitternacht
Автор произведения Stefanie Hasse
Жанр Книги для детей: прочее
Серия Magic Tales
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783732014699



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ernähren können – über der Schulter hatte.

      Der Bahnsteig von Falkhausen war wie verwaist, nachdem der Zug wieder weitergefahren war. Das einzige Haus weit und breit war das winzige Bahnhofsgebäude, das nicht einmal einen Schalter hatte und eher die Bezeichnung Baracke verdient hätte – passend zu dem verfärbten Putz und den schlechten Graffiti darauf. Nur wenige Meter – ein paar Parkplätze und die Zufahrtsstraße – hinter dem Gebäude und den Gleisen begann ein dichter Wald, hinter dem laut Google Maps mein Ziel lag. Auf der anderen Seite gab es nur weitläufige Wiesen und Felder, die bis zum Horizont reichten, wo sich der Himmel gerade in feuriges Orangerot verfärbte.

      Von Falkhausen selbst war von meinem Standpunkt aus nichts zu sehen. Ich zog meinen Koffer den Bahnsteig entlang auf das Bahnhofsgebäude zu, doch auch dort wartete niemand auf mich. Meine Gastmutter Ingrid hatte mir am Telefon versichert, mich abzuholen, weil die Busse um diese Uhrzeit extra bestellt werden mussten.

      Ich wartete vor dem Gebäude, während es dämmerte und letztendlich die Laternen, die die fünf Parkbuchten beleuchteten, angingen.

      Beinahe zeitgleich raste ein Auto die Straße entlang und blieb mit einer Vollbremsung direkt vor mir stehen. Eine Frau mit weißblonden kurzen Haaren stolperte aus der Fahrertür und stürmte auf mich zu. Sie hatte mich schneller im Arm, als ich irgendwas hätte einwenden können, und die Worte quollen so schnell aus ihrem Mund, dass ich Mühe hatte, sie zu verstehen.

      »Es tut mir entsetzlich leid, Kindchen. Ich habe mich mit Babs verquatscht und die Zeit vergessen.«

      Ich lächelte meine Gastmutter nur an und nickte. Als sie tatsächlich meinen Koffer nehmen und ins Auto heben wollte, griff ich schnell ein. Ich wollte ungern mein Armband lösen, Magie einsetzen müssen und mich enttarnen, nur weil meine Gastmutter zusammenbrach.

      Ingrid hatte einen mehr als flotten Fahrstil und mehrmals hatte ich Angst, dass ich die Fahrt ohne Magie nicht überleben könnte. Meine Finger waren um mein Armband gekrallt, sodass ich es notfalls jederzeit abreißen könnte.

      Endlich hatten wir das Waldstück durchquert und in einer kleinen Senke dahinter zeigten sich die ersten Häuser von Falkhausen. Wir fuhren die Hauptstraße entlang und kamen in den alten Ortskern mit einem historischen Rathaus, dessen Fensterläden neben dem modernen Einkaufszentrum wie aus der Zeit gefallen schienen. Kurz bevor Ingrid in eine kleine Straße abbog, konnte ich Schloss Falk erkennen, das von einem zugebauten Hügel auf die Stadt hinabblickte. Es war eher ein Schlösschen, meine Aufmerksamkeit jedoch zog der mit Spots erleuchtete Turm an der Westseite auf sich. In den historischen Unterlagen wurde er Hexenturm genannt und ich erschauderte.

      Was Ingrid jedoch falsch deutete. »Ist dir kalt, Kindchen? Wir sind gleich da.«

      Nahezu zeitgleich bremste Ingrid, schoss auf den großen Vorplatz eines Bauernhauses zu und legte erneut eine Vollbremsung hin, die mich dankbar für die Erfindung des Gurtes werden ließ.

      Meine Tür wurde von außen aufgerissen und eine grauhaarige Frau mit Schürze begrüßte mich. »Wir freuen uns, dass du da bist, Ela. Wir hatten lange keine Gastschüler mehr aus Rom. Die meisten jungen Leute wollen raus aus Europa, gehen für ein paar Monate nach Amerika oder …«

      »Lass das Kind in Ruhe, Babs«, ging Ingrid dazwischen, die im Gegensatz zu mir schon das Auto verlassen hatte und die Frau mit einem »das ist meine Nachbarin Barbara, du kannst sie Babs nennen« zur Seite schob. Ich lächelte unbeholfen, während ich ausstieg. Ingrid öffnete in der Zwischenzeit den Kofferraum und ich hastete zu ihr, weil ich nicht zusehen konnte, wie sich die haspeldürre Barbara einen Bruch anhob.

      »Ist das Essen fertig?«, fragte Ingrid und Barbara antwortete empört.

      »Natürlich. Was denkst du denn?«

      Ich ließ mich von den beiden Frauen in das alte Bauernhaus ziehen, wo ich, noch ehe ich mein Zimmer auch nur sehen durfte, mit ihnen in der gemütlichen Küche zu Abend essen musste.

      Ohne Magie zu sein, fühlte sich in ihrer Gegenwart jedoch gar nicht mehr so schlecht an.

      Als ich am nächsten Morgen die knarrende Holztreppe herunterkam, saßen Ingrid und Barbara bereits am Küchentisch. Ingrid erklärte mir, dass sie und Barbara den kleinen Hof gemeinsam am Laufen hielten, seit Ingrids Mann verstorben war. Während wir aßen und Kaffee tranken, planten sie den Tag, der für das Alter der beiden Frauen durchaus ambitioniert war. Aufgrund des langen Winters war es erst jetzt warm genug, den Mais auszusäen. Barbara wollte allerhand im Garten hinter dem Haus erledigen.

      So hörte ich zu, was es zu tun gab und, wichtiger noch, was es an neuem Klatsch im Ort gab – denn hierfür waren die beiden offenbar eine unerschöpfliche Quelle. Doch es fiel kein Wort über von Dunkelmagie zum Leben erweckte Brunnenfiguren. Die Jäger hatten tatsächlich alle Zeugen aufgespürt und ihre Erinnerungen gelöscht.

      Nach dem Frühstück fühlte ich mich wie nach einem Crashkurs in Landwirtschafts- und Gartenkunde, zusätzlich vollgestopft mit etlichen Namen, die mir nichts sagten und die ich – wenn man bedachte, was so getratscht wurde – auch besser nie gehört hätte.

      Mit einem Pausenbrot von Ingrid im Rucksack folgte ich der Wegbeschreibung der beiden zum Grimm-Gymnasium, meldete mich wie von Ingrid empfohlen im dortigen Sekretariat und suchte anschließend nach meinem Klassenzimmer für die erste Stunde.

      »Ela Bianchi.«

      Wieder und wieder flüsterte ich den Namen meiner neuen Identität vor mich hin. Er schmeckte falsch auf meiner Zunge. Vielleicht lag das aber auch an den vielen sich gegenseitig überlagernden Gerüchen. Die Wissenschaft im Wissenschaftstrakt hatte ich mir anders vorgestellt. Sauberer. Aber hier roch es abgestanden, nach Schweiß, Putzmittel, Aftershave, Haarspray und alten Socken. Alles auf einmal. Ich wollte gar nicht wissen, was hinter den metallenen Türen der Spinde, an denen ich gerade vorbeilief, vor sich hin gammelte. Der Ekel packte mich bei den Schultern und schüttelte mich. Daher konzentrierte ich mich auf die zarte Apfelnote, die ebenfalls in der Luft hing, und auf das ausgedruckte Blatt in meiner Hand mit meinem Stundenplan. Endlich hatte ich ihn gefunden: Raum 1.2.5. Mathematik bei Herrn Reeder. Mein Puls raste wie zuletzt bei … ich hatte keine Ahnung. Die Nervosität hatte mich fest im Griff und ich fürchtete, von der Türklinke abzurutschen, weil sich auf meinen Handflächen ein Schweißfilm gebildet hatte.

      Mit jedem Blick auf die kahle Stelle, an der sich sonst meine Sigille befand, verspürte ich lähmende Sehnsucht. Meine Hexeninstinkte drängten darauf, das Armband sofort wegzureißen, es zumindest anzuheben, damit ich wenigstens zu einem Teil wieder ich selbst sein konnte.

      Doch genau das durfte ich nicht sein, wenn ich hier etwas herausfinden wollte.

      Ich rieb die Feuchtigkeit in meinen Handflächen an meiner Jeans ab und drückte anschließend die Klinke. Als ich eintrat, richteten sich sämtliche Blicke auf mich und eine neue Mischung aus Gerüchen strömte auf mich ein. Wie im Flur drang die zarte Apfelnote an meine Nase, aber da war noch etwas anderes, etwas … Überwältigendes, das mich mit voller Wucht traf.

      Der Duft nach Sommerregen, nach glücklichen Gesichtern, die sich den Tropfen entgegenstreckten, Erneuerung nach langer Trockenheit. Er war so intensiv, dass mein Herz vor Freude aus dem Takt geriet. Ich sog tief den Geruch von purem Glück ein und schloss kurz die Augen, um ihn festzuhalten. Es war derselbe Rausch wie beim Wirken eines großen Zaubers, wenn die handgezeichnete Sigille an die Elemente übergeben wurde. Als ich die Lider wieder öffnete, sah ich direkt in die blauen Augen eines Jungen. Ich musste blinzeln, um von dem überwältigenden Glücksgefühl getrieben nicht darin einzutauchen, mich zu verlieren wie in einem endlosen Meer. Ich rang nach Luft wie nach einem langen Tauchgang und die Mischung aus Deodorant, Haarspray, billigem Aftershave und Schweißfüßen holte mich in die Realität zurück.

      Ich stand vollkommen sprachlos vor einer Klasse mit ungefähr dreißig Schülerinnen und Schülern, die offenbar hocherfreut darüber waren, dass der Mathematikunterricht unterbrochen wurde – und vor denen ich mich gerade gnadenlos blamierte. Der Junge, den ich die ganze Zeit schamlos angestarrt hatte, schob sich verlegen die halblangen blonden Haare aus dem Gesicht. Seine Lippen waren leicht geöffnet, als