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Um die anstehenden Raten aufzubringen, hatte Dustin Einbrüche begangen. Eine Tätigkeit, bei der er noch nie besonders glänzen konnte, die aber immerhin keine Interaktion mit anderen Menschen verlangte. Trotzdem hatte ihm die Aufregung so schwer zu schaffen gemacht, dass er zu bewährten Drogen griff, um die Anspannung zu lösen. Man brauchte keine Kristallkugel, um das Ende dieser Geschichte vorherzusehen: Bei seinem letzten Bruch lief er heftig zugedröhnt der Polizei direkt in die Arme.

      Da man auf dem Revier mit seinen diversen Abhängigkeiten bestens vertraut war, stellte ein hochrangiger Beamter Dustin vor die Wahl: Gefängnis oder Spitzeldienst. Im Grunde handelte es sich um keine richtige Wahl. Dustin wollte zwar keine Ratte sein, denn wer wollte das schon, aber er wusste genau, wie es ihm im Gefängnis ergehen würde. Typen wie er konnten dort nicht überleben und bestenfalls als Fußabtreter für die anderen Insassen dienen.

      Also begann Dustin Kohl, die Leute auszuspionieren, denen er Geld und Gefallen schuldete und war dabei erfolgreicher als erwartet. Da die schweren Jungs ihn nicht für voll nahmen, sprachen sie in seiner Gegenwart recht freimütig. Die meisten Informationen bestanden aus hohlem Angebergeschwätz, besonders im Bereich sexueller Aktivitäten, hinsichtlich deren Quantität und Qualität. Seine Polizeikontakte erkannten dies schnell und reagierten dementsprechend unzufrieden. Sie verlangten mehr Einsatz und bessere Ergebnisse von ihm, andernfalls würden sie ihn von der Straße nehmen. Dustin fürchtete sich allerdings davor, die kriminellen Schwergewichte auszufragen, weil ihm jeder deutlich seine Aufregung ansehen konnte. Doch niemand in der Frankfurter Unterwelt verdächtigte das schwitzende Nervenbündel, ein doppeltes Spiel zu treiben. Stattdessen machte man Scherze über das männliche Klimakterium oder steckte ihm wohlwollend ein paar Zellophanbeutel zu, um die heftigen Entzugserscheinungen zu lindern.

      Sechs Monate verbrachte Dustin auf diese Weise: Aufgerieben zwischen mehreren Parteien, die sich mit ihren Drohungen und Einschüchterungen ständig gegenseitig zu übertreffen versuchten. Aber von jetzt an ohne ihn.

      Er verspürte eine tiefe Ruhe, die von seinem aufgeputschten Körper und Geist Besitz ergriff. Unter sich sah er den Postboten aus dem Haus treten. Der junge Marokkaner hatte zwar nie Post für ihn, doch die anderen Hausbewohner mochten ihn. In ihrer Straße entsprach dies einem Ritterschlag, denn die Hausbewohner galten nicht als sehr freigiebig mit ihrer Gunst. Gerade ihm wollte Dustin nicht auf den Kopf fallen.

      »Ein weiter Weg nach unten«, rief der Boss höhnisch, aber seine Stimme verriet die Anstrengung, die ihm selbst ein Fliegengewicht wie Dustin bereitete. Er gab sich gern als harter Kerl, aber eigentlich steckte nicht viel Saft in seinen aufgepumpten Sportstudiomuckies. Auch seine falschen Knasttätowierungen täuschten niemanden, der sich damit auskannte, und boten Anlass für gehässige Bemerkungen. Sein Leibwächter dagegen – denn um niemand anderen handelte es sich bei dem maskierten Mann an seiner Seite – galt als Vollprofi, der seine Gefährlichkeit eher noch tarnte, anstatt sie hervorzuheben. Vor ihm sollte man sich in Acht nehmen. Also nicht Dustin, denn der hatte es wohl bald hinter sich, aber alle anderen.

      Dustin hörte einen überraschten Ausruf rechts von sich und die drei Männer drehten ihre Köpfe in die Richtung, aus der der Schrei kam. Es handelte sich um die Frau mit den riesigen Brüsten, die schräg unter Dustin wohnte. Sie stand auf ihrem Balkon und ihre voluminöse Stimme verhallte in den Straßenschluchten von Mainhattan. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund und verschwand wieder in ihrer Wohnung. Die Ärmste! Sie war nun eine Zeugin.

      »Hast du noch irgendwelche letzten Worte, du Ratte?«, brüllte der Boss von oben. Kniend auf seinem Wohnzimmerteppich mit einem Pistolenlauf an der Stirn hatte Dustin bereits versucht, alles zu erklären, bevor er die Flucht auf den Balkon antrat. Nichts, was er jetzt noch vorbringen konnte, würde etwas an seiner Lage ändern. Diese Inszenierung hier diente ohnehin nur dem filmverrückten Angeber, um sich in Szene zu setzen. Für diesen Kerl stellten Mafiafilme ein authentisches Abbild der Realität dar. Mit einem Mal ärgerte sich Dustin darüber, dass er durch die Hand einer solchen Witzfigur sterben sollte.

      Die dickbusige Nachbarin kehrte auf den Balkon zurück. Bei sich führte sie kein Telefon, sondern ihren Ehemann. Was machst du nur?, stöhnte Dustin innerlich. Der bedauernswerte Schwachkopf war nun ebenfalls ein Zeuge. Das aufgeregte Rufen der Frau ließ den Postboten nach oben sehen. Zeuge Nummer drei. Die Frau stellte eine Gefahr für die gesamte Nachbarschaft dar. Neben dem Postboten trat die süße Studentin aus dem Dachgeschoss auf die Straße. Dustin hatte sie bei mehr als einer Gelegenheit versucht anzugraben, aber sie war standhaft geblieben. Sie stammte irgendwo aus dem Nahen Osten und war sicher schon jemandem versprochen oder längst verheiratet. Eine andere Erklärung fand er nicht für ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber.

      »Was ist das für ein Lärm da unten?«, schrie die Witwe aus dem Dachgeschoss und Dustin musste fast lachen, weil die ganze Szene zunehmend surreal wurde. Er ging jede Wette ein, dass der Boss ihm noch einen saublöden Spruch à la »Guten Flug« mit auf den Weg geben würde, denn so was entsprach genau seiner eingeschränkten Vorstellung von Coolness. Doch bevor es dazu kommen konnte, rutschte Dustin aus dem Griff des Gangsters und wurde nur noch von dessen Leibwächter gehalten. Der Maskierte wurde von dem zusätzlichen Gewicht überrascht und musste das Bein freigeben. Er versuchte noch nachzugreifen, aber es war bereits zu spät.

      Dustin gab auf dem gesamten Weg nach unten keinen Laut von sich und schlug um Haaresbreite neben dem giftgrünen Kombi auf.

      Blackout

      

      Die untergehende Sonne veranstaltete ein psychedelisches Farbenspektakel über dem Pazifik. Am Strand tummelten sich halbnackte Tänzerinnen gemeinsam mit betrunkenen Rettungsschwimmern und kreischenden Surfern. Musikalisch unterlegt wurde die Szene von den schiefen Klängen einer sturzbetrunkenen Mariachi-Band, die sich verzweifelt an die Noten von When the saints go marching in zu erinnern versuchte. Ein englischer Butler, deplatziert wie ein eiterndes Ekzem auf der Nase einer Schönheitskönigin, bahnte sich seinen Weg durch die feiernde Menge, um den nächsten Drink zu servieren. Er lächelte einer Baywatch-Nixe zu und wurde im nächsten Moment von einem Grizzly von den Beinen gerissen.

      Hauser wusste, dass er träumte. Er wusste es nur zu gut, denn vor dem Fenster lag Frankfurt und was seine Nase wahrnahm, war keine frische Meeresbrise, sondern der Geruch von verschüttetem Bier und kaltem Rauch. Der Gestank kroch in sein Bett wie die schleimigen Ungeheuer in den Albträumen seiner Kindheit. Er war immer noch betrunken. Hauser bewegte den Kopf und wollte das unwillkommene Eindringen in seine Strandfantasie abschütteln. Doch der rüttelnde Grizzly war hartnäckig und als die Sonne zischend im Meer erlosch, öffnete er die Augen.

      Über ihm stand die Polizei. Genauer gesagt Hauptkommissar Richard Lessing. Der mittelgroße Endvierziger sah aus wie aus dem Ei gepellt. So wie man ihn kannte. Und wie immer zeigte er sich leicht angewidert, von dem Bild, das sich ihm bot.

      »Der große Detektiv. Wenn die Öffentlichkeit dich so sehen könnte, würden viele Kriminelle sorgloser zur Arbeit gehen.«

      Hauser brummelte Unverständliches. Kriminalistische Kompetenz und moralische Integrität waren ihm zwar nicht völlig fremd, aber die gängigen Laster des modernen Lebens standen ihm eindeutig näher. Er kämpfte sich von seinem Futon hoch und machte pappende Laute mit seiner Zunge, die immer wieder am Gaumen festklebte.

      »Alkohol bekommt dir einfach nicht, Hauser. Du solltest bei deinen Gewohnheiten bleiben.«

      »Das klingt aber sehr nach Verharmlosung sogenannter weicher Drogen«, antwortete Hauser und stemmte sich mühsam auf die Beine, wo ihn der Drehschwindel in Empfang nahm.

      »Wir haben es eilig, willst du dich noch umziehen?«

      Hauser schüttelte den Kopf, was diesem überhaupt nicht guttat. »Wieso? Irgendeinen Sinn muss es doch haben, in seinen Klamotten zu schlafen.« Er knöpfte die Weste über dem buntbedruckten Hemd zu, dessen Enden er nachlässig in den Hosenbund seiner Jeans stopfte. Unsicher schritt er ins Badezimmer, wo er sich notdürftig auffrischte. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und fühlte sich gekämmt. Dies stellte weitaus mehr Zuwendung dar, als er für gewöhnlich seiner Frisur widmete. Sein Äußeres