Название | Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales |
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Автор произведения | Michaela Lindinger |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783902998644 |
Franz Joseph hatte die brüderlichen Herrenbekanntschaften immer weniger gefürchtet als den Skandal und die damit verbundenen politischen Kalamitäten. Gerade in Deutschland hatte man viel damit zu tun, begann es dort ja schon mit den Nationalhelden, wie dem großen Preußenkönig Friedrich und dessen Bruder Prinz Heinrich. Viele Witze kursierten über die älteste preußische Garnison Rastenburg (Ostpreußen, heute Polen), die sowieso nur »Päd-rastenburg« genannt wurde. Es war jene Zeit, in der das Wort »homosexuell« gerade »erfunden« wurde. Der Begriff wurde vom österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl Maria Kertbeny (Geburtsname: Benkert) erstmals in einem Brief erwähnt (1868). Kertbeny argumentierte, dass die Sodomie-Gesetze die Menschenrechte verletzen würden. Privater und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr könne nicht Sache des Staates sein. Homosexualität sei keine Krankheit, sondern angeboren und unveränderlich. Schwule Männer seien keinesfalls »von Natur aus« weichlich, denn viele großartige (Kriegs-) Helden der Geschichte seien nachweislich homosexuell gewesen. Auch wies er darauf hin, dass Schwule aufgrund der herrschenden Gesetzeslage erpressbar seien und in den Selbstmord getrieben würden. Zur Untermauerung der Behauptung führte er Beispiele aus seinem Bekanntenkreis an. Dennoch kannte noch um 1900 kaum jemand außerhalb von Medizinerkreisen die Bedeutung des Begriffs »homosexuell«. Ein Tabu war die Veranlagung sowieso, egal wie man sie nannte. Die gebräuchlichsten Ausdrücke für Schwule waren »Päderasten« (das Wort geht auf Sitten im antiken Griechenland zurück), »Urninge« (abgleitet vom Gott Uranos, der ohne Mutter Vater der Aphrodite wurde) oder »Conträrsexuelle«. Der österreichische Volksmund sprach von den »Buseranten«, die Berliner meinten mit »Schwulität« eigentlich nur Schwierigkeit, bis das Wort im Fin de siècle – vielleicht in Zusammenhang mit der grassierenden Homophobie – einen Bedeutungswandel erlebte. Als Opposition entstanden erste Gruppierungen und Vereine höher gestellter Homosexueller. Einige Wissenschafter, Ärzte und Schriftsteller unterstützten deren Forderung nach Straffreiheit. Die große Mehrheit qualifizierte Schwule als »Verbrecher«, rief zur »Befreiung der Welt von diesen Scheusalen« auf und empfahl »deren Kastration oder Internierung in einem Narrenhause« (nach Helmut Neuhold). Als in dieser Stimmung der »Eulenburg-Skandal« das deutsche Kaiserreich erschütterte, war es auch mit Ludwig Viktors aufrecht zur Schau getragener Homosexualität vorbei, zumindest in der Residenzstadt Wien.
Philipp von Eulenburg kannte Wien gut und schätzte Österreich-Ungarn – im Gegensatz zu den meisten seiner preußischen Landsleute. In den Jahren um 1900 war er Botschafter des Deutschen Reiches in der Monarchie, ein Vertrauter Franz Josephs und Wilhelms II. Es überrascht kaum, dass er in seiner Position über eine ansehnliche Zahl an Gegnern verfügte, darunter Otto von Bismarck. Dessen Einfluss auf den Kaiser soll mit Eulenburgs Unterstützung abgestellt worden sein. Danach sei Wilhelm II. unter die Fuchtel des homoerotischen »Liebenberger Kreises« (benannt nach Eulenburgs Schloss in Brandenburg) geraten. Im Jahr 1906 begann der Journalist Maximilian Harden in der einflussreichen Zeitschrift Die Zukunft seine Artikelserie über das »verwerfliche« Milieu in der unmittelbaren Nähe des deutschen Kaisers. Unterstellungen wurden breit ausgewalzt. Hauptsächlich ging es um den angeblich durch und durch schwulen wilhelminischen Herrenklüngel, der den Staat führe, und man konnte durchaus herauslesen, dass der Kaiser und der Fürst Eulenburg einer homosexuellen Beziehung frönten. Die beiden nannten sich in Briefen »Liebchen« und »alte Philine« oder »Phili«. Es kam zu mehreren Prozessen und ständig neuen kompromittierenden Enthüllungen. Selbstmorde folgten auf dem Fuß. Philipp Eulenburg war erledigt, Wilhelm II. all seiner Freunde beraubt. Er soll nach dieser Affäre nie mehr der »Alte« gewesen sein.
Schon als Eulenburg sich in Wien angesagt hatte, eilte ihm sein Ruf voraus. Doppeldeutig konnte man Folgendes lesen: »In den Kreisen der Wiener Künstler und Schriftsteller wird er bald zu den beliebtesten und angesehensten Persönlichkeiten gehören.« Der Botschafter in spe war verärgert, beherrschte sich jedoch, als er Franz Joseph schrieb: »Das ist recht perfid, macht mir aber kein Kopfzerbrechen.« Er hätte es aufgrund der Luziwuzi-Probleme besser wissen sollen, doch wurde auch der Deutsche ein Leidtragender der moralisch nicht einwandfreien Wiener Privatschwimmbad-Szene: Ein Bademeister soll nach vollzogenem Akt 60 000 Reichsmark verlangt haben, damit er den Mund halte. Später habe Eulenburg gemeint, es sei »um eine Meinungsverschiedenheit mit einer vornehmen Dame« gegangen. Damen allerdings wurden in diesem Gesundheits-Etablissement nie gesehen, abgesehen vielleicht von »Damen in Kostüm«. Sehr wohl kannte man dort aber den Erzherzog Ludwig Viktor … Es scheint, als hätten die Bademeister, Masseure und anderes Personal ihre wohlhabende, leicht erpressbare Kundschaft nach Strich und Faden ausgebeutet.
Die Homosexualität einer Einzelperson, noch dazu aus der elitären Umgebung des Generalstabs, wurde schließlich im schlimmsten Zusammenhang von Spionage und Landesverrat der Öffentlichkeit vorgeführt. Der Fall Redl war gewissermaßen die Spitze des Eisbergs. Die Arbeiter-Zeitung witterte den Skandal und stellte die richtigen Fragen, wurde allerdings sogleich konfisziert. Niemand sonst wies auf die naheliegende Option hin, dass vielleicht viele Offiziere nur in die Armee eintraten, weil es dort so viele Männer zur Auswahl gab. Von den k. k. Offizieren hatte vermutlich ein Drittel einmal im Leben homosexuelle Erfahrungen gemacht, bei den Mannschaften rechnet man mit etwa zwanzig Prozent. Die männlichen Darsteller der weiblichen Rollen bei Fronttheatergruppen sollen sehr begehrt gewesen sein. Erpressung und Verrat wegen homosexueller Handlungen hatten in militärischen und vergleichbaren Kreisen eben nichts mit der »neuen Zeit« zu tun, sondern ganz im Gegenteil eine lange Tradition. Zu dieser gehörte eine Art »Scheintoleranz«, das heißt, Insider waren informiert, nur an die Öffentlichkeit durfte nichts dringen. Trieb es ein Kamerad zu bunt, wurde er zum Beispiel im Jahr 1890 ermahnt, »sich der Theilnahme an Liebesmahlen« und des »intimen Verkehrs mit jüngeren Offizieren« zu enthalten (nach Helmut Neuhold). Uneinsichtige wurden »aus gesundheitlichen Gründen« versetzt (etwa nach Czernowitz, nicht nach Salzburg!), pensioniert oder in eine »Ehe zum Schein« gezwungen.
So gesehen hatte es Luziwuzi noch ganz gut erwischt. Soldatenuniformen für ihn selbst, silberne Livreen für seine Dienerschaft und goldene Räder für die Equipage waren zwar gestrichen, doch wurde er trotz dieser Degradierungen mit größter Achtung und Höflichkeit behandelt. Niemand ließ sich anmerken, dass »etwas geschehen« war. Franz Joseph aber blieb unerbittlich. Rückkehrgesuche nach Wien wurden abschlägig beschieden.
Daraufhin sei der ohnehin schon schrullige ältere Mann immer wunderlicher geworden. Angrenzend an das Schloss Kleßheim befand sich die Landesheilanstalt für Geisteskranke, deren ärztlicher Leiter Ludwig Viktor wohl gesinnt war und ihn in diesem Sinn behandelte. Der ehemalige Erzherzog Leopold Wölfling schrieb in seinen Memoiren: »Ich war damals in Salzburg und sah Ludwig Viktor oft. Wenn ich ihm begegnete, lächelte er sonderbar, und seine Blicke begannen umherzuirren. Er machte auf mich den Eindruck eines Menschen, der dem Irrsinn nahe ist.« Nach und nach war der Kranke ein entmündigter Gefangener geworden, über den 1915 die Kuratel verhängt wurde. Er war dem Kaiser, der unbotmäßige Leute gern der Psychiatrie überantwortete, zu lange auf die Nerven gegangen. Auch nach Franz Josephs Tod änderte sich für den Exilierten nichts. Es war Krieg und ganz andere Dinge hatten Ende 1916 Priorität. Der Journalist Max Reversi bedauerte, dass Ludwig Viktor »nicht die Kraft Ludwigs II.« aufwenden konnte, der »seinen Peiniger Dr. Gudden wirklich