Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales. Michaela Lindinger

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Название Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales
Автор произведения Michaela Lindinger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998644



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Schwager, der möglicherweise sogar verhindert hat, dass Katharina Schratt bei der Denkmalsenthüllung »einige huldigende Verse« (ursprüngliches Festprogramm) an die Verblichene zum Besten gab. Die Kaiserin wäre wohl über eine feierliche Zeremonie mit 140-köpfigem Chor und einer eigens dafür komponierten Hymne alles andere als erfreut gewesen, hätte auf das baldige Ende derselben gehofft und nur die Nase gerümpft.

      »Queen of Austria«

      image Theater-Fan »Luziwuzi« stand auch selbst in Frauenkleidern auf der Bühne.

      Die Eskapaden seines bis zu einem gewissen Grad pflichtbewussten, folgsamen und vielseitig einsetzbaren Bruders führten schließlich doch so weit, dass der Kaiser den Skandalprinzen vom Hof in Wien verbannte. Dass er ihn am Ende auch noch entmündigte, hatte gar nicht so viel mit dem Betroffenen selbst zu tun. Es ging um große Politik und nicht (nur) um das Privatleben eines eigenwilligen Erzherzogs, der seine Aufgabe im Leben nicht gefunden hatte. Das alte System des österreichischen Kaiserreiches war durch Ereignisse wie den »Eulenburg-Skandal« im militärisch und gesellschaftlich sehr eng verbundenen Deutschland in Mitleidenschaft gezogen und geschwächt worden. Es fielen in diesem Zusammenhang Worte wie »Verschwörerclique«, »Staatsgefährdung«, »Sicherheitsrisiko« (nach Helmut Neuhold). Der Salzburger Historiker Ernst Hanisch hatte darauf hingewiesen, dass in Europa um 1900 eine Art homophobe Panik und Hysterie zu beobachten war, die mit dem Prozess gegen den irischen Schriftsteller Oscar Wilde (1895) begonnen hatte und mit dem angeordneten Selbstmord des Obersten Redl (1913) (vorerst) ein Ende fand. Homosexuelle Angehörige der Oberschicht hätten sich als geheime Elite betrachtet und den Staat zu unterwandern versucht. An dieser Stelle zu erwähnen ist der Fall des jungen Husarenleutnants Franz Joseph von Braganza, der in der habsburgischen Armee diente und, wie sein Name schon sagt, ein Patenkind des Kaisers war. Er wurde bei der Krönungsfeier des notorischen Frauenhelden Edward VII. in London mit drei Burschen in flagranti erwischt, darunter befand sich ein 15-Jähriger. Der »schöne Prinz« Braganza, der laut Magnus Hirschfeld gern Tüllkleider mit Maiglöckchenstickerei trug, verlor Charge und Chancen, weigerte sich aber, ins »feindliche Lager«, wie er die Heterosexuellen nannte, zu wechseln. Eine aufkommende »Macht der Schwulen« wurde herbeigeredet, wobei diese »Abartigen« nichts Besseres zu tun hätten, als das »Verderben des Volkes« zu planen. Während den einen eine Emanzipation oder vielleicht wenigstens eine Entkriminalisierung der männlichen Homosexuellen nahe schien, steigerte sich auf der anderen Seite die Schwulenangst. Nach dem Fall Redl soll Franz Joseph gesagt haben: »Das also ist die neue Zeit? Und das die Kreaturen, die sie hervorbringt? In unseren alten Tagen wäre so etwas nicht einmal denkbar gewesen!«

      Nun, da irrte er doch gewaltig. »In unseren alten Tagen«, als der kleine Bruder noch jung war, dürfte ihn wohl ein Lakai mit der Homosexualität vertraut gemacht haben – so die mündliche, nicht nachweisbare Überlieferung. Ludwig Viktor selbst hat früh verstanden, dass er anders orientiert war als die Brüder und auch seine Mutter war wohl im Bilde. Jedenfalls hat sie ihm keine »hygienische Gräfin« zugeführt, ein Vorgang, der für die anderen Prinzen ein selbstverständlicher Teil der erzherzoglichen Erziehung war. Sorgfältig ausgewählte und wesentlich ältere »Iniciatricen«, oft Schauspielerinnen, wurden zur sexuellen Erstausbildung der männlichen Teenager engagiert und dafür auch bezahlt. Bei Luziwuzi war es eher so, dass ihm elegante, hübsche junge Männer nachliefen, um sich ihm anzubieten – »unbehelligt von allen Behörden«, wie extra betont wurde, denn homosexuelle Handlungen waren strafbar – und in der Hoffnung auf eine kaiserliche Belohnung. Nicht wenige, die sich später auf ihn berufen haben, soll er vor dem Kerker bewahrt oder vor dem Verstoß durch ihre Familien geschützt haben. Marie Larisch, Nichte von Kaiserin Elisabeth und eine von Rudolfs Kurzzeitgeliebten, erinnerte sich an »einen lustigen, klatschfrohen Mann, dessen Gesellschaften zu den beliebtesten Festlichkeiten des eleganten Wien gehörten. Es liefen mancherlei Gerüchte um über die Neigung des Erzherzogs zu Lastern, die nur in den Tagen des Sokrates geduldet waren.« Zu den Inszenierungen des Theaterbegeisterten gehörten auch seine sich oft wiederholenden hypochondrischen Anfälle, in deren Verlauf er sich die letzte Ölung erteilen ließ und sich wort- und gestenreich von der Familie verabschiedete. Kronprinz Rudolf, der seinen Onkel für »einen gar frommen und dabei lasziven Herrn« hielt, war gelegentlich Zeuge der filmreifen Groteske: »Ich fuhr gleich an sein Schmerzenslager und fand ihn in einem eleganten Schlafkostüm in einem parfümierten Zimmer wie eine alternde Cocotte aufgebahrt. Seine Zunge hat die Sprechruhr.«

      Franz Joseph teilte ausnahmsweise die Meinung vieler Untertanen hinsichtlich gewisser Endzeit-Erzherzöge wie Otto oder eben Luziwuzi, die durch »ihre Disziplinlosigkeiten und Extravaganzen die monarchische Gesinnung der Österreicher schwerer geschädigt haben als die unglückliche Staatsführung und die verlorenen Kriege« (nach Helmut Neuhold). 1861 wurde ein Adjutant Ludwig Viktors ausgetauscht, offenbar wegen »gewisser Vorfälle«. »Man müßt’ ihm als Adjutanten eine Ballerina geben, dann tät nix passieren«, seufzte Franz Joseph, der sich auch um solche Angelegenheiten kümmern wollte. Es gab Hofklatsch über ein sexuelles Verhältnis seines Bruders mit einem Fiaker. Ein (hoffentlich) anderer Fiaker hielt einmal auf Befehl des Erzherzogs mitten auf der Prater Hauptallee, da Ludwig Viktor durch das Kutschenfenster einen gefälligen jungen Mann erblickt hatte. Er stieg aus, machte dem Überrumpelten einen unzweideutigen Antrag und – hatte eine schallende Ohrfeige sitzen. Dem Auserwählten dürfte die Identität des Galans verborgen geblieben sein. Für zufriedenstellend abgeleistete Dienste wurden Liebhaber mit goldenen, brillantbesetzten Uhren und anderen gravierten Schmuckstücken ausgezeichnet, die dann im Dorotheum zwecks Versteigerung auftauchten und aufgrund der Gravur leicht identifizierbar waren. Im Gegensatz zu Ludwig II., dem bayerischen »Märchenkönig« mit seinen versteckten Jagdhütten, lebte Ludwig Viktor seine Veranlagung verhältnismäßig locker und selbstbewusst. Manche waren sogar der Ansicht, er hätte »recht ungescheut Propaganda für die praktische Betätigung der Homosexualität betreiben« können, was die »ungeheure Machtstellung« zeige, »deren sich die Mitglieder der Familie (Habsburg, Anm.) erfreuten« (Nora Fugger). Seine Affären wurden herumerzählt, die Leute lachten schadenfroh bis mitleidig, aber niemand war sonderlich erschüttert. Der Erzherzog glaubte, er könne sich (fast) alles erlauben. Andere mit seinem aufsehenerregenden Register wären längst im Gefängnis oder in einer Anstalt verschwunden: »Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts wird mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft.« Dieses Gesetz galt für weniger Prominente. Abgesehen von den erwähnten Aufregungen gab es im Badeort Abbazia (heute Opatija, Anm.) einen Wirbel, als ein junger Mann – er teilte eine Kabine mit dem urlaubenden Luziwuzi – diesem eine wertvolle Uhr stehlen wollte und dabei festgenommen wurde. Überhaupt geriet der Erzherzog, als er die vierzig überschritten hatte, in eine Art Midlife-Crisis und wurde öfter beim Herumstreunen in der Innenstadt auf der Suche nach geeigneten Burschen beobachtet. Man kann sich vorstellen, dass Franz Joseph nur noch auf ein Ereignis größeren Ausmaßes wartete, um seinen Bruder gut begründet aus Wien abziehen zu können.

      »Schwule Mädchen«

      Dem Palais Ludwig Viktors am Schwarzenbergplatz fehlte trotz luxuriöser Annehmlichkeiten ein Schwimmbad. Nora Fugger berichtet: »Und so machte es sich der Erzherzog zur Gewohnheit, zweimal wöchentlich in Gesellschaft eines Adjutanten in einer öffentlichen Badeanstalt zu erscheinen. Mir erschien die Sache eigentümlich, nicht unbedenklich.« Es war tatsächlich etwas schwer vereinbar mit der Etikette des strengsten Hofes in ganz Europa, wenn der Bruder des Kaisers »in einem öffentlichen Schwimmbassin mit n’importe qui baden durfte« (Nora Fugger). Jeder konnte es sehen, da der Hofwagen vor dem »Centralbad« in der Weihburggasse stand, wo sich die Herrensauna mit dem aufschlussreichen Namen »Kaiserbründl« noch heute befindet. »Homoerotische Aktionen als Staatsakt« – Helmut Neuhold in seinem Buch Das andere Habsburg. Für die Hofgesellschaft war es ganz und gar unvorstellbar, dass ein Erzherzog, noch dazu der Bruder des Kaisers, in eine gewöhnliche Badeanstalt ging. Auch verschwiegene Stellen an Seen oder Flüssen wären nie infrage gekommen. Der bemitleidenswerte Adjutant soll »in Furcht und Beben vor einer Entdeckung« sein Dasein gefristet haben. Was sich nun in diesem Bad abgespielt hat, ist so oft und in so vielen Variationen erzählt worden, dass es hier nur in Kurzform wiederholt werden soll. Gut möglich,