MIT ZÄHNEN UND KLAUEN. Craig DiLouie

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Название MIT ZÄHNEN UND KLAUEN
Автор произведения Craig DiLouie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943408645



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liebend gerne vergessen würde. Er will einfach nur noch nach Hause, alte Schallplatten sammeln und bis zwei Uhr morgens vor der Glotze hängen. Vielleicht gelingt es ihm auch, wieder mit Laura anzubandeln und sich eine Wohnung zu besorgen – irgendeinen abgeschiedenen Zufluchtsort, an dem er eine Zeit lang allein sein kann.

       »Nächster!«, bellt Eckhardt. »Los Leute, kommt in die Gänge.«

       »Alle gehen rein, und keiner kommt wieder raus«, kräht der alte Mann.

       »Mister, ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie Ihr Schandmaul halten«, sagt Specialist Martin von der Waffenstaffel, während er sich über sein M240 Kaliber .30 beugt, das auf einem Dreibein montiert von einem Haufen Sandsäcke aus in die First Avenue zielt. Auf dem Boden neben ihm sitzt der Ladekanonier – ein Typ, den alle Boomer nennen – und lacht.

       »So gehen Sie also mit einem um …«, hebt der Alte an, ehe er sich in Bewegung setzt und davontrottet, da Martin sein Maschinengewehr gerade so weit herumschwenkt, dass es bedrohlich wirkt. »Schon klar, ihr Kerle habt den richtigen Beruf gewählt«, ruft er mit Blick über die Schulter nach hinten, während er sich torkelnd zwischen den Autos entfernt. »Ohne einen Krieg wird die Welt nämlich nicht untergehen!«

       »Alpha Mike Foxtrot!«, gibt ihm Martin grinsend mit auf den Weg, woraufhin sein Ladekanonier erneut kichert.

       »Einen Krieg, Bruder gegen Bruder!«, ergänzt der Mann von Weitem.

       Mooney ist sich der Bedeutung dieser Worte nur vage bewusst, schaudert aber, aus welchem Grund auch immer.

       »Das gibt’s nur in New York«, meint Boomer und schüttelt den Kopf.

      Hier kracht es schon fast wie in Bagdad

      Am südlich gelegenen Kontrollpunkt wirft eine Traube von Zivilisten dem befehlshabenden Offizier des Zweiten Platoons vor, die Army halte einen geheimen Impfstoff der Regierung im Krankenhaus zurück.

       Mit seinen hellblauen Augen und einem Blondschopf erinnert Second Lieutenant Todd Bowman aus Fredericksburg in Texas eher an einen Chorknaben, als an einen Soldaten. Bevor der große, aber schmächtige Junge der Armee beitrat, um hautnah zu erfahren, wie Geschichte geschrieben wird, studierte er sie als Fach am College. Obwohl er sich als fähiger Anführer bewies, hat er sich immer noch nicht abgewöhnt, verstohlene Blicke auf Sergeant First Class Mike Kemper zu werfen, einen 30-jährigen Veteranen aus Louisiana, ob dieser seine gewagtesten Befehle und tiefsten Ängste bestätigt. Kemper, seinerseits klein und sehnig mit unproportional großen Händen, ein Typ, der zum Töten wie geschaffen scheint, zwinkert üblicherweise zur Antwort. Mit rasiertem Kopf und starrem Blick schüchtert sein ganz normaler Gesichtsausdruck jeden solange ein, bis er ein Lächeln bemüht, das seine Außenwirkung drastisch verändert. Für die Jungs im Platoon ist der Sergeant ein Fels in der Brandung. Sie nennen ihn Pops.

       Auf der anderen Seite der Spiralen aus Stacheldraht, die über die First Avenue gelegt und mit Sandsäcken beschwert wurden, fleht eine dicke Frau den Lieutenant an, er möge welchen Impfstoff auch immer herausrücken, den die Streitkräfte im Krankenhaus bewachen.

       »Ma'am«, erwidert der Lieutenant, »weshalb würden wir diese Masken tragen, wenn wir ein Gegenmittel hätten? Wissen Sie, wie unbequem es ist, die Dinger Tag und Nacht anzubehalten?«

       Die Frau sieht ihn verunsichert an. »Na ja, das könnte nur Show sein.«

       »Für mich ergibt das überhaupt keinen Sinn, was Sie da sagen, Ma'am.«

       »Ich werde mich hier hinstellen und nicht von der Stelle rühren, bis ich was zum Impfen meiner Babys bekomme! Verstehen Sie mich?«

       Ein Mann aus der Menge wirft ein: »Also hören Sie mal Officer …«

       »Wie alt sind Sie überhaupt«, unterbricht die Frau. »Zwölf?«

       Der Mann fährt fort: »Sehen Sie mich an, Officer … Danke! Der Präsident der Vereinigten Staaten behauptet, Sie hätten einen Impfstoff. Weshalb sollte der Präsident so etwas sagen, wenn es nicht stimmt?«

       Bowman bleibt sachlich: »Sir, unser oberster Kommandant hat keine derartigen Informationen erhalten, denn davon hätte ich bestimmt Wind bekommen.«

       »Hey, ich habe gefragt, ob Sie mich verstehen können«, stichelt die Frau.

       Ein zweiter Mann mischt sich ein: »Meine Frau ist krank geworden, also bat ich ihre Schwester, zu uns zu kommen und zu helfen, aber jetzt hat sie es sich auch eingefangen, und ich kann sie nicht beide kontrollieren. Sie sind in meiner Wohnung und treiben Gott weiß was, nehmen die Bude auseinander oder so. Ich brauche Hilfe; was soll ich machen?«

       »Das Beste, was Sie tun können«, antwortet Bowman. »Bringen Sie die beiden doch zur Behandlung her, bitten Sie einen Nachbarn um Unterstützung oder die Polizei, falls diese die Mittel dazu hat. Ich jedenfalls kann keinen einzigen Mann von diesem Posten abrücken, um Ihnen zu helfen. Tut mir leid, wirklich.«

       Einzelne Schüsse, dann eine längere Salve, entheben sich dem steten Hintergrundlärm von New York, den Lauten von acht Millionen Menschen bei ihrem Kampf ums Überleben. Bowman erstarrt vorübergehend mit einer vagen Ahnung von Gefahr, bevor er sich in die Richtung umdreht, aus der die Schüsse erschallen. Wenige Augenblicke später übertönt ein Black-Hawk-Helikopter das Geräusch, der rasch über die Häuserdächer fliegt.

       Unterdessen ist Corporal Alvarez angetreten und lässt den Lieutenant wissen, im Krankenhaus wolle man ihn sprechen. Es sei dringend, schiebt er nach.

       Der Mann auf der Straße redet immer noch: »Sie hören mir nicht …«

       Bowman, der sein Unbehagen nicht abschütteln kann, nickt andeutungsweise und erklärt der Menge: »Wir sind hier fertig.«

       Krankenhausleiter Dr. Linton und Winslow, einer von mehreren schwerbewaffneten Stadtpolizisten, die für Sicherheit im Gebäude sorgen, stehen an einem Linienbus vor der Notaufnahme des Trinity. Sie tragen Atemschutzmasken und sehen besorgt aus. Hinter ihnen warten mit dem Hongkong Lyssa Infizierte und ihre Verwandten in einer Schlange darauf, in den Bus einsteigen zu dürfen. Man hustet viel und schnäuzt sich die Nase, während drinnen Krankenschwestern strikt militärisch selektieren, indem sie wirkliche Opfer des Virus von Patienten mit anderen Leiden beziehungsweise von Gesunden trennen, die bloß panisch sind und sich einbilden, krank zu sein.

       Die Personen mit Lyssa werden mit farbigen Armbinden in Prioritätsstufen unterteilt. Leute mit Grün werden zur häuslichen Pflege heimgeschickt; wer Rot erhält, gilt als dringender Fall und kommt auf die Intensivstation, falls dort ein Bett frei ist; Gelb hingegen bedeutet, dass man auf alle Fälle bleiben darf und warten muss, aber nicht zwangsläufig auf die Intensivstation gelangt. Schwarz bedeutet: Sie lindern deine Qualen so weit wie möglich, bis du stirbst.

       Die Wahrscheinlichkeit, an Hongkong Lyssa zu sterben, ist hoch. Drei bis fünf Prozent aller Erkrankten überleben das Virus nicht, also doppelt so viele wie im Falle der Spanischen Grippe von 1918 und '19 Hunderttausende Amerikaner sind bereits gestorben, und weitere zwei bis drei Millionen werden ihnen voraussichtlich folgen. Genau genommen sterben gerade so viele Menschen, dass man die Leichname in Kühl-LKWS übereinanderlegt, die immerzu mit laufendem Motor auf der anderen Seite des Krankenhauses stehen, bis sie vollgeladen sind, und ihre Fracht nach New Jersey fahren, wo Massengräber für sie ausgehoben werden.

       Doch nicht die Zahl der Toten ist das Problem, obwohl sie entsetzlich anmutet.

       HK Lyssa ist ein neuartiges Virus, ähnlich der Grippe, und wird durch die Luft übertragen. Laut Seuchenschutzbehörde geht es wahrscheinlich auf den indischen Flughund zurück und entwickelte sich so weit, dass es sich ohne Weiteres auch unter Menschen verbreitet. Es reißt dich von den Füßen wie die Grippe, äußert sich jedoch auch in weiteren Symptomen wie Zuckungen, Augenflimmern und einem strengen, milchig sauren Körpergeruch. Die meisten Betroffenen genesen zwar nach zwei Wochen, doch falls sie schwer infiziert sind und das Virus ins Hirn eindringt, führt es zum Schwachsinn: Dann findet man sie mit Schaum vor dem Mund, sie verweigern die Aufnahme von Wasser, werden paranoid und neigen zu unvermittelten Gewaltausbrüchen. Letztendlich verlernen sie das Sprechen; sie geben dann nur noch ein beunruhigendes Grollen von sich, das an ein Motorrad im Leerlauf erinnert. Seit jemand in den Fernsehnachrichten einen Vergleich mit tollwütigen Hunden gezogen