Название | Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Nina Kayser-Darius |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurfürstenklinik Paket |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740970673 |
Florian ließ einen unterdrückten Laut hören, doch Rainer achtete nicht darauf. »Das kann man doch bestimmt operieren, oder? Wieso hat sie das nicht längst gemacht? Sie ist doch Chirurgin!«
Jetzt erst bemerkte er, daß der Junge den Tränen nahe war, und beschloß, es genug sein zu lassen. »Jedenfalls verstehe ich jetzt einiges besser! Also dann gute Nacht«, sagte er lachend, drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer.
Dort nahm er sich erneut die Zeitung vor, aber er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Wieso hatte Gabriele ihm nichts davon gesagt? Sie hätte ihn einweihen müssen, das wäre doch das mindeste gewesen, fand er. Er beschloß, ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen, sobald sich eine gute Gelegenheit ergab. Der Junge jedenfalls, davon war er überzeugt, würde es sich gut überlegen, ob er ihn noch einmal so abweisend zu behandeln wagte wie heute abend.
*
Florian lag in seinem Bett und war wie gelähmt vor Entsetzen. Er hatte Rainer auch vorher schon nicht leiden können, aber jetzt haßte er ihn von ganzem Herzen. Niemals würde er ihn als Vater akzeptieren.
Er war gemein und bösartig und hatte ihn angestarrt, als sei er ein Monster. Und all die schrecklichen Dinge, die er gesagt hatte! Nicht einmal die anderen Jungs waren so gemein wie Rainer. Ausgerechnet der war der Freund seiner Mama! Wie konnte sie nur einen so gräßlichen Freund haben? Sie mußte doch wissen, wie er war!
Florian fing an zu weinen. Seine Mama hatte immer gesagt, was er da unten hatte, sei nicht schlimm und würde irgendwann von ganz allein normal werden wie bei allen anderen.
Aber vielleicht stimmte das gar nicht? Vielleicht hatte sie das nur gesagt, um ihn zu beruhigen? Und hing er wirklich an ihrem Rockzipfel und würde niemals ein richtiger Mann werden?
Max und er wollten unbedingt richtige Männer werden, sonst kriegte man keine Frauen und war auch sonst nichts wert. Zwar war ihnen nicht klar, wozu man Frauen unbedingt brauchte, aber die größeren Jungs behaupteten das, und deshalb war es sicher wahr. Aber wenn jetzt schon feststand, daß er kein richtiger Mann werden konnte, dann wollte er gar nicht mehr leben.
Oder er lebte doch weiter und schaffte es, diesem gräßlichen Rainer zu beweisen, daß er überhaupt nicht an Mamas Rockzipfel hing. Er würde weglaufen, dann wäre Mama böse auf Rainer und würde ihn wegschicken und ihn nicht heiraten. Vielleicht würde er selbst dann sogar zurückkommen. Und dann würde er sagen, daß er doch operiert werden wollte, damit ein richtiger Mann aus ihm werde. Dann wäre er Rainer los, und er wäre so normal wie alle anderen.
Er dachte noch eine Weile darüber nach. Diese Lösung gefiel ihm besser. Zum Sterben war er noch zu jung, das hatte er nicht richtig bedacht. Aber zum Weglaufen hatte er genau das richtige Alter. Er hatte schon oft gehört, daß Kinder das machten, wenn sie es bei ihren Eltern nicht mehr aushielten.
Bei seiner Mama hielt er es sehr gut aus, aber nicht bei Rainer, das konnte nach diesem Abend niemand mehr von ihm verlangen. Mit so einem Mann konnte man es nicht aushalten, das mußte eigentlich auch seine Mama einsehen.
Er wurde müde, aber sein Entschluß stand fest: Er würde weglaufen. Und er wußte auch schon ganz genau, wie er es machen würde, damit sie es nicht sofort merkten. Schließlich mußte er einen Vorsprung haben, damit sie ihn nicht sofort wieder einfangen konnten.
Er würde seiner Mama einen Brief schreiben, damit sie nicht weinen und Angst um ihn haben mußte. Er schluchzte noch einmal leise, dann schlief er ein.
Als Rainer Wollhausen kurz darauf nach ihm sah, lächelte er. Na ja, so ernst hatte der Junge ihr kleines Gespräch also doch nicht genommen. Er hatte sich schon gefragt, ob er es nicht ein wenig übertrieben hatte. Aber wenn der Junge so selig schlief, dann mußte er sich wirklich keine weiteren Gedanken machen.
Zufrieden kehrte er zu seinem Sessel zurück. Hoffentlich kam Gabriele bald – dann konnten sie vielleicht doch noch einiges von dem nachholen, was sie an diesem Abend bisher versäumt hatten. Er war die Warterei allmählich leid. Wenn sie erst verheiratet waren, dann müßte sie als erstes ihren Job aufgeben!
*
Es war vorbei! Sämtliche Patienten waren behandelt worden, niemand wartete mehr auf den Fluren der Notaufnahme oder vor den Türen der Operationssäle. Zwar lagen noch immer Patienten im zum Krankenzimmer umfunktionierten Warteraum der Notaufnahme, aber die leichter Verletzten würden das Krankenhaus schon bald verlassen können. Und dann würde es auch auf den Stationen wieder Platz geben.
Adrian Winter und Gabriele Plessenstein kamen zur gleichen Zeit aus ihren Operationssälen. »Sie auch?« fragte Adrian müde. »Komischer Zeitpunkt, um sich kennenzulernen. Ich bin Adrian Winter, Notaufnahme. Gesehen haben wir uns schon einige Male.«
Sie nickte. »Ich bin Gabriele Plessenstein, neu als Chirurgin hier an der Klinik. Das war ein entsetzliches Unglück. Man hat mich zu Hause angerufen, ob ich kommen kann. Ich muß sagen, daß ich so etwas noch nie erlebt habe.«
»Ich auch nicht«, gab Adrian zu. »Obwohl einem in der Notaufnahme eigentlich sonst nichts erspart bleibt.«
Bernd Schäfer trat zu ihnen. Den Grad seiner Erschöpfung konnte man daran ablesen, daß er sich damit begnügte, Gabriele zu begrüßen, ohne bei ihrem Anblick in Verzückung zu geraten.
»Ich habe gar nicht mehr gezählt, wie viele Leute ich operiert habe«, sagte Gabriele. »Hat es eigentlich auch Todesfälle gegeben?«
Adrian nickte. »Ja, allerdings nicht hier bei uns. Alle, die hier eingeliefert worden sind, sind durchgekommen. Aber vor Ort sind einige gestorben. Und wie es in den anderen Krankenhäusern aussieht, weiß ich auch nicht. Wir haben eine kurze Pause gemacht vor einiger Zeit, da haben wir Nachrichten gehört. Es war die Rede von mindestens drei Todesfällen.«
»Schrecklich«, murmelte Gabriele. »Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt schlafen kann. Ich bin zwar schrecklich müde, aber der Kopf ist voller furchtbarer Bilder und Töne. Allein die Schmerzensschreie können einen bis in die Träume hinein verfolgen.«
Sie gingen gemeinsam zu den Fahrstühlen. Adrian fragte sich, ob Konrad Eder vielleicht doch recht hatte. Gabriele Plessenstein schien tatsächlich nicht eingebildet zu sein wegen ihrer Schönheit. Und besonders eitel war sie offenbar auch nicht, denn sie strich sich achtlos die verschwitzten Haare aus dem Gesicht und machte keinerlei Anstalten, als erstes einen Waschraum aufzusuchen, um ihr Make-up aufzufrischen.
»Ich werde noch ein Glas Wein trinken und ein bißchen Musik hören«, sagte er lächelnd. »Das hilft mir meistens beim Abschalten.«
Sie sah auf die Uhr und erschrak. »Ich muß schleunigst nach Hause. Ich habe nämlich meinen Sohn in der Obhut eines Freundes gelassen – und ich fürchte, die beiden verstehen sich nicht besonders gut. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Herr Winter. Gehört hatte ich schon viel von Ihnen. Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen, Herr Schäfer.« Eilig verließ sie den Fahrstuhl.
»Auf Wiedersehen«, erwiderten die beiden wie aus einem Munde. Als sie außer Hörweite war, sagte Bernd Schäfer tonlos: »Sie hat einen Sohn, Adrian. Das macht mich völlig fertig! Eine solche Nachricht nach einer solchen Nacht!«
»Sie hat einen Sohn, aber offenbar keinen Mann, Bernd, sonst hätte nicht ein Freund bei dem Sohn bleiben müssen.«
»Da hast du auch wieder recht!« Bernds eben noch so trübsinniges Gesicht hellte sich sofort auf. »Dann ist ja noch Hoffnung.«
Adrian schwieg. Bernd und die Frauen, das war nun wirklich ein eigenes Kapitel.
Sie betraten die Notaufnahme und stellten erstaunt fest, daß Thomas Laufenberg noch immer anwesend war. Auch er sah grau und erschöpft aus, wirkte aber trotzdem sehr geschäftig.
»Sie sind ja immer noch da«, brummte Adrian nicht besonders freundlich. Der andere sollte bloß nicht denken, daß es so