Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman. Nina Kayser-Darius

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Название Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman
Автор произведения Nina Kayser-Darius
Жанр Языкознание
Серия Kurfürstenklinik Paket
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740970673



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sagte: »Sicher bleibe ich hier. Wir essen erst einmal, Flo und ich, und dann bringe ich deinen Sohn ins Bett.«

      »Danke, das ist lieb von dir.«

      »Wir werden schon ohne dich fertig, was, Flo?«

      »Aber du hast doch noch gar nichts gegessen, Mama!« Florians Stimme klang ein wenig schrill, aber sie beschloß, das zu überhören.

      Hastig und im Stehen aß sie etwas Reis und Gemüse, dann holte sie ihre Sachen, küßte ihren Sohn, umarmte Rainer und verließ die Wohnung.

      »Guten Appetit!« sagte Rainer zu Florian und setzte sich. So schlecht war es vielleicht gar nicht, einen Abend allein mit dem Jungen zu verbringen. Er würde versuchen, das Beste daraus zu machen.

      *

      Gabriele konnte sich später nicht erinnern, wie viele Menschen sie an diesem Abend operiert hatte. Es kam ihr wie Fließbandarbeit vor, und so ähnlich war es wohl auch.

      Die Gesichter von Ärzten, Schwestern und Pflegern wurden immer erschöpfter, aber niemand dachte ans Aufhören, solange noch immer Patienten stöhnend und vor Schmerzen schreiend darauf warteten, behandelt zu werden.

      In jedem OP arbeitete ein Team, auf der Intensivstation lagen die Menschen mittlerweile auf den Fluren, und auch die Notaufnahme war zu einer Station umfunktioniert worden, denn längst nicht alle Verletzten konnten auf den anderen Stationen aufgenommen werden. Die Kurfürsten-Klinik war hoffnungslos überbelegt.

      Auch Dr. Adrian Winter operierte seit Stunden. Er hatte sich bisher nicht die kleinste Pause gegönnt, doch nun merkte er, daß seine Kräfte nachließen. Er mußte aufpassen, daß ihm nicht vor Müdigkeit Fehler unterliefen, das war in solchen Fällen immer die größte Gefahr.

      »Laß uns mal ’ne Pause einlegen, Adrian«, bat nun auch Bernd Schäfer, der ihm assistierte. »Wir können ja danach weitermachen, aber ich habe das Gefühl, ich falle um, wenn ich hier nicht wenigstens mal ein paar Minuten ’rauskomme.«

      Bernd hatte recht, und Adrian nickte zustimmend.

      »Tun Sie das ruhig, Herr Winter!« sagte ein junger Assistenzarzt. »Wir haben noch ein paar Kollegen erreicht, die jetzt mal einspringen können.«

      »Gut«, meinte Adrian müde. »Dann essen wir wenigstens mal eine Kleinigkeit, und danach sehen wir weiter.« Er verließ den OP mit schleppenden Schritten.

      Bernd folgte ihm erleichtert. »Ich sterbe vor Hunger«, klagte er.

      Zum ersten Mal seit längerer Zeit lächelte Adrian, aber er behielt den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, für sich. Er wollte Bernd nicht kränken. Sie gingen ins Café der Klinik, das wegen der besonderen Umstände ebenfalls überfüllt war, aber sie hatten Glück und bekamen trotzdem einen Platz und bestellten etwas zu essen. Viel Auswahl gab es nicht, aber das spielte auch keine Rolle.

      »Dieser neue Verwaltungsdirektor«, begann Bernd nachdenklich, »also, das hätte ich nicht gedacht, daß der sich so ’reinhängt.«

      »Alles Tarnung«, murmelte Adrian.

      »Wie meinst du das?«

      »Ach, ich traue ihm einfach nicht. Natürlich sind jetzt alle beeindruckt von ihm – was er alles organisiert hat und so. Aber laß uns mal abwarten, ob er sich auch bewährt, wenn es die ganz normalen Alltagsprobleme eines Krankenhauses betrifft. Heute konnte er glänzen, aber wenn es um die Routine geht, dann will ich sehen, ob er wirklich mit uns an einem Strang zieht.«

      »Du kannst ihn nicht leiden«, stellte Bernd fest.

      Ihr Essen kam, und mit einem erleichterten Seufzer machten sie sich darüber her. Sofort erwachten die Lebensgeister wieder.

      »Stimmt«, gab Adrian zu. »Ich glaube, besser kann man es nicht ausdrücken. Ich kann ihn nicht leiden. Er ist ein Bürokratenheini.«

      Bernd widersprach ihm nicht, er widmete sich mit vollendeter Hingabe seinen Nudeln mit Tomatensauce.

      *

      Rainer Wollhausen war genervt. Dieser Junge war wirklich zäh, er ließ ihn einfach nicht an sich herankommen. Beim Essen war er einsilbig gewesen, und anschließend hatte er seine Nase in ein Buch gesteckt. In einem Internat würde man ihm erst einmal Benehmen beibringen, das wurde offenbar höchste Zeit. Gabriele hatte ihren Sohn viel zu sehr verwöhnt.

      Rainer hatte schweigend und voll unterdrückter Wut den Tisch abgeräumt, und nun, fand er, konnte der Junge schlafen gehen. Er mußte ja am nächsten Morgen zur Schule, und es war für einen Siebenjährigen mittlerweile spät genug.

      »Ab ins Bett, Flo«, sagte er. »Wenn deine Mutter nach Hause kommt und dich hier noch immer herumspringen sieht, wird sie sauer sein.«

      »Die kommt doch noch längst nicht«, meinte Florian, aber es war ihm gar nicht unlieb, ins Bett zu gehen. Da mußte er Rainer wenigstens nicht mehr sehen.

      »Egal, es ist schon spät«, entgegnete Rainer.

      »Na gut!« Florian erhob sich langsam. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, als gehorche er Rainer aufs Wort. Von dem würde er sich gar nichts sagen lassen. Und wenn er nicht selbst hätte ins Bett gehen wollen, dann hätte er es sowieso nicht getan, bloß weil Rainer sich hier als Vater aufspielte.

      Er ging ins Bad, und Rainer setzte sich aufatmend in einen Sessel und griff zur Zeitung. Der Abend verlief überhaupt nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, aber das ließ sich ja nun leider nicht mehr ändern.

      Nach ziemlich langer Zeit ließ er die Zeitung sinken und lauschte. Was machte der Bengel denn nur so lange im Bad?

      Er stand auf und sah zuerst in Florians Zimmer nach, vielleicht war der Junge ja auch schon ins Bett gegangen, ohne sich von ihm zu verabschieden – zuzutrauen war es ihm durchaus. Aber Florian war nicht im Bett.

      Also ging Rainer zum Bad und öffnete die Tür. Florian stand völlig nackt vor ihm und starrte ihn entsetzt an.

      »Was ist los?« fragte Rainer verwundert. »Wieso brauchst du denn nur so lange? Ich dachte, du würdest längst im Bett liegen!«

      Der Junge rührte sich nicht und hielt schützend die Hände vor sein Geschlechtsteil.

      »Florian, sei nicht albern! Ich habe schon andere Leute nackt gesehen, du brauchst dich nicht vor mir zu schämen. Nun zieh deinen Schlafanzug an, und dann verschwinde endlich im Bett.«

      Nur zögernd griff Florian nach seinem Schlafanzug, und als er seine Hände ausstreckte, sah Rainer, was er verzweifelt zu verbergen versucht hatte.

      »Das ist ja ein Ding!« rief er aus. »Zeig mal her!«

      »Nein!« schrie Florian. »Das geht dich gar nichts an.«

      »Aber es ist interessant, so was habe ich noch nie gesehen.«

      »Laß mich in Ruhe!« Florians Stimme überschlug sich fast. »Wieso kommst du überhaupt einfach so hier rein? Mama macht das nie, und das gehört sich auch nicht, wenn jemand im Bad ist, daß man dann einfach reinkommt.«

      »Warum hast du nicht abgeschlossen, wenn du unbedingt allein sein wolltest?« fragte Rainer. »Ich konnte doch nicht wissen, daß du ein kleines Geheimnis mit dir herumträgst. Das hat deine Mama mir nämlich auch verschwiegen.«

      »Das geht dich ja auch gar nichts an!«

      Der Blick, der Rainer nun aus Florians Augen traf, war haßerfüllt, aber das ließ ihn kalt. Die Situation begann ihm Spaß zu machen. Und auf einmal sah er eine gute Möglichkeit, sich ein wenig an Florian zu rächen für diesen gänzlich mißlungenen Abend, an dem er ihn mit Nichtachtung gestraft hatte.

      Der Junge hatte es endlich geschafft, seine Schlafanzughose anzuziehen. Sein Gesicht war hochrot, die Lippen hatte er fest aufeinandergepreßt.

      »Was sagen denn die anderen in der Schule dazu?« fragte Rainer scheinheilig. »Das ist ja nicht normal, und ich kann mir schon vorstellen, daß sie darüber lachen. Oder etwa nicht?«

      Florian