Название | Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Nina Kayser-Darius |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurfürstenklinik Paket |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740970673 |
Sie betteten den Mann um und beugten sich bereits über ihn, während der Sanitäter fortfuhr, ihnen alles zu sagen, was er über den Zustand des Mannes wußte.
»Bleiben Sie ruhig«, sagte Adrian. »Wir helfen Ihnen. Hören Sie, was ich sage?«
»Ja«, brachte der Mann heraus. »Luft!«
»Sauerstoffmaske!« kommandierte Adrian. Schwester Monika hielt sie bereits in der Hand und setzte sie dem Patienten auf.
»Kochsalzinfusion, Moni«, sagte Adrian. »Und dann ruf bitte im OP an, er muß operiert werden – wahrscheinlich ist die Lunge verletzt. Schnell, schnell!«
Sie arbeiteten fieberhaft, um den Mann so weit so stabilisieren, daß er operiert werden konnte. Wenige Minuten später war es soweit: Der Patient wurde nach oben gefahren, wo bereits ein OP-Team auf ihn wartete. Adrian hoffte, daß er gerettet werden könnte. Julia und er jedenfalls hatten alles in ihrer Macht Stehende für ihn getan.
Von nun an kam das Team in der Notaufnahme nicht mehr zur Ruhe. Tatsächlich war es so, daß die Auswirkungen des Sturms sogar noch schlimmer ausfielen als befürchtet. Ständig wurden neue Patienten gebracht, und ganz Berlin schien erfüllt zu sein vom Heulen der Sirenen von Rettungswagen und Feuerwehr.
*
»Puh!« keuchte Jessica, als sie nach ihren Einkäufen griff und merkte, wie schwer die beiden Taschen waren, die sie bis obenhin vollgepackt hatte.
Die Kassiererin lächelte. »Da haben Sie sich ja ganz schön viel vorgenommen. Oder sind Sie mit dem Auto da?«
Jessica schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich hab’s nicht weit. Nur zwei Straßen weiter, das werde ich wohl schaffen.«
»Sieht aus wie der Weltuntergang draußen, nicht wahr? Deshalb ist hier auch so wenig los heute, glaube ich. Sonst ist der Laden um diese Uhrzeit immer brechend voll.«
»Wenn ich nicht in der Nähe wohnen würde, wäre ich auch nicht gekommen«, meinte Jessica. »Es ist draußen wirklich ziemlich unheimlich, ich habe so ein Wetter noch nie erlebt. Es ist düster und stürmisch, aber es regnet nicht.«
»Das kommt erst, wenn der Wind nachläßt«, prophezeite die junge Frau an der Kasse. »Warten Sie’s ab. Und jetzt laufen Sie besser los, dann haben Sie’s schnell hinter sich.«
»Auf Wiedersehen«, sagte Jessica und schenkte der freundlichen Frau ein Lächeln. »Ich beneide Sie, offen gesagt, daß Sie hierbleiben können.«
»Oh, wenn Sie wollen, können Sie auch gern bleiben, dann hab’ ich jemanden zum Reden. Ist nämlich ein bißchen langweilig, wenn nichts los ist.«
»Ein anderes Mal«, versprach Jessica. »Meine kleine Tochter ist bestimmt froh, wenn ich wieder daheim bin – der gefällt das Wetter auch nicht. Unser neuer Nachbar paßt auf sie auf, ein furchtbar lieber alter Herr. Ich will ihn nicht zu lange warten lassen.«
»Wie alt ist sie denn, Ihre Tochter?«
»Drei Monate erst.«
»So klein noch, ach du liebe Güte, dann aber mal los!«
»Ja, klein ist sie. Aber sie merkt schon, wenn ich nicht da bin. Also, auf Wiedersehen.«
»Guten Heimweg!« rief die Kassiererin ihr noch nach, und im nächsten Augenblick stand Jessica auf der Straße, und der Wind zerrte mit beachtlicher Kraft an ihr. Sie stemmte sich dagegen und lief los.
»Das ist ja wirklich ein Ding!« murmelte sie. »Ich wußte gar nicht, daß es so ein schlechtes Wetter überhaupt gibt.« Tapfer kämpfte sie sich vorwärts. Außer ihr war niemand auf der Straße. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, aber das war auch alles. In den Häusern brannte Licht, und gelegentlich sah man jemanden am Fenster stehen und fassungslos nach draußen blicken. Offenbar sahen die meisten Menschen dieses Weltuntergangs-Wetter zum ersten Mal.
Jessica atmete auf, als sie die Straße erreicht hatte, in der sie wohnte. Ganz am Ende konnte sie Herrn Zapfmanns weißes Haus schon leuchten sehen, sie hatte es also gleich geschafft! Ihre Arme schmerzten von den schweren Taschen, und am liebsten wäre sie einen Augenblick stehengeblieben und hätte sie abgesetzt, um sich auszuruhen – aber ein Blick gen Himmel belehrte sie eines Besseren. Es würde nicht mehr lange dauern, und dann würde ein wahrer Wolkenbruch über sie hereinbrechen.
In diesem Augenblick kam eine besonders heftige Böe, und der Wind heulte förmlich durch die schmale Straße. Die Bäume bogen sich tief, und Blätter wirbelten durch die Luft. Unwillkürlich blieb Jessica stehen, denn es kostete sie zuviel Kraft, so schwerbepackt wie sie war, weiterzulaufen. Den Kopf hielt sie gesenkt und leicht vom Wind abgewandt, denn er trieb ihr die Tränen in die Augen.
Diese Haltung war auch der Grund dafür, daß sie den Dachziegel nicht sah, den der Wind von einem der Häuser riß und durch die Luft wirbelte wie einen Fetzen Papier. Er trieb genau auf Jessica zu und fiel an der Stelle zu Boden, an der sie stand. Mit großer Wucht traf er sie am Kopf und am Hals.
Sie spürte einen ungeheuren Schlag, der sie völlig überraschend traf und dem sie deshalb ganz und gar schutzlos ausgeliefert war. Während ihr die Beine wegknickten und sie noch fühlte, daß die schweren Taschen ihren Fingern entglitten, breitete sich auch schon Dunkelheit um sie aus. Sie spürte nicht einmal mehr, daß sie auf die Straße stürzte.
*
»Deine Mama kommt gleich wieder, Nicky«, versprach Karl Zapfmann, der immer wieder beunruhigt zum Fenster ging, um zu sehen, wo Jessica wohl blieb. Er versprach es eher sich selbst als dem Baby, das ganz friedlich auf dem Sofa lag und den Blick nicht von Cora wandte, die es sich davor bequem gemacht hatte. Offenbar dachte sie, sie müsse auf das Kind aufpassen, und Karl
fand das rührend. Cora litt unter dem Wetter, aber für Nicky hatte sie ihren Lieblingsplatz verlassen und sich vor das Sofa gelegt. Brauchte er noch mehr Beweise für die Außergewöhnlichkeit seines Dackels? Ganz bestimmt nicht!
Karl setzte sich wieder. Hätte Frau Stolberg nicht eigentlich schon längst zurück sein müssen? Er sah auf die Uhr, stellte aber fest, daß er leider nicht genau wußte, wann seine junge Nachbarin sich auf den Weg gemacht hatte. Ihm kam es jedoch so vor, als sei sie schon recht lange weg.
»Na ja«, brummte er, »sie hat ja gesagt, daß sie viel kaufen muß, da braucht sie natürlich etwas länger.«
Er hörte die Sirene eines Rettungswagens – die wievielte eigentlich an diesem Morgen? Aber diese hier klang sehr nah, so kam es ihm vor. In diesem Augenblick verstummte sie auch schon. Karl stand wieder auf und ging in die Küche, und Cora folgte ihm. Es war das erste Mal, daß sie sich rührte, seit sie sich vor das Sofa gelegt hatte.
»Hast du Hunger, Cora?« fragte Karl, aber die Hündin wedelte nur müde mit dem Schwanz, drehte sich um und kehrte zurück ins Wohnzimmer. »Du bist launisch heute, Cora!« rief er ihr nach. Dann schenkte er sich aus seiner Thermoskanne noch eine Tasse Kaffee ein. Die würde ihn zwar nicht beruhigen, aber sie zu trinken lenkte ihn ein wenig ab. Doch als er sie geleert hatte, war er noch immer allein mit dem Baby und seinem Hund.
Bestimmt zum hundertsten Mal eilte er zu einem der Fenster, das zur Straße ging, und sah nach draußen, aber nirgends war eine Spur von Jessica zu erkennen. »Das kann doch einfach gar nicht sein!« brummte er. »Sie hat selbst gesagt, daß sie ganz schnell zurückkommt. Und eine Bekannte kann sie auch nicht getroffen haben, denn sie kennt ja noch niemanden hier. Ich verstehe das nicht!«
Er überlegte kurz und griff zum Telefonbuch. Dann würde er eben in dem Laden anrufen, in dem Jessica hatte einkaufen wollen. Vermutlich war es eine dumme Idee, denn es war zwar nur ein kleiner Supermarkt, aber er war doch groß genug, daß die Kassiererinnen wahrscheinlich nicht auf das Aussehen ihrer Kundinnen achteten. Deshalb konnten sie sich bestimmt gar nicht an Jessica erinnern, aber er wollte es trotzdem versuchen. Allmählich wurde er nervös von der Warterei, und dagegen mußte er dringend etwas unternehmen.
Nach längeren