Mit Segenskreuz und Handy. Joachim Schroedel

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Название Mit Segenskreuz und Handy
Автор произведения Joachim Schroedel
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783864170904



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in Kairo, die ländlicher nicht sein könnten. Etwa 60% des Stadtgebietes ist »informal« (englisch für: ungeplant, ja: illegal). Zu Beginn des Monats Dezember 2015 berichtete das Amt für Statistik (CAPMAS), die Bevölkerung Ägyptens habe um 1,5 Millionen Menschen zugenommen. Und selbst ohne jede Behörde kann man, mit offenen Augen und bloßem Menschenverstand sehen; jetzt, 20 Jahre nach meiner Ankunft in Ägypten und knapp 35 Jahre nach meinen ersten Erfahrungen mit diesem Land, scheint es wirklich nicht mehr möglich, Strukturen zu schaffen, die dem Menschen dienen.

      Verlassen wir die Erfahrungen mit meinen »ersten Schritten« in Ägypten und wenden uns dem Zeitpunkt zu, an dem ich beruflich zum ersten Mal in Kairo eintraf.

      Die erste Nacht in Kairo

      Am 14. August 1995 kam ich nach Mitternacht in Kairo an. »Umzugsgut« gab es nicht, denn ich durfte die Wohnung beziehen, die auch schon meine Vorgänger hatten. Bestimmt nichts Besonderes, möbliert im Stil der 50er Jahre, im siebten und letzten Stock eines Hauses in der Mohammed-Mahmoud-Straße. Erst 17 Jahre später erlangte diese Straße, die sich vom Tahrir-Platz zum Abdinpalast erstreckt, traurige Berühmtheit.

      Das Beste an der Wohnung: Sie lag genau gegenüber der »Deutschen Schule der Borromäerinnen«, von den Schülerinnen liebevoll »die Borro« genannt. Die Schwestern des Schulkonvents holten mich mit einer kleinen Delegation ab, und recht schnell fuhren wir die 20 km vom Flughafen zur Schule. Die Straßen waren leer, nur einige streunende Hunde suchten nach Futter oder lieferten sich kleine Gefechte. Mir wurde eines der klösterlichen Gästezimmer zugewiesen und Schwester Martina, die Oberin des Konvents, wünschte mir eine gute Nacht – nicht ohne darauf klar hinzuweisen, dass ich am folgenden Morgen um 6:15h die Heilige Messe zu feiern hätte. Das Fest Maria Himmelfahrt hat in der Kirche einen hohen Rang – und für mich persönlich eine große Bedeutung. War ich ja bei meinem ersten Flug, der mich ins Heilige Land Israel/Palästina führte, ebenfalls an Maria Himmelfahrt unterwegs – freilich bereits 1976 …

      Auf meine Frage, in welcher Sprache denn die Messe sei, antwortete sie fast indigniert: »Auf Deutsch natürlich!«.

      Dieser Satz ist mir heute noch in lebendiger Erinnerung, denn er stand und steht für die innere und äußere Haltung nicht nur von Schwester Oberin Martina, die eine deutsche Ordensfrau war, sondern auch des ganzen Konventes, der damals etwa acht Schwestern umfasste, wobei nur zwei aus Deutschland kamen. Die anderen waren aus Mittelägypten, hatten aber ihr Noviziat und ihre Ausbildung (Lehrerinnen, Erzieherinnen, Krankenschwestern) im Mutterhaus in Grafschaft im Sauerland absolviert. Bereits in den ersten Wochen lernte ich die Schwestern näher kennen. Und mir wurde deutlich, wie wichtig der Bezug nach Deutschland war. In den Jahren konnte ich dann schließlich feststellen: Dieser Bezug zu allem Deutschen ist nicht nur auf die Gemeinschaft der Borromäerinnen oder vielleicht der Deutschen Schulen zu beschränken! Wenn man sich in Ägypten als Deutscher zu erkennen gibt, gehen die Herzen fast aller Ägypter weit auf!

      An Schlaf war allerdings nicht zu denken; im August herrschen in der Regel in Kairo mörderische Temperaturen. Nicht zu vergleichen mit Rom etwa, wo wegen der Hitze des »ferragosto« nur noch Minimalbetrieb herrscht.

      Und freilich gab es keine Klima-Anlage, nur einen laut ratternden Ventilator, der mich auch nicht in den Schlaf wiegen konnte. Ich hätte gerne gewusst, wie viel Grad es denn in diesen sehr frühen Morgenstunden in meinem Zimmer sind, doch einen Thermometer hatte ich nicht mitgenommen – oder … Da war doch in meinem Erste-Hilfe-Set, das mir meine Mutter gepackt hatte (sie war Krankenschwester), ein Fieberthermometer! Gesagt, getan; ich holte das Fieberthermometer hervor und nach 5 Minuten konnte ich feststellen: es waren tatsächlich 38,2 Grad Celsius!

      »Worauf hast Du Dich hier eingelassen?« – Diese Frage kam mir in den ersten Jahren häufig. Aber in dieser Nacht dachte ich nur, dass ich eben hier durch muss! Nach einer Dusche setzte ich mich an den kleinen Schreibtisch und wollte eine Tagebucheintragung machen: Angekommen! Der Schweiß tropfte jedoch auf das Papier des Heftes und machte selbst eine kleine Eintragung unmöglich! Also: Raus aus dem Zimmer und noch etwas durch die Straßen der schlafenden Stadt gewandert.

      Das Viertel, in dem die Schule liegt, heißt im Volksmund »Bab el Louk«. Es könnte »Tor des Lukas« heißen, aber Keiner kann schlüssig einen Beweis antreten. Offiziell heißt der Stadtteil »Abdin«, denn das Zentrum ist der Abdin-Palast, der seit 1873 als Sitz der Regierung und heute noch als offizieller Amtssitz des Präsidenten genutzt wird, etwa bei Akkreditierungen ausländischer Botschafter.

      Aber für alle Bewohner Kairos, ja, für alle Ägypter, ist das gesamte Konglomerat an Häusern der frühe »belle Époque« das »wust el-balad«, eigentlich: »Zentrum des Landes«. Ausländer nennen es einfach: »Downtown«.

      Wenn man fast 900 Kilometer von Kairo entfernt ist, vielleicht in einem nubischen Dorf südlich von Assuan, und man antwortet auf die Frage, wo man denn in Kairo wohnt mit dem Begriff »wust el-balad«, dann kommt fast immer ein Funkeln in die Augen des Gesprächspartners. »Wundervoll!« wird man dann zu hören bekommen; »wie glücklich Du sein darfst!« Doch wenn man noch erklärt, man sei in »Bab el Louk«, dann setzt schon fast ekstatische Freude ein: »Nein, unmöglich, wie herrlich: Da bist Du ja mitten im Trubel, im Herzen der Stadt! Ich beneide Dich!«

      So erwanderte ich mir in meiner ersten Nacht als Seelsorger für die deutschsprachigen Katholiken in Ägypten mein »Viertel«. Gebäude, in denen früher höhere Beamte und natürlich viele ausländische Geschäftsleute wohnten, ein »Regierungsviertel« dazu, in dessen südlichem Bereich die Gebäude des Parlaments sind. Häuser, wie sie fast baugleich und zeitgleich in Paris stehen, in Brüssel oder im Vorkriegs-Berlin. Und in der Nacht, die einen gnädigen Schatten auf den wirklichen Zustand der Gebäude legt, ist ein Weg um diese Häuser ein Gang durch die Geschichte Kairos des neunzehnten Jahrhunderts. Ich kannte Kairo ja schon, aber als Tourist ist man eben eher nicht in »Bab el Louk«, sondern in Zamalek, der Nil-Insel, oder in den Hotels bei den Pyramiden. Und ich begann, mein »Veedel«, wie die Kölner sagen würden, spontan lieb zu gewinnen – auch in der Nacht …

      Es war gut, dass ich aus dem Zimmer gegangen bin, denn etwa gegen 4 Uhr kam eine Brise auf und schenkte die erhoffte leichte Abkühlung. Ich ging gerade am hohen, wundervoll geschmiedeten Zaun des Abdin-Palastes entlang und bewunderte dessen Architektur, die mich entfernt an den Buckingham-Palast erinnerte, da erklang fast gleichzeitig und doch mitunter um Sekunden versetzt aus hunderten von Moscheen der Ruf »Allah hu-Akbar!« – »Gott ist Größer!«. Kurz vor Sonnenaufgang ruft der Muezzin die Schläfer zum Gebet. »Gebet ist besser als Schlaf«, ruft er den Erwachenden zu. Der Gebetsruf strukturiert den Tagesablauf eines Muslim – aber auch eines jeden, der in einer durch den Islam geprägten Welt lebt. Und es ist fatal, wenn man sich gegen diesen Ruf innerlich wehren würde. An diesem frühen Morgen beschloss ich, auch auf die Einladung des Muezzin: »kommt zum Gebet, kommt zur Seligkeit« zu hören. Und beim Höchststand der Sonne, also zum Mittag, halte ich auch heute noch etwas länger inne und bete den »Engel des Herrn«. In Europa die Glocken – hier der Ruf des Muezzin. Und beides lädt zum Gebet.

      Die Gebetseinladung nahm ich an diesem Morgen besonders gerne an, ging zurück zur Schule und hinauf in die Kapelle. Mit dem Brevier in der Hand kam ich in das Herzstück der Gemeinde, in das, was ich gerne »Gemeindezentrum« nenne. Denn es ist ja falsch, Versammlungsräume für Jugend- und Gruppenarbeit oder Säle zum Feiern mit diesem Begriff zu belegen. Das Zentrum der Gemeinde ist Christus, in der Gestalt des eucharistischen Brotes. Und ich konnte mich nun auch auf die bald beginnende Heilige Messe vorbereiten; »Natürlich auf Deutsch!«, wie Schwester Oberin erklärt hatte.

      Obwohl ich erst vier Wochen später feierlich durch eine Mitarbeiterin von Pfr. Blome, Frau Julia Kohler, in meinen Dienst eingeführt wurde, war mir klar; mit dieser Messe beginne ich einen wichtigen Abschnitt meines Lebens. Ein guter Anfang – Mit Maria, die selber durch Ihre Spuren dieses Land Ägypten gesegnet hat, kann ich eigentlich ganz sicher gehen. Und der Heilige Josef, ihr Verlobter, wird still meine Wege schützen und mich darauf hinweisen, wenn ein Engel mir etwas sagen will …

      11 https://de.wikipedia.org/wiki/Barmherzige_Schwestern_vom_hl._Karl_Borromäus.

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