Название | Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9789176377444 |
Baudelaire hat nicht wie Gautier Gefallen an seiner Zeit gefunden, noch sich wie Leconte de Lisle um sie betrügen können. Ihm stand der humanitäre Idealismus eines Lamartine oder Hugo nicht zu Gebote, und es war ihm nicht wie Verlaine gegeben, sich in die Devotion zu flüchten. Weil er keine Überzeugung zu eigen hatte, nahm er selbst immer neue Gestalten an. Flaneur, Apache, Dandy und Lumpensammler waren für ihn ebenso viele Rollen. Denn der moderne Heros ist nicht Held – er ist Heldendarsteller. Die heroische Moderne erweist sich als ein Trauerspiel, in dem die Heldenrolle verfügbar ist. Das hat Baudelaire selbst, versteckt wie in einer remarque, am Rande seiner »Sept vieillards« angedeutet.
Un matin, cependant que dans la triste rue
Les maisons, dont la brume allongeait la hauteur,
Simulaient les deux quais d’une rivière accrue,
Et que, décor semblable à l’âme de l’acteur,
Un brouillard sale et jaune inondait tout l’espace,
Je suivais, roidissant mes nerfs comme un héros
Et discutant avec mon âme déjà lasse,
Le faubourg secoué par les lourds tombereaux. 1104
Dekor, Akteur und Heros treten in diesen Strophen auf eine nicht mißzuverstehende Art zusammen. Die Zeitgenossen brauchten den Hinweis nicht. Courbet klagt als er ihn malt darüber, Baudelaire sehe jeden Tag anders aus. Und Champfleury sagt ihm die Gabe nach, seinen Gesichtsausdruck zu verstellen wie ein entlaufener Galeerensträfling1105. Vallès hat in seinem bösen Nachruf, der von ziemlich viel Scharfblick zeugt, Baudelaire einen cabotin genannt1106.
Hinter den Masken, die er verbrauchte, wahrte der Dichter in Baudelaire das Inkognito. So herausfordernd er im Umgang erscheinen konnte, so umsichtig verfuhr er in seinem Werk. Das Inkognito ist das Gesetz seiner Poesie. Sein Versbau ist dem Plan einer großen Stadt vergleichbar, in der man sich unauffällig bewegen kann, gedeckt durch Häuserblocks, Torfahrten oder Höfe. Auf diesem Plan sind den Worten, wie Verschworenen vor dem Ausbruch einer Revolte, ihre Plätze genau bezeichnet. Baudelaire konspiriert mit der Sprache selbst. Er berechnet ihre Effekte auf Schritt und Tritt. Daß er es immer vermieden hat, sich dem Leser gegenüber zu decouvrieren, ist gerade den Berufensten nachgegangen. Gide vermerkt eine Unstimmigkeit zwischen Bild und Sache, die sehr berechnet ist1107. Rivière hat hervorgehoben, wie Baudelaire vom entlegenen Worte ausgeht, wie er es lehrt, leise aufzutreten indem er es behutsam der Sache nähert1108. Lemaître spricht von Formen, die so geartet sind, daß sie den Ausbruch der Leidenschaft unterbinden1109, und Laforgue hebt den Baudelaireschen Vergleich hervor, der die lyrische Person gleichsam Lügen straft und als Störenfried in den Text gerät. »La nuit s’épaississait ainsi qu’une cloison« – »andere Beispiele ließen sich in Fülle finden«1110, setzt Laforgue hinzu1111.
Die Sonderung der Wörter in solche, die zum gehobenen Gebrauche geeignet schienen, und solche, die von ihm auszuschließen waren, wirkte in die gesamte poetische Produktion hinein und galt von Hause aus für die Tragödie nicht minder als für die lyrische Poesie. In den ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts stand diese Konvention unangefochten in Kraft. Bei der Aufführung des »Cid« von Lebrun erregte das Wort chambre ein mißfälliges Gemurmel. »Othello«, in einer Übersetzung von Alfred de Vigny, fiel wegen des Wortes mouchoir, dessen Erwähnung in der Tragödie unerträglich berührte. Victor Hugo hatte damit begonnen, in der Dichtung den Unterschied zwischen den Worten der Umgangssprache und denen einer gehobenen einzuebnen. Sainte-Beuve war in ähnlichem Sinne vorgegangen. Er erklärt im »Leben Joseph Delormes«: »Ich habe versucht …, original auf meine Weise zu sein, auf eine bescheidene, gutbürgerliche … Ich nannte die Dinge des intimen Lebens mit ihrem Namen; aber die Hütte hat mir dabei näher als das Boudoir gelegen.«1112 Baudelaire ging ebenso über das sprachliche Jakobinertum von Victor Hugo hinaus wie über die bukolischen Freiheiten von Sainte-Beuve. Seine Bilder sind original durch die Niedrigkeit der Vergleichsobjekte. Er hält Ausschau nach dem banalen Vorgang, um ihm den poetischen anzunähern. Er spricht von den »vagues terreurs de ces affreuses nuits | Qui compriment le cœur comme un papier qu’on froisse«1113. Diese Sprachgeberde, kennzeichnend für den Artisten in Baudelaire, wird wahrhaft bedeutsam erst an dem Allegoriker. Sie gibt seiner Allegorie das Beirrende, das sie von den landläufigen unterscheidet. Mit ihnen hatte zuletzt Lemercier den Parnaß des Empire bevölkert; der Tiefpunkt der klassizistischen Dichtung war so erreicht worden. Baudelaire ließ sich das nicht bekümmern. Er greift Allegorien in Fülle auf: durch die sprachliche Umwelt, in welche er sie versetzt, ändert er ihren Charakter grundsätzlich. Die »Fleurs du mal« sind das erste Buch, das Worte nicht allein prosaischer Provenienz sondern städtischer in der Lyrik verwertet hat. Dabei vermeiden sie keineswegs Prägungen, die, frei von poetischer Patina, durch ihren Stempelglanz in die Augen fallen. Sie kennen quinquet, wagon oder omnibus; sie schrecken vor bilan, réverbère, voirie nicht zurück. So ist das lyrische Vokabular beschaffen, in dem plötzlich und durch nichts vorbereitet eine Allegorie erscheint. Wenn der Sprachgeist von Baudelaire irgendwo dingfest zu machen ist, so in dieser brüsken Koinzidenz. Claudel hat sie endgültig formuliert. Baudelaire, so hat er einmal gesagt, habe die Schreibweise von Racine mit der eines Journalisten des Second Empire verbunden. Kein Wort seines Vokabulars ist von vornherein zur Allegorie bestimmt. Es empfängt diese Charge von Fall zu Fall; je nachdem, worum die Sache geht, welches Sujet an der Reihe ist, ausgespäht, zerniert und besetzt zu werden. Für den Handstreich, der bei Baudelaire Dichten heißt, zieht er Allegorien in sein Vertrauen. Sie sind die einzigen, die im Geheimnis sind. Wo la Mort oder le Souvenir, le Repentir oder le Mal sich zeigen, da sind Zentren der poetischen Strategie. Das blitzhafte Auftauchen dieser Chargen, die, an ihrer Majuskel erkennbar, sich mitten in einem Text befinden, der die banalste Vokabel nicht von sich weist, zeigt, daß Baudelaires Hand im Spiele ist. Seine Technik ist die putschistische.
Wenige Jahre nach Baudelaires Ende krönte Blanqui seine Laufbahn als Konspirateur durch ein denkwürdiges Meisterstück. Es war nach der Ermordung von Victor Noir. Blanqui wollte sich einen Überblick über seinen Truppenbestand verschaffen. Von Angesicht zu Angesicht kannte er im wesentlichen nur seine Unterführer. Wie weit alle in seiner Mannschaft ihn gekannt haben, steht dahin. Er verständigte sich mit Granger, seinem Adjutanten, der die Anordnungen für eine Revue der Blanquisten traf. Sie wird bei Geffroy so beschrieben: »Blanqui … ging bewaffnet von Hause fort, sagte seinen Schwestern Adieu und bezog seinen Posten in den Champs-Elysées. Dort sollte nach der Vereinbarung mit Granger das Defilee der Truppen stattfinden, deren geheimnisvoller General Blanqui war. Er kannte die Chefs, er sollte nun hinter ihrer jedem im Gleichschritt, in regelmäßigen Formationen deren Leute an sich vorbeiziehen sehen. Es geschah wie beschlossen war. Blanqui hielt seine Revue ab, ohne daß irgendwer etwas von dem merkwürdigen Schauspiel ahnte. In der Menge und unter den Leuten, die zuschauten wie auch er selber schaute, stand der Alte an einen Baum gelehnt und sah aufmerksam in Kolonnen seine Freunde herankommen, wie sie stumm unter einem Gemurmel sich näherten, das durch Zurufe immerfort unterbrochen wurde.«1114 – Die Kraft, die so etwas möglich machte, ist mit Baudelaires Dichtung im Wort verwahrt.
Baudelaire hat bei Gelegenheit das Bild des modernen Heros auch im Konspirateur erkennen wollen. »Keine Tragödien mehr!« schrieb er während der Februartage im »Salut public«. »Schluß mit der Geschichte des alten Rom! Stehen wir heute nicht größer als Brutus da?«1115 Größer als Brutus war freilich weniger groß. Denn als Napoleon III. zur Herrschaft kam, erkannte Baudelaire in ihm den Caesar nicht. Darin war Blanqui ihm überlegen. Aber tiefer als beider Verschiedenheit reicht, was ihnen gemeinsam gewesen ist, reicht der Trotz und die Ungeduld, reicht die Kraft der Empörung und die des Hasses – reicht auch die Ohnmacht, die ihrer beider Teil war. Baudelaire nimmt in einer berühmten Zeile leichten Herzens Abschied von einer Welt, »in der die Tat nicht die Schwester des Traumes ist«1116. Seiner war nicht so verlassen als es ihm schien. Blanquis Tat ist die Schwester von Baudelaires Traum gewesen. Beide sind ineinander verschlungen. Es sind die ineinander verschlungenen Hände auf einem Stein, unter dem Napoleon III. die Hoffnungen der Junikämpfer begraben hatte.
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